Beleidigung leicht gemacht

Mit dem Motto „Strafprozessordnung soll praxistauglicher werden“ schlägt der Bundesrat in der Botschaft vom 28. August 2019 verschiedene Änderungen der StPO vor. Unter anderem sieht er in seinem Entwurf eine Sicherheitsleistung bei Ehrverletzungsdelikten (Üble Nachrede, Verleumdung, Beschimpfung) vor. Cash first.

Art. 303a E-StPO
Sicherheitsleistung bei Ehrverletzungsdelikten
1 Bei Ehrverletzungsdelikten kann die Staatsanwaltschaft die antragstellende Person auffordern, innert einer Frist für allfällige Kosten und Entschädigungen Sicherheit zu leisten.
2 Wird die Sicherheit nicht fristgerecht geleistet, so gilt der Strafantrag als zurückgezogen.

Der Bundesrat begründet dies wie folgt:

Art. 303a

Einzelne kantonale Strafprozessordnungen kannten die Möglichkeit, die Durchführung eines Verfahrens von der Leistung eines Kostenvorschusses abhängig zu machen, wenn Antragsdelikte (insbesondere Ehrverletzungsdelikte und Tätlichkeiten) Gegenstand des Verfahrens bildeten.

Der Bundesrat schlägt vor, für Ehrverletzungsdelikte die Möglichkeit einzuführen, von der antragstellenden Person eine Sicherheitsleistung für Kosten und Entschädigung zu verlangen. Dies aus der Überlegung, dass bei solchen Delikten der Antrieb für eine Anzeige oftmals eher im Wunsch nach persönlicher Vergeltung liegt als in der Tatsache einer Rechtsgutverletzung. Stehen solche Motive für eine Anzeige im Vordergrund, so rechtfertigt es sich, von der antragstellenden Person einen Vorschuss zu verlangen, bevor der Strafverfolgungsapparat in Gang gesetzt wird.

Die Bestimmung statuiert keine Pflicht zur Einforderung einer Sicherheit. Vielmehr hat die Staatsanwaltschaft sowohl bei der Frage, ob eine Sicherheit verlangt wird, als auch bei der Festsetzung der Höhe ein Ermessen. Dabei hat sie unter anderem die Bedeutung der Sache und die finanzielle Situation der antragstellenden Person zu berücksichtigen.

Die Schaffung einer Möglichkeit zur Einforderung eines Kostenvorschusses wurde in der Vernehmlassung überwiegend begrüsst; einige Vernehmlassungsteilnehmende verlangten die Ausweitung auf weitere Delikte.

Die Einführung einer Sicherheitsleistung bei Ehrverletzungsdelikten hat sicher eine gewisse Berechtigung, wenn, wie der Bundesrat schreibt, eher der Wunsch nach einer persönlichen Vergeltung als in der Tatsache einer Rechtsgutverletzung vorliegt. Es ist richtig, dass das Strafrecht nicht für persönliche Auseinandersetzungen instrumentalisiert werden soll. In solchen Fällen fehlt es zudem regelmässig auch an einem staatlichen Strafverfolgungsinteresse. Das ist insbesondere der Fall, wenn Ehrverletzungen mündlich erfolgen und es keine Zeugen gibt, also bei sogenannten Vieraugendelikten, bei denen eine grosse Beweisproblematik besteht, da die Aussagen der beteiligen Personen oft total konträr gegenüberstehen.

Die Motivation für diese Gesetzesbestimmung findet allerdings keinen Ausdruck im Gesetzestext. Der Gesetzesartikel ist absolut formuliert und gilt für sämtliche Ehrverletzungsdelikte uneingeschränkt. Einschränkungen, bei denen eine Sicherheitsleistung nicht zulässig ist, finden sich nicht im Gesetzestext. Der Artikel ist zwar als Kann-Vorschrift formuliert, was aber nicht als grundsätzliche Einschränkung der Erhebung von Sicherheitsleistungen verstanden werden kann. Die Überlegungen des Bundesrats in der Botschaft müssten im Gesetzestext verankert werden. Es müsste in der StPO-Bestimmung konkretisiert werden, unter welchen Voraussetzungen Sicherheitsleistungen zulässig sind.

