Darf man Gespräche bei der KESB aufnehmen?

Die KESB-Initianten empfehlen mit einer Mitteilung vom 8. April 2017, dass sämtliche Personen, welche bei der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde eine Anhörung haben, das Gespräch aufzuzeichnen sollen. Dabei sollen sie auf ein Urteil des Bundesgerichts hinweisen. Wenn die KESB die Aufzeichnung nicht erlaube, sollen sie das Gespräch höflich beenden. Die Initianten begründen dies insbesondere wie folgt:

Warum die Betroffenen die Gespräche aufgezeichnet haben liegt auf der Hand:
– oft sind solche „Gespräche“ eigentliche Verhöre, bei denen massiv Druck ausgeübt wird
– oft wird bei solchen „Gesprächen“ eine geplante Massnahme den Betroffenen anders erklärt als das, was nachher im juristisch verklausulierten Beschluss steht (also: die KESB verhält sich ambivalent…)
– oft werden bei solchen „Gesprächen“ seitens der KESB Halb- und Unwahrheiten bezüglich der Gesetzeslage erzählt
– gegenüber Eltern von minderjährigen Kindern wird immer wieder gedroht, sie würden ihre Kinder nicht so schnell wieder sehen, wenn sie einer Fremdplatzierung nicht zustimmen würden (was die angeblich hohe Zahl der „freiwilligen“ Fremdplatzierungen, wie von BR Simonetta Sommaruga, von der KOKES sowie in diversen Berichten und in angeblichen Statistiken immer wieder behauptet wird, erklären dürfte…)

Die Begründung der Initianten zeigt vor allem eine ideologische, voreingenommene Positionierung gegenüber der KESB auf. Sie soll ein Misstrauen gegen die Behördentätigkeit schüren. Als Anwalt habe ich noch nie so etwas gesehen, was die Initianten beschreiben. Richtig ist vielmehr, dass die KESB die Betroffenen mit unbequemen Wahrheiten konfrontieren muss, was diese naturgemäss nicht gerne hören. Das ist aber nicht speziell KESB-spezifisch, sondern auch Richter in Eheschutz- und Scheidungsverfahren müssen regelmässig mit den Parteien Klartext reden. Die Empfehlung der Initianten ist rechtlich problematisch bzw. sogar falsch und rein praktisch kontraproduktiv. Die Initianten empfehlen zwar keine unberechtigte (heimliche) Aufzeichnung, vermitteln aber den Eindruck, dass ein Recht auf eine Aufzeichnung bestehe. Die Aufforderung zur Gesprächsverweigerung ist jedoch die reinste Katastrophe. Man kann nicht einfach den Kopf in den Sand stecken und versuchen, die Probleme auszusitzen. Les absents ont toujours tort!

In strafrechtlicher Hinsicht steht folgende Strafbestimmung zur Diskussion:

Art. 179ter StGB
Strafbare Handlungen gegen den Geheim- oder Privatbereich. / Unbefugtes Aufnehmen von Gesprächen
Wer als Gesprächsteilnehmer ein nichtöffentliches Gespräch, ohne die Einwilligung der andern daran Beteiligten, auf einen Tonträger aufnimmt,
wer eine Aufnahme, von der er weiss oder annehmen muss, dass sie durch eine nach Absatz 1 strafbare Handlung hergestellt wurde, aufbewahrt, auswertet, einem Dritten zugänglich macht oder einem Dritten vom Inhalt der Aufnahme Kenntnis gibt,
wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bestraft.

Die Initianten nehmen Bezug auf BGE 108 IV 161. Nach diesem Urteil des Bundesgerichts ist die polizeiliche Befragung zur Abklärung eines Delikts nicht ein durch Art. 179ter StGB geschütztes Privatgespräch. In einem späteren Urteil (BGE 111 IV 63) liess das Bundesgericht diese Frage in Bezug auf eine Kirchengemeindeversammlung jedoch offen. Das Obergericht bestätigte diese Praxis in einem Urteil vom 27. August 2014 (SB130424) mit sehr ausführlicher Begründung.

