KESB und persönliche Anhörung

Die Bundesverfassung garantiert das Recht auf rechtliches Gehör. Einer Person, die von einem behördlichen Entscheid betroffen ist, muss vorgängig die Möglichkeit gegeben werden, dazu Stellung zu nehmen. Das kann auch schriftlich geschehen.

Art. 29 BV
Allgemeine Verfahrensgarantien
1 (…)
2 Die Parteien haben Anspruch auf rechtliches Gehör.
3 (…)

Das Zivilgesetzbuch konkretisiert diese Bestimmung und sieht sogar vor, dass die betroffene Person in der Regel persönlich anzuhören ist.

Art. 447 ZGB
E. Anhörung
1 Die betroffene Person wird persönlich angehört, soweit dies nicht als unverhältnismässig erscheint.
2 Im Fall einer fürsorgerischen Unterbringung hört die Erwachsenenschutzbehörde die betroffene Person in der Regel als Kollegium an.

Wenn Verfahrensrechte der betroffenen Person verletzt worden sind, führt dies im bundesgerichtlichen Verfahren in der Regel zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids. Davon handelt der folgende Fall.

Dem Urteil des Bundesgerichts vom 14. August 2019 (5A_902/2018) liegt folgende Thematik zugrunde:

3. In Bestätigung des Entscheides der KESB hat das Kantonsgericht Basel-Landschaft die Anordnung einer Vertretungsbeistandschaft mit Einkommens- und Vermögensverwaltung gemäss Art. 394 i.V.m. Art. 395 ZGB und den Entzug der Verfügungsmacht über die Konten bei der Bank C. mit der Begründung angeordnet, die Beschwerdeführerin leide an einem Schwächezustand, der ihr eine ordentliche Vermögens- und Einkommensverwaltung und -nutzung verunmögliche. Sie folgerte dies aus dem Umstand, dass mehrere Betreibungen vorlägen, namentlich für die Krankenkassenprämien, und sich das Vermögen der Beschwerdeführerin innert ungefähr 10 Monaten um Fr. 195’886.43 von Fr. 461’510.– auf Fr. 265’623.57 vermindert habe. Die mildere Massnahme, nämlich eine blosse Begleitbeistandschaft, habe nicht gefruchtet, weil die Beschwerdeführerin die Hilfe nicht angenommen und sich einer Zusammenarbeit entzogen habe. Es bestehe bei der Beschwerdeführerin der Verdacht auf eine Minderintelligenz und sie habe Mühe, die Folgen ihrer Handlungen abzuschätzen.

Das Bundesgericht zog Folgendes in Erwägung:

4.1. In erster Linie macht die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend und verweist diesbezüglich sowohl auf Art. 29 Abs. 2 BV als auch auf Art. 447 ZGB. Sie sei nicht mündlich angehört worden. Wohl seien drei Termine von der KESB für eine Anhörung festgesetzt worden. Für den ersten habe sie die Einladung nicht erhalten, weil sie im Zeitpunkt der Zustellung in den Ferien geweilt habe. Der zweite Termin sei im gegenseitigen Einvernehmen verschoben worden und den dritten habe sie zugegebenermassen kurzfristig wegen eines Todesfalls in der Familie absagen müssen. Die KESB habe sodann bloss auf Grund der Akten entschieden, ohne einen weiteren Termin anzusetzen und ohne ihr vorgängig den Entscheid ohne Anhörung anzudrohen. Es sei ihr auch nie mitgeteilt worden, dass die Errichtung einer Vertretungs- und Verwaltungsbeistandschaft erwogen werde. Das Kantonsgericht hielt dieses Vorgehen der KESB mit Blick auf das bisherige Verhalten der Beschwerdeführerin bezüglich Anhörungen für „nachvollziehbar“ und ging davon aus, dass die Beschwerdeführerin auf ihre Anhörung und in diesem Umfang auch auf das rechtliche Gehör verzichtet habe. Die Beschwerdeführerin hält dem entgegen, bei der Anordnung einer Vertretungs- und Verwaltungsbeistandschaft mit Entzug des Zugriffs auf den wesentlichen Teil des Vermögens handle es sich um einen schweren Eingriff in die Persönlichkeit und damit in die Grundrechte der betroffenen Person. Ein Verzicht auf die persönliche Anhörung könne deshalb nicht leichthin angenommen werden, schon gar nicht, wenn die betroffene Person keiner Einladung unentschuldigt ferngeblieben sei und überdies die Tragweite des zur Diskussion stehenden Entscheides gar nicht gekannt habe.

