KESB: Kein Mitsprache- und Akteneinsichtsrecht für die kostenpflichtige Gemeinde

Der Kantonsrat des Kantons Zürich beschloss am 26. Februar 2018 folgende Änderung des Einführungsgesetzes zum Kindes- und Erwachsenenschutzrecht (EG KESR):

§ 49 EG KESR
Abklärung der tatsächlichen Verhältnisse
Abs. 1 und 2 unverändert.
3 Die KESB gibt der Wohnsitzgemeinde vorgängig Gelegenheit zur Stellungnahme, wenn diese durch eine geplante Massnahme in ihren Interessen, insbesondere finanzieller Art, wesentlich berührt werden könnte. Die Wohnsitzgemeinde wird dadurch nicht zur Verfahrenspartei.
4 Der Wohnsitzgemeinde wird Akteneinsicht gewährt, soweit dies zur Wahrnehmung ihres Anhörungsrechts notwendig ist. Die Personen, denen Akteneinsicht gewährt wird, unterstehen der Verschwiegenheitspflicht.
5 Der Regierungsrat regelt die Einzelheiten in einer Verordnung.

Diese Gesetzesänderung wurde beim Bundesgericht angefochten, namentlich mit der Begründung, dass eine Verletzung von Bundesrecht vorliege. Das Bundesgericht wies zwar die Beschwerde mit Urteil vom 8. März 2019 (5C_1/2018) ab, schränkte den Anwendungsbereich der neuen kantonalen Bestimmung jedoch erheblich ein.

In Bezug auf Beschwerden in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten muss man wissen, dass das Bundesgericht eine kantonale Gesetzesbestimmung nur ausnahmsweise aufhebt. Das Bundesgericht erläuterte dies folgendermassen:

2. Nach der Rechtsprechung ist im Rahmen der abstrakten Kontrolle eines kantonalen Erlasses massgebend, ob der betreffenden Norm ein Sinn beigemessen werden kann, der sie mit den angerufenen Verfassungsgarantien vereinbar erscheinen lässt. Das Bundesgericht hebt eine kantonale Norm nur auf, wenn sie sich jeder mit Verfassungsrecht oder mit übergeordnetem Bundesrecht vereinbaren Auslegung entzieht, nicht jedoch, wenn sie einer solchen in vertretbarer Weise zugänglich ist. (…)

Die Gesetzesänderung ist zwar einfach und klar formuliert, trotzdem ist nicht klar, was der Kantonsrat mit dieser Gesetzesänderung eigentlich genau bezwecken wollte. Deshalb musste das Bundesgericht diese Gesetzesbestimmung auslegen. Ich bin der Meinung, dass der Kantonsrat nicht nur den Status quo gesetzlich regeln wollte, sondern dass er den Gemeinden effektiv mehr Mitspracherechte zuschanzen wollte. Deshalb betrachte ich die Formulierung, dass die Wohnsitzgemeinde nicht Verfahrenspartei werde, als schlaumauerisch. Das Bundesgericht nimmt diese Formulierung jedoch beim Wort, was dazu führt, das den Gemeinden tatsächlich nicht mehr Mitwirkungsrechte zukommen, wie sie sie bereits jetzt haben. Ob das wirklich die Meinung des Kantonsrats gewesen ist?

In Bezug auf den Einbezug der kostenpflichtigen Gemeinde führte das Bundesgericht Folgendes aus:

5.3. Unter der Marginalie „Abklärung der tatsächlichen Verhältnisse“ schreibt § 49 Abs. 2 EG KESR der KESB vor, dass sie von der Wohnsitzgemeinde einen Bericht zu den über die betroffene Person vorhandenen Informationen einholt, die für das hängige Verfahren wesentlich sind. Eine derartige Beweisvorschrift ist fraglos und unangefochten zulässig.

5.4. Unter der Marginalie „Abklärung der tatsächlichen Verhältnisse“ sieht § 49 Abs. 3 EG KESR neu vor, dass die KESB der Wohnsitzgemeinde vorgängig Gelegenheit zur Stellungnahme gibt, wenn diese durch eine geplante Massnahme in ihren Interessen, insbesondere finanzieller Art, wesentlich berührt werden könnte (Satz 1), und dass die Wohnsitzgemeinde dadurch nicht zur Verfahrenspartei wird (Satz 2).