Zu BGE 108 IV 161, der immerhin aus dem Jahr 1982 stammt, ist zu sagen, dass diese Rechtsprechung in der Literatur heftig umstritten ist. Es ist somit nicht unwahrscheinlich, dass das Bundesgericht seine Rechtsprechung überprüfen und kippen könnte, namentlich in Anbetracht der heutigen technischen Möglichkeiten (Smartphone). Meines Erachtens ist es nicht sachgerecht, diese Rechtsprechung auf eine Anhörung bei der KESB oder bei Gerichten analog anzuwenden. Eine Gesetzesänderung wäre angezeigt, um den Schutz des Verfahrens zu verstärken. Dies ist auch wichtig, da gewisse Verhandlungen einen gewissen informellen Charakter haben, wie zum Beispiel gerichtliche Vergleichsverhandlungen oder Referentenaudienzen, die nicht protokolliert werden, und wo man ohne Angst vor einer heimlichen Aufzeichnung unpräjudiziell über die Probleme diskutieren kann. Bei der KESB werden dagegen alle Anhörungen summarisch protokolliert.

Auch wenn nach Strafgesetzbuch keine Strafbarkeit vorliegt, besteht kein Recht auf eine Tonbandaufzeichnung (BGE 108 IV 161 E. 3):

3. Dies bedeutet indessen nicht, dass jeder Beschuldigte berechtigt wäre, jede Einvernahme auf Tonband aufzunehmen. Tonbandaufnahmen von Einvernahmen können bewirken, dass die Beteiligten (auch der Einvernehmende) abgelenkt, im Ausdruck gehemmt, gereizt, nervös oder unsicher gemacht werden, was die Durchführung und das Ergebnis der Verhandlung beeinträchtigt. Es besteht zudem die Gefahr, dass Tonbänder geschnitten oder ergänzt und in verfälschter Form missbräuchlich verwendet werden. Ein Verbot von Tonbandaufnahmen bei Einvernahmen kann daher im Interesse der ungestörten Verhandlungsführung und der unbeeinflussten Rechtsfindung gerechtfertigt sein. Es kann im Rahmen der sitzungspolizeilichen Befugnisse erlassen und durchgesetzt werden. Für den Fall der Widerhandlung ist es zulässig, das Tonbandgerät während der Dauer der Verhandlung sicherzustellen oder das bespielte Tonband nachher zu beschlagnahmen.

Ferner stellte das Bundesgericht in BGE 111 IV 63 E. 2 Folgendes klar:

Am Rande sei zur Klarstellung angemerkt, dass – unabhängig von der Frage der Strafbarkeit gemäss Art. 179ter StGB – Tonbandaufnahmen (wie Photographieren oder Filmen) an Sitzungen oder Versammlungen zur Vermeidung von Störungen und zur Verhütung von Verfälschungen durch besondere Vorschrift oder durch Anordnung des Leiters untersagt werden können.

Diese Klarstellung weist darauf hin, dass man sich bei der Frage des unbefugten Aufnehmens von Gesprächen nicht nur auf das Strafrecht konzentrieren kann. Vielmehr können Tonbandaufzeichnungen auch verfahrensrechtlich unzulässig sein.

Im Kanton Zürich ist gestützt auf den Verweis von § 40 Abs. 2 EG KESR für das Verfahren vor der KESB subsidiär das Gesetz über die Gerichts- und Behördenorganisation im Zivil- und Strafprozess anwendbar. Dieses Gesetz bestimmt Folgendes:

§ 132 GOG
Bild- und Tonaufnahmen innerhalb von Gerichtsgebäuden sowie Aufnahmen von Verfahrenshandlungen ausserhalb von Gerichtsgebäuden sind nicht gestattet.

Die Ahndung der Verletzung dieser Bestimmung ist im kantonalen Gesetz betreffend die Ordnungsstrafen geregelt:

§ 1
1 Verwaltungsstellen und Gerichte sind berechtigt, Disziplinarfehler ihrer Mitglieder sowie der ihnen untergeordneten Behörden und deren Mitglieder, ferner der ihnen unterstehenden Beamtinnen und Beamten sowie Angestellten und der bei ihnen in mündlichen oder schriftlichen Verfahren stehenden Privaten durch Ordnungsstrafe zu rügen.

§ 2
Als Disziplinarfehler gilt jede rechtswidrige und schuldhafte Verletzung der Dienstpflichten, insbesondere
c. die Störung der vorgeschriebenen Verfahrensordnung;

§ 4
1 Als Ordnungsstrafen können verhängt werden:
1.Verweis,
2. Busse bis Fr. 1000,

Ferner gilt gemäss dem Verweis von § 40 Abs. 3 EG KESR subsidiär auch die Zivilprozessordung, welche allenfalls auch als Basis für eine Ordnungsbusse herangezogen werden kann.