Was als Kann-Vorschrift formuliert ist, führt in der Praxis jedoch nicht selten zu einer Soll-Bestimmung. Das ist auch hier zu befürchten. Wenn eine Möglichkeit geschaffen wird, wird diese auch genutzt. Die Kann-Vorschrift wird jedenfalls zunächst zu einer massiven Rechtszersplitterung führen. Manche Kantone werden Sicherheitsleistungen erheben, manche nicht, manche nur teilweise. Selbst innerhalb des gleichen Kantons kann diese Rechtslage zu grossen Unterschieden führen. Das kennen wir bereits heute aus dem Zivilprozess. Dies führt zu einer Gerichtsstandslotterie für die Geschädigten. Über kurz oder lang wird solch eine Kann-Bestimmung ausserdem dazu führen, dass Staatsanwaltschaften mehrheitlich die Eröffnung einer Strafuntersuchung von der Leistung einer Sicherheitsleistung abhängig machen werden. Den Kantonen ist schliesslich die eigene Kasse näher als die kostspielige Verfolgung von Antragsdelikten. Das private und auch das öffentliche Interesse an der Verfolgung von Ehrverletzungsdelikten wird folglich aus rein fiskalischen Gründen geopfert. Die hehren Ziele des Bundesrates verflüchtigen sich. Rechtsschutz geniesst dann nur noch, wer ihn sich leisten kann oder wenn die Rechtsschutzversicherung für die Kosten aufkommt. Täterschutz statt Opferschutz.

Die Argumentation des Bundesrates geht schliesslich auch völlig an der Rechtswirklichkeit vorbei. Ehrverletzungen finden heute vor allem im Internet statt, namentlich in sozialen Medien (Twitter, Facebook etc.). Einer Person, die sich gegen Ehrverletzungen im Internet wehrt, vorzuwerfen, dass es ihr nur um persönliche Vergeltung gehe, ist fragwürdig. Stattdessen müsste klargestellt werden, dass es grundsätzlich nicht rechtsmissbräuchlich ist, wenn sich eine betroffene Person gegen Ehrverletzungen im Internet wehrt. Zudem gibt es ein erhebliches öffentliches Interesse an der Verfolgung von solchen Taten, damit das Internet nicht zum rechtsfreien Raum verkommt. Ehrverletzungsdelikte sind folglich keine reine Privatsache.

Es ist zu hoffen, dass sich nach den Wahlen im Parlament eine Mehrheit findet, welche sich dieser Problematik mehr bewusst ist als der Bundesrat. Es ist angezeigt, die Bestimmung betreffend die Sicherheitsleistung gänzlich zu streichen oder deren Anwendungsbereich massiv einzuschränken bzw. die Höhe der Sicherheitsleistung zu begrenzen. Namentlich ist es bei Ehrverletzungen im Internet angezeigt, auf Sicherheitsleistungen in der Regel gänzlich zu verzichten.

Im Kanton Zürich reichte SVP-Kantonsrat Claudio Schmid am 28. Mai 2018 eine Parlamentarische Initiative mit dem Titel „Strafverfolgungsbehörden können in gewissen Fällen eine Kaution verlangen“ ein, mit der er das gleiche bezweckt, was mit Art. 303a StPO eingeführt werden soll. Allerdings ist für ihn die Erhebung einer Sicherheitsleistung der Regelfall, von dem nur ausnahmsweise abgewichen werden kann. Der Kantonsrat unterstützte die Parlamentarische Initiative am 8. April 2019 vorläufig, obwohl längst bekannt war, dass der Bundesgesetzgeber eine entsprechende Bestimmung plant. Der Regierungsrat begrüsste bereits in seiner Vernehmlassungsantwort vom 28. März 2018 (RRB Nr. 300/2018) die geplante StPO-Änderung betreffend die Einführung einer Sicherheitsleistung. Jedenfalls ist der Kanton wegen des Grundsatzes der derogatorischen Kraft des Bundesrechts (Art. 49 Abs. 1 BV) nicht befugt, eine solche Bestimmung zu erlassen. Das gilt insbesondere auch für den Fall, wenn der Bundesgesetzgeber auf die Einführung einer Sicherheitsleistung verzichten sollte.

Im Übrigen gibt es bereits heute Möglichkeiten, um auf unnötige Ehrverletzungsanzeigen reagieren zu können. Vor allem sollte mehr Vergleichsverhandlungen durchgeführt werden.

3. Abschnitt: Vergleich
Art. 316 StPO
1 Soweit Antragsdelikte Gegenstand des Verfahrens sind, kann die Staatsanwaltschaft die antragstellende und die beschuldigte Person zu einer Verhandlung vorladen mit dem Ziel, einen Vergleich zu erzielen. Bleibt die antragstellende Person aus, so gilt der Strafantrag als zurückgezogen.
(…)

Diesbezüglich sollte es gesetzlich ermöglicht werden, dass das Vergleichsverfahren an eine externe Mediationsstelle delegiert werden kann.