5.4.1. Nach dem Konzept des kantonalen Gesetzgebers bezweckt die weitere Stellungnahme eine ergänzende Sachverhaltsabklärung im Zeitpunkt, in dem sich die Notwendigkeit und die Art einer anzuordnenden Massnahme konkret abzeichnet („geplante Massnahme“). Dass es um die Abklärung des Sachverhalts geht und entgegen der Darstellung des Beschwerdeführers (S. 5,
(Link auf Kantonsrat)
S. 6 ff. Ziff. 2.3 und S. 11 f.) gerade nicht um die Einräumung eines Mitsprache- oder eines Parteirechts der Wohnsitzgemeinde verdeutlicht Satz 2 von § 49 Abs. 3 EG KESR, wonach die Wohnsitzgemeinde dadurch nicht zur Verfahrenspartei wird. Es entspricht denn auch der Rechtsprechung, dass die Einladung zur Vernehmlassung keine Parteistellung im Verfahren begründet (BGE 141 III 353 E. 4.2 S. 354).

5.4.2. Der Beschwerdeführer wendet ein, die Stellungnahme der Wohnsitzgemeinde zur geplanten Massnahme könne – im Gegensatz zum Amtsbericht zu Beginn des Verfahrens – zur Abklärung der tatsächlichen Verhältnisse nichts beitragen und verfolge andere Zwecke.

Freilich trifft es zu, dass die KESB selber als Fachbehörde ausgestaltet ist und alle Möglichkeiten, häufig nach Beizug von Fachleuten abgeklärt haben sollte, bevor sie eine konkrete Massnahme plant. Gleichwohl kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Wohnsitzgemeinde völlig neue, bis anhin ungeprüfte Lösungsansätze einzubringen in der Lage ist (so auch der die Vorlage ablehnende Regierungsrat, S. 8, zit. in E. 3.1 oben). Ihre Stellungnahme kann insbesondere Vorschläge anderer Institutionen des Massnahmenvollzugs enthalten oder über von der Gemeinde gemäss § 13 SHG (sog. persönliche Hilfe der Beratungs- und Betreuungsstellen oder anderer öffentlicher oder privater sozialer Institutionen) inzwischen eingeleitete Massnahmen Aufschluss erteilen (so bereits S. 6 und S. 10 der Empfehlungen von 2016, zit. in E. 3.1 oben).

Im Rahmen der Sachverhaltsabklärung kann die Wohnsitzgemeinde folglich ergänzend aktuelle Tatsachen vortragen, die der regionalen KESB unter Umständen nicht bekannt sind. Die Beweiseignung ihrer Stellungnahme zu einer geplanten Massnahme darf unter verfassungsrechtlichem Blickwinkel (E. 2 oben) nicht verneint werden.

5.4.3. Gegen die Stellungnahme der Gemeinde zu einer geplanten Massnahme kann auch nicht eingewendet werden, das Verfahren werde dadurch verzögert (so aber der Regierungsrat, S. 10, zit. in E. 3.1 oben). Die Stellungnahme der Gemeinde erfolgt bereits nach bisheriger Praxis innert drei Tagen und in besonders dringlichen Fällen auch mündlich oder telefonisch (S. 6 der Empfehlungen von 2016, zit. in E. 3.1 oben; Empfehlungen der KOKES, ZKE 69/2014 S. 268). Ungebührliche Verzögerungen des Verfahrens können zwar in seltenen Einzelfällen nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, sollten aber in der Regel nicht eintreten. Im Übrigen zeigen die bisherige Praxis und die Erfahrungen im Kanton Aargau mit einer gleichlautenden Gesetzesregelung, dass die überwiegende Mehrheit der Gemeinden ohnehin auf eine Stellungnahme verzichtet (so jedenfalls die Erhebungen des Regierungsrates, S. 8, zit. in E. 3.1 oben).

