KESB: Stolperfalle Verfahrensrecht

In meinem Beitrag „Das KESB-Verfahren“ habe ich bereits 2017 auf die schwierige und uneinheitliche Rechtslage hingewiesen. Diese ist tricky, so dass selbst Anwälte daran scheitern können. Dies zeigt sich exemplarisch in einem Fall, den das Bundesgericht im Urteil vom 29. Mai 2020 (5A_413/2020) behandelt hat:

2. Streitfrage ist, ob das massgebliche kantonale Verfahrensrecht einen Fristenstillstand über Ostern kennt und Art. 1 Abs. 1 der Verordnung über den Stillstand der Fristen in Zivil- und Verwaltungsverfahren zur Aufrechterhaltung der Justiz im Zusammenhang mit dem Coronavirus (SR 173.110.4) für das kantonale Beschwerdeverfahren zum Tragen kam.

2.1. Das Kantonsgericht hat erwogen, dass die Beschwerdefrist gemäss Art. 450b Abs. 1 ZGB dreissig Tage betrage und mithin am 9. April 2020 abgelaufen sei. § 66 Abs. 2 EG ZGB/BL verweise für das kantonale Beschwerdeverfahren auf Art. 450 ff. ZGB und erkläre im Übrigen die Bestimmungen des kantonalen Verwaltungsprozessrechts (VPO/BL) für anwendbar, welches keinen Stillstand von gesetzlichen Fristen über die Ostertage vorsehe. Entsprechend sei auch Art. 1 Abs. 1 der Verordnung über den Stillstand der Fristen in Zivil- und Verwaltungsverfahren zur Aufrechterhaltung der Justiz im Zusammenhang mit dem Coronavirus nicht anwendbar, weil diese einzig Osterferien verlängere, wenn solche nach dem anwendbaren Verfahrensrecht des Bundes oder des Kantons bestünden.
(…)
2.3. Ausgangspunkt bildet Art. 450f ZGB, welcher festhält, dass – unter Vorbehalt der in Art. 450 – 450e ZGB festgehaltenen bundesrechtlichen Minimalvorschriften – für das kantonale Verfahren vor der gerichtlichen Beschwerdeinstanz die Bestimmungen der Zivilprozessordnung sinngemäss anwendbar sind, soweit die Kantone nichts anderes bestimmen. Eine positive kantonale Regelung verdrängt mithin die subsidiäre Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung. Die Kantone sind diesbezüglich bei der Ausgestaltung des kantonalen Verfahrens aufgrund des zuteilenden Vorbehaltes durch den Bundesgesetzgeber frei (zuletzt Urteile 5A_4/2020 vom 9. Januar 2020 E. 1; 5A_34/2020 vom 20. Januar 2020 E. 1; 5A_36/2020 vom 20. Januar 2020 E. 2; 5A_90/2020 vom 7. Februar 2020 E. 1). Manche regeln das Verfahren in Einführungsgesetzen, andere erklären das Verwaltungsrechtspflegegesetz für anwendbar, wiederum andere sehen die Anwendung der ZPO vor. Nur für den Fall, dass es ein Kanton unterlässt