4.2. Das Recht der betroffenen Person, von der Erwachsenenschutzbehörde persönlich angehört zu werden, ist in Art. 447 Abs. 1 ZGB geregelt. Diese Bestimmung geht weiter als der verfassungsmässige Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV), indem sie eine Pflicht der Behörde zur mündlichen Anhörung der betroffenen Person statuiert (Botschaft vom 28. Juni 2006 zur Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches [Erwachsenenschutz, Personenrecht und Kindesrecht], BBl 2006 7079 Ziff. 2.3.2). Die persönliche Anhörung soll nämlich, Art. 388 ZGB entsprechend, das Wohl und den Schutz hilfsbedürftiger Personen sicherstellen und die Selbstbestimmung der betroffenen Person so weit wie möglich erhalten und fördern (Botschaft, a.a.O.; AUER/MARTI, in: Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch, 5. Aufl. 2014, N. 7 zu Art. 447 ZGB; FASSBIND, in: Orell Füssli Kommentar, Schweizerisches Zivilgesetzbuch, 3. Aufl. 2016, N. 1 zu Art. 447 ZGB; MEIER, Droit de la protection de l’adulte, 2016, Rz. 217; STECK, in: Erwachsenenschutzrecht, Rosch und andere [Hrsg.], 2. Aufl. 2015, N. 5 zu Art. 447 ZGB). Oft ist sie auch zur Sachverhaltsabklärung unentbehrlich (Botschaft, a.a.O.; MARANTA / AUER/MARTI, in: Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch, 6. Aufl. 2018, N. 6, N. 17 und N. 21 zu Art. 447 ZGB; KUHN, Das Verfahren vor der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde, recht 32/2014 S. 227; STECK, a.a.O., N. 7 zu Art. 447 ZGB). Deshalb genügt es nicht, der betroffenen Person lediglich Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme zu geben (Botschaft, a.a.O.; AUER/MARTI, a.a.O., N. 7 zu Art. 447 ZGB; MEIER, a.a.O., Rz. 218; KUHN, a.a.O., S. 226; SCHMID, Erwachsenenschutz, 2010, N. 4 zu Art. 447 ZGB; STECK, a.a.O., N. 5 zu Art. 447 ZGB).

4.3. Die Pflicht zur persönlichen Anhörung ist indes nicht absolut. Eine Ausnahme davon besteht dann, wenn die persönliche Anhörung nach den gesamten Umständen als unverhältnismässig erscheint (Art. 447 Abs. 1 in fine ZGB; Botschaft, a.a.O.). Dies ist der Fall, wenn die persönliche Anhörung nicht erforderlich oder geeignet ist, um die damit verfolgten Zwecke der Sachverhaltsabklärung und der Wahrung der Persönlichkeitsrechte der betroffenen Person zu erreichen (siehe auch Art. 389 Abs. 2 ZGB). Unverhältnismässig kann die Anhörung etwa sein, wenn lediglich ergänzende Anordnungen getroffen werden müssen und es auf den persönlichen Eindruck, den sich die Behörde vom Betroffenen machen könnte, nicht mehr entscheidend ankommt (Botschaft, a.a.O.; AUER/MARTI, a.a.O., N. 32 zu Art. 447 ZGB; FASSBIND, a.a.O., N. 1 zu Art. 447 ZGB; SCHMID, a.a.O., N. 5 zu Art. 447 ZGB; STECK, a.a.O., N. 8 zu Art. 447 ZGB). Werden Massnahmen aufgehoben, kann die persönliche Anhörung ebenfalls entfallen (Botschaft, a.a.O.; AUER/MARTI, a.a.O., N. 32 zu Art. 447 ZGB; KUHN, a.a.O., S. 227; a.M. SCHMID, a.a.O., N. 5 zu Art. 447 ZGB; vgl. jedoch zur Anhörungspflicht bei Verweigerung der Aufhebung einer Massnahme: BGE 117 II 379 E. 2 [noch zu Art. 374 aZGB]).