5.4.4. Der Beschwerdeführer bezweifelt die Möglichkeit einer bundesrechtskonformen Umsetzung dieser Bestimmung in der Praxis (vgl. S. 14 der Beschwerdeschrift). Selbstredend ist die KESB zur Verschwiegenheit verpflichtet und nur im gesetzlichen Rahmen zur Erteilung von Auskünften berechtigt (Art. 451 ZGB). Aufgrund des Amtsberichts, den die KESB im Zeitpunkt der Eröffnung des Verfahrens gemäss § 49 Abs. 2 EG KESR einholt, ist die Wohnsitzgemeinde von Beginn an über das laufende Verfahren informiert und kann sich dazu äussern. Sobald eine Massnahme geplant ist, entscheidet die KESB nach pflichtgemässem Ermessen, was sie über eine geplante Massnahme mitteilen darf, damit die Wohnsitzgemeinde dazu vorgängig Stellung nehmen kann. Eine zusammenfassende Darstellung des Abklärungsergebnisses, der geplanten Massnahme, der vorgesehenen Institution und der mutmasslich anfallenden Kosten dürfte den Zweck erfüllen und gleichzeitig die Verschwiegenheitspflicht wahren (so die Praxis im Kanton Aargau gemäss der Stellungnahme des Regierungsrates, S. 9, zit. in E. 3.1 oben). Die Einzelheiten wird der Regierungsrat in einer Verordnung regeln (§ 49 Abs. 5 EG KESR).

5.4.5. Die Einholung einer Stellungnahme zu geplanten Massnahmen und die zu diesem Zweck zu erteilenden Informationen erscheinen auch insoweit nicht bundesrechtswidrig, als der verabschiedete, aber noch nicht in Kraft gesetzte Art. 449c Abs. 1 Ziff. 2 ZGB neu vorsieht, dass die Erwachsenenschutzbehörde ihre Entscheide betreffend die Anordnung, Änderung oder Aufhebung von Massnahmen, sobald diese vollstreckbar geworden sind, unverzüglich der Wohnsitzgemeinde mitteilt, wenn sie eine Person unter eine Beistandschaft gestellt hat, oder für eine dauernd urteilsunfähige Person ein Vorsorgeauftrag wirksam geworden ist (BBl 2016 8893). Die kantonale Gesetzesvorlage, die über die Verbesserung der tatsächlichen Entscheidgrundlagen hinaus ein Bedürfnis nach vermehrter Zusammenarbeit der Behörden und wechselseitiger Information zu befriedigen geeignet ist, verwirklicht ein Anliegen des Bundesgesetzgebers.

5.5. Insgesamt kann § 49 Abs. 3 EG KESR ein Sinn zugemessen werden, der mit dem übergeordneten Bundesrecht vereinbar ist und ein Eingreifen des Bundesgerichts ausschliesst (E. 2 oben). Eine Verletzung des Vorrangs des Bundesrechts (Art. 49 Abs. 1 BV) liegt nicht vor.

Nach den Ausführungen des Bundesgerichts ist nun klar, dass das Recht der Gemeinde auf Stellungnahme nicht dazu dient, eigene (finanzielle) Interessen einzubringen. Die Stellungnahme der Gemeinde dient einzig der ergänzenden Sachverhaltsabklärung in Hinblick auf die zu treffende Kindesschutzmassnahme.

Bislang gilt die Empfehlung betreffend den Einbezug der Gemeinde in KESR-Verfahren mit erheblichen Kostenfolgen vom 28. Mai 2014 der Direktion der Justiz und des Innern als Aufsichtsbehörde im Kindes- und Erwachsenenschutz. Nach dieser Empfehlung wird zunächst von der Wohnsitzgemeinde ein Amtsbericht eingeholt. Für den späteren Einbezug der Gemeinde müssen jedoch die folgenden zwei Bedingungen kumulativ erfüllt sei:

1. Aus dem Amtsbericht muss sich ergeben, dass die Wohnsitzgemeinde über relevantes Vorwissen in Bezug auf den zu fällenden Entscheid verfügt. Diese Voraussetzung ist nicht restriktiv anzuwenden.

2. Es sind erhebliche Kostenfolgen durch den Entscheid der KESB zu erwarten, nämlich mehr als CHF 3‘000.– pro Monat und Kind.

In diesem Sinne sollte die neue Gesetzesbestimmung auch weiterhin angewendet werden. Eine Gemeinde sollte nur weiter einbezogen werden, wenn sie über relevantes Vorwissen verfügt. Sollte die Gemeinde später tatsächlich neue Erkenntnisse haben, kann sie sich auch von sich an die KESB wenden. Der Regierungsrat hat jedenfalls die Gesetzesbestimmung in einer Verordnung zu konkretisieren (§ 49 Abs. 5 EG KESR).

Gemäss dem Zivilgesetzbuch gilt im Übrigen Folgendes:

Art. 449b ZGB
I. Akteneinsicht
1 Die am Verfahren beteiligten Personen haben Anspruch auf Akteneinsicht, soweit nicht überwiegende Interessen entgegenstehen.
2 Wird einer am Verfahren beteiligten Person die Einsichtnahme in ein Aktenstück verweigert, so wird auf dieses nur abgestellt, wenn ihr die Behörde von seinem für die Sache wesentlichen Inhalt mündlich oder schriftlich Kenntnis gegeben hat.

Das Bundesgericht äusserte sich zum Akteneinsichtsrecht folgendermassen:

6.1. Gemäss Art. 449b Abs. 1 ZGB haben die am Verfahren beteiligten Personen Anspruch auf Akteneinsicht, soweit nicht überwiegende Interessen entgegenstehen. Wird einer am Verfahren beteiligten Person die Einsichtnahme in ein Aktenstück verweigert, so wird auf dieses nur abgestellt, wenn ihr die Behörde von seinem für die Sache wesentlichen Inhalt mündlich oder schriftlich Kenntnis gegeben hat (Art. 449b Abs. 2 ZGB). Von ihrem Wortlaut her beschränkt die Bestimmung das Akteneinsichtsrecht auf die am Verfahren beteiligten Personen, die die Entscheidungsgrundlagen der Behörden kennen sollen. Einer Anzeige erstattenden Drittperson steht das Akteneinsichtsrecht dagegen nicht zu, wenn sie nicht gleichzeitig am Verfahren beteiligte Person ist (Botschaft, a.a.O., S. 7082 zu Art. 449b des Entwurfs).

6.2. Den Begriff „die am Verfahren beteiligten Personen“ („les personnes parties à la procédure“; „le persone che partecipano al procedimento“) verwendet das Erwachsenenschutzrecht in mehreren Bestimmungen (Art. 445 ZGB, vorsorgliche Massnahmen; Art. 446 Abs. 3 ZGB, Antragsbindung; Art. 448 Abs. 1 ZGB, Mitwirkungspflichten; Art. 449b ZGB, Akteneinsicht; Art. 450 Abs. 2 Ziff. 1 ZGB, Beschwerdebefugnis). Verfahrensbestimmungen sind, Sonderfälle vorbehalten, einheitlich auszulegen. Die Wohnsitzgemeinde als Trägerin der Kosten von Kindes- und Erwachsenenschutzmassnahmen zählt somit nicht zu den am Verfahren beteiligten Personen (Urteil 5A_979/2013 vom 28. März 2014 E. 6, in: FamPra.ch 2014 S. 767).

6.3. Die bundesrechtliche Vorschrift über die Akteneinsicht ist abschliessend und belässt den Kantonen im Rahmen ihrer Gesetzgebungszuständigkeit („Im Übrigen“) keine Möglichkeit, das Akteneinsichtsrecht im Verfahren vor der KESB auf andere als die am Verfahren beteiligten Personen auszudehnen. In Anbetracht der klaren bundesgesetzlichen Regelung können sich nicht am Verfahren beteiligte Dritte auch nicht auf einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf Akteneinsicht berufen (BGE 143 III 65 E. 3.3 S. 67 f.). In Widerspruch dazu behauptet ein Teil der Lehre, nicht am Verfahren beteiligten Dritten stehe ein Anspruch auf Akteneinsicht zu, wenn sie über ein rechtlich schützenswertes Interesse verfügten (so noch AUER/MARTI, Basler Kommentar, 5. Aufl. 2014, N. 22 zu Art. 449b ZGB). Diese Ansicht ist abzulehnen. Ungeachtet dessen begründete die Kostenpflicht der Gemeinde kein rechtlich schützenswertes Interesse (Urteil 5A_979/2013 vom 28. März 2014 E. 4.4, in: FamPra.ch 2014 S. 767), aber auch kein tatsächlich schützenswertes Interesse, kann doch der Informationsbedarf anderweitig gedeckt werden (E. 6.4.4 sogleich) als durch die Gewährung von Einsicht in Akten, die im Kindes- und Erwachsenenschutz hochsensible Angaben aus der Geheimsphäre einer betroffenen Person enthalten (z.B. BGE 119 II 222 E. 2b/aa S. 225, betreffend Daten über die Gesundheit). Finanzielle Interessen rechtfertigen insoweit keinen Eingriff in Persönlichkeitsrechte hilfsbedürftiger Menschen. Darauf verweist der Beschwerdeführer im Ergebnis zu Recht (S. 14 f.).

6.4. Eine kantonale Bestimmung, die der Wohnsitzgemeinde im Verfahren vor der KESB das Akteneinsichtsrecht gemäss Art. 449b ZGB einräumte, erwiese sich nach dem Gesagten als bundesrechtswidrig. Entscheidend und durch Auslegung zu ermitteln ist folglich, ob § 49 Abs. 4 EG KESR ein Sinn zugemessen werden kann, der mit dem übergeordneten Bundesrecht vereinbar ist. Nach dem Wortlaut der Bestimmung wird der Wohnsitzgemeinde Akteneinsicht gewährt, soweit dies zur Wahrnehmung ihres Anhörungsrechts notwendig ist.

6.4.1. In seiner Stellungnahme zur geplanten Gesetzesänderung hat der Regierungsrat wiederholt darauf hingewiesen und belegt, dass der Gemeinde kein Akteneinsichtsrecht zusteht, da dieses bundesrechtlich den Verfahrensbeteiligten vorbehalten ist (S. 5, 7, und S. 9, zit. in E. 3.1 oben). Es ist deshalb nicht anzunehmen, der Kantonsrat habe eine bundesrechtswidrige Regelung erlassen wollen.

6.4.2. Der Begriff der Akteneinsicht ist nicht einheitlich und wird unterschiedlich umschrieben je nach Verfahrenslage (z.B. ausserhalb eines Verfahrens: BGE 129 I 249 E. 3 S. 253) oder Rechtsgebiet (z.B. Art. 6 des Bundesgesetzes über das Öffentlichkeitsprinzip der Verwaltung, Öffentlichkeitsgesetz, BGÖ, SR 152.3; z.B. Art. 8 Abs. 1 und 5 des Bundesgesetzes über den Datenschutz, DSG, SR 235.1). Bundesrecht gewährleistet mit Art. 449b ZGB die Akteneinsicht im Verfahren vor der KESB (vgl. für abgeschlossene Verfahren: MARANTA/AUER/MARTI, Basler Kommentar, 6. Aufl. 2018, N. 31 zu Art. 449b ZGB) und beschränkt auf die am Verfahren beteiligten Personen (E. 6.1-6.3 oben). Diese Variante des Akteneinsichtsrechts kann der kantonale Gesetzgeber in § 49 Abs. 4 EG KESR schon deshalb nicht gewollt haben, weil er in Abs. 3 derselben Bestimmung festgelegt hat, die Gemeinde sei gerade nicht Verfahrenspartei.

6.4.3. Die Verknüpfung der Absätze 3 und 4 von § 49 EG KESR kann nicht eng genug gesehen werden. Der Verpflichtung der KESB gemäss Abs. 3, die Wohnsitzgemeinde zu geplanten Massnahmen vorgängig anzuhören, steht die Akteneinsicht der Wohnsitzgemeinde gemäss Abs. 4 gegenüber, soweit sie zur Wahrnehmung ihres Anhörungsrechts notwendig ist. Pflicht und Recht sind somit aufeinander abgestimmt und betreffen die zwei Varianten derselben Information im Verfahren, nämlich einerseits die Verpflichtung der KESB von Amtes wegen, die Wohnsitzgemeinde z.B. durch zusammenfassende Berichte oder Aktenkopien über geplante Massnahmen zu informieren, und andererseits die Berechtigung der Wohnsitzgemeinde, von der KESB durch Auskünfte über geplante Massnahmen informiert zu werden und dazu Stellung zu nehmen. Der Gesetzgeber hat dieses Recht der Wohnsitzgemeinde zwar als „Akteneinsicht“ bezeichnet, damit aber nichts anderes als ein Recht auf Orientierung über geplante Massnahmen gemeint. Ohne Begründung eigentlicher Mitwirkungsrechte, die den am Verfahren beteiligten Personen vorbehalten sind, ist damit gewährleistet, dass die Wohnsitzgemeinde in geeigneter Weise über die entscheidwesentlichen Vorgänge und Grundlagen des Verfahrens orientiert wird, damit sie ihr Recht auf Stellungnahme vor dem Entscheid über eine geplante Massnahme wahrnehmen kann (vgl. zum verfassungsmässigen Recht auf Orientierung im Verfahren: BGE 144 I 11 E. 5.3 S. 17; 140 I 99 E. 3.4 S. 102 f., mit Hinweis insbesondere auf MICHELE ALBERTINI, Der verfassungsmässige Anspruch auf rechtliches Gehör im Verwaltungsverfahren des modernen Staates, 2000, S. 206 ff.).

6.4.4. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers (S. 14) setzt das Recht auf Orientierung durch die KESB nicht voraus, dass der Gemeinde gleichzeitig das Recht auf Akteneinsicht im Sinn von Art. 449b ZGB zugebilligt wird. Wie bereits dargelegt, ist es der KESB ohne weiteres möglich, die Gemeinde unter Wahrung der Verschwiegenheitspflicht so zu informieren, dass sie sinnvoll Stellung zu einer geplanten Massnahme nehmen kann (E. 5.4.4 oben).

6.4.5. Im Lichte des übergeordneten Bundesrechts ausgelegt, ist § 49 Abs. 4 EG KESR mit dem Recht der Wohnsitzgemeinde auf Orientierung („Akteneinsicht“) durch die KESB das Gegenstück zu § 49 Abs. 3 EG KESR mit der Verpflichtung der KESB, die Wohnsitzgemeinde unter bestimmten Voraussetzungen zu geplanten Massnahmen vorgängig anzuhören. Die Einzelheiten betreffend Orientierung und Anhörung wird der Regierungsrat in einer Verordnung regeln (§ 49 Abs. 5 EG KESR).

6.5. Aus den dargelegten Gründen lässt sich § 49 Abs. 4 EG KESR mit dem übergeordneten Bundesrecht vereinbaren, so dass ein Eingreifen des Bundesgerichts ausgeschlossen ist (E. 2 oben). Eine Verletzung des Vorrangs des Bundesrechts (Art. 49 Abs. 1 BV) liegt nicht vor.

Die Argumentation des Bundesgerichts, dass das Akteneinsichtsrecht kein Akteneinsichtsrecht, sondern nur ein Recht auf Orientierung sei, ist doch sehr erstaunlich. Diese Auslegung widerspricht dem klaren Gesetzeswortlaut. Auch der Regierungsrat verstand das vorgeschlagene Akteneinsichtsrecht als Akteneinsichtsrecht. Dass das Bundesgericht davon ausgeht, dass der Kantonsrat keine bundesrechtswidrige Regelung erlassen wollte, überzeugt insbesondere auch vor dem Hintergrund nicht, dass der Mitunterzeichner der Parlamentarischen Initiative Thomas Vogel ist, seines Zeichens Mitglied der Geschäftsleitung des Bezirksgerichts Zürich. Wenn ein Leitender Gerichtsschreiber ein Akteneinsichtsrecht vorschlägt, muss man davon ausgehen, dass er auch wirklich ein Akteneinsichtsrecht meint. Ansonsten hätte man das Gesetz anders formulieren müssen, nämlich, dass die KESB die Gemeinde zu orientieren habe. Meines Erachtens wollte der Kantonsrat tatsächlich, und zwar in Kenntnis der Rechtslage, den Gemeinden ein eigentliches Akteneinsichtsrecht verschaffen. Das Bundesgericht hat nun jedenfalls klargestellt, dass der kostenpflichtigen Gemeinde gerade kein Akteneinsichtsrecht zukommt und die Herrschaft über die Akten einzig der KESB zukommt. Bei der Orientierung der Gemeinde durch die KESB sind schliesslich die Persönlichkeitsrechte der hilfebedürftigen Person zu beachten.

Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass diese Gesetzgebung nur für die KESB gilt. Wenn Gerichte, namentlich im Rahmen von Eheschutz- und Scheidungsverfahren, Kindesschutzmassnahmen erlassen, sind diese nicht verpflichtet, die kostenpflichtige Gemeinde ins Verfahren zu involvieren.