Art. 128 ZPO
Verfahrensdisziplin und mutwillige Prozessführung
1 Wer im Verfahren vor Gericht den Anstand verletzt oder den Geschäftsgang stört, wird mit einem Verweis oder einer Ordnungsbusse bis zu 1000 Franken bestraft. Das Gericht kann zudem den Ausschluss von der Verhandlung anordnen.

Da private Aufzeichnungen von Gesetzes wegen verboten sind, kann die KESB eine solche auch nicht bewilligen. Die KESB darf dagegen im Rahmen der Protokollierung die Anhörungen auf Tonband aufzeichnen (§ 40 Abs. 2 EG KESR i.V.m. Art. 176 Abs. 2 ZPO i.V.m. Art. 179 ZPO). Nicht verboten ist dagegen, wenn Betroffene die Anhörung handschriftlich protokollieren.

Als Fazit kann festgehalten werden, dass die unberechtigte Aufzeichnung von Gesprächen bei der KESB zumindest mit Ordnungsbusse bestraft werden kann. Ein Recht der Betroffenen auf Aufzeichnung von Gesprächen gibt es nicht.

Die Empfehlung der Initianten, dass Betroffene auf eine Aufzeichnung der Anhörung bei der KESB bestehen oder andernfalls das Gespräch abbrechen sollen, ist nicht sehr hilfreich. Mit solch einem Verhalten schaden sich die Betroffenen vor allem selbst. Ich empfehle meinen Mandanten deshalb immer, dass sie das Gespräch mit der KESB suchen sollen. Man muss heraushören, wo die KESB Probleme sieht und dann muss man adäquat darauf reagieren. Dazu ist eine gute Vorbereitung erforderlich oder allenfalls eine vorgängige rechtliche Beratung empfehlenswert.

Um allfällige Missstände bei Anhörungen durch die KESB, wie von den Initianten beschrieben, zu verhindern, empfehle ich den Betroffenen vor allem, solange es sich nicht um einen Bagatellfall handelt, dass sie sich durch einen Rechtsanwalt bei der Anhörung begleiten lassen. Damit entfällt auch die Notwendigkeit einer Aufzeichnung, da die Anhörung dann in der Regel korrekt durchgeführt wird und der Anwalt ein allfälliges Fehlverhalten bezeugen kann. Mit einer Rechtsvertretung wird den Betroffenen die Angst vor der KESB genommen und sie sehen, dass solche Anhörungen sehr gewissenhaft durchgeführt werden und dass auf eine Problemlösung hingearbeitet wird.

Nachtrag 28.2.2020

Mit Urteil vom 7. Februar 2020 (6B_943/2019 = BGE 146 IV …) nahm das Bundesgericht eine Praxisänderung vor. Nun ist davon auszugehen, dass das heimliche Aufzeichnen von Gesprächen mit Personen von der KESB gemäss Art. 179ter StGB strafbar ist.

In der Medienmitteilung des Bundesgerichts vom 28. Februar 2020 wird das französische Urteil wie folgt erläutert:

(…) In einem Leitentscheid von 1982 (BGE 108 IV 161) hat das Bundesgericht festgehalten, dass ein nichtöffentliches Gespräch den privaten Bereich berühren müsse, um den strafrechtlichen Schutz von Artikel 179ter StGB zu geniessen. Das sei bei Gesprächen persönlicher oder geschäftlicher Natur der Fall. In Berücksichtigung des Zwecks von Artikel 179ter StGB sowie der herrschenden Lehre ändert das Bundesgericht seine diesbezügliche Rechtsprechung. Zweck dieser Strafbestimmungen ist es, dem Einzelnen zu erlauben, sich mündlich frei äussern zu können, ohne befürchten zu müssen, dass seine Aussagen gegen seinen Willen aufgezeichnet werden und die ohne Hintergedanken ausgesprochenen Worte auf diese Weise verewigt werden. Folglich spielt es keine Rolle, ob die Äusserungen den Geheim- oder Privatbereich betreffen und in welcher Eigenschaft die Beteiligten diese tätigen.

Vorliegend waren die Gespräche zwischen dem Beschwerdeführer und dem Polizeibeamten nicht dazu bestimmt, von Dritten gehört zu werden. Zudem war das Recht des Polizisten, sich frei zu äussern, nicht dadurch beschränkt, dass die Gespräche seine amtliche Tätigkeit betrafen. Die Gespräche waren demzufolge „nichtöffentlich“, weshalb das Bundesgericht den Schuldspruch wegen unbefugten Aufnehmens von Gesprächen bestätigt.