4.4. Der Entscheid, ob die persönliche Anhörung unverhältnismässig scheint, liegt im Ermessen des Sachrichters (Urteil 5A_611/2017 vom 31. Januar 2018 E. 7.3 mit Hinweisen). Ermessensentscheide dieser Art überprüft das Bundesgericht mit Zurückhaltung. Es greift nur ein, wenn die kantonale Instanz von dem ihr zustehenden Ermessen einen falschen Gebrauch gemacht hat, d.h. wenn sie grundlos von in Lehre und Rechtsprechung anerkannten Grundsätzen abgegangen ist, wenn sie Gesichtspunkte berücksichtigt hat, die keine Rolle hätten spielen dürfen, oder wenn sie umgekehrt rechtserhebliche Umstände ausser Acht gelassen hat. Aufzuheben und zu korrigieren sind ausserdem Ermessensentscheide, die sich im Ergebnis als offensichtlich unbillig oder als in stossender Weise ungerecht erweisen (BGE 142 III 617 E. 3.2.5; 141 III 97 E. 11.2; je mit Hinweis).

4.5. Dem angefochtenen Entscheid ist zu entnehmen, dass die Beschwerdeführerin von der KESB nur am 19. September 2017 im Zusammenhang mit dem ersten Verfahren auf Erlass einer blossen Begleitbeistandschaft persönlich angehört wurde. Anschliessend fand, wie sich aus den Ausführungen der Vorinstanz ergibt, keine mündliche Anhörung mehr statt, weil kein Termin mehr zu Stande kam. Dem angefochtenen Urteil ist aber auch keinerlei Hinweis darauf zu entnehmen, dass der Beschwerdeführerin bekannt gegeben worden wäre, dass es um die Verschärfung der Massnahme gehen solle, keine weitere Verschiebung des Anhörungstermins möglich sei und die KESB auf Grund der Akten entscheide, wenn die Beschwerdeführerin den festgelegten Termin nicht wahrnehmen könne, was in der Beschwerde ausdrücklich gerügt wird.

Dem Kantonsgericht kann ohne Weiteres zugestimmt werden, dass das Vorgehen der KESB nachvollziehbar ist. Termine immer wieder zu verschieben, macht ein Verfahren äusserst schwerfällig. Im Bereich des Erwachsenenschutzes ist ein beförderliches und konsequentes Vorgehen häufig äusserst wichtig. Das darf aber nicht zur Verletzung der grundlegenden Verfahrensrechte der betroffenen Person führen und eine sorgfältige Sachverhaltsabklärung verhindern. Die KESB hätte die Beschwerdeführerin ein weiteres Mal aufbieten und ihr gegebenenfalls androhen müssen, mangels Mitwirkung auf Grund der Akten zu entscheiden. Sie hätte ihr zudem auch mitteilen müssen, dass die Beiständin eine Erweiterung der Massnahme beantragt hatte, d.h. dass eine Vertretungsbeistandschaft mit Vermögens- und Einkommensverwaltung zur Diskussion stand. Entgegen den Ausführungen in der Vernehmlassung der KESB vom 15. Mai 2019 genügt es nicht, dass die betroffene Person jederzeit die Möglichkeit hat, die KESB per Telefon oder E-Mail oder schriftlich zu erreichen und einen Termin zu vereinbaren. Der Untersuchungsgrundsatz (Art. 446 Abs. 1 ZGB) gebietet ein aktives Handeln der Behörde. Diese konnte auf Grund der konkreten Umstände im vorliegenden Fall keinesfalls aus dem Verhalten der Beschwerdeführerin auf einen Verzicht auf die persönliche Anhörung schliessen. Überdies ist fraglich, ob mit Blick auf den Untersuchungsgrundsatz und die ungeklärten Sachverhaltsfragen (Ursachen der Vermögensverminderung und Betreibungen, Verwendung der Finanzen, mentaler Gesundheitszustand und Budgetbedarf der Beschwerdeführerin) ein solcher Verzicht überhaupt beachtlich gewesen wäre.

Die Beschwerde erweist sich somit bereits in diesem Punkt als begründet, was die Rückweisung der Sache zur Durchführung einer persönlichen Anhörung der Beschwerdeführerin und zu neuem Entscheid zur Folge hat (Art. 107 Abs. 2 Satz 2 BGG). Damit erübrigt sich die Prüfung der materiellen Begründetheit der angeordneten Massnahme.

Diesbezüglich muss angemerkt werden, dass, wenn die KESB die betroffene Person nicht persönlich angehört hat, dieser Verfahrensmangel grundsätzlich im kantonalen Beschwerdeverfahren geheilt werden kann, wenn die Beschwerdeinstanz die persönliche Befragung nachholt. Dies ist allerdings im vorliegenden Fall nicht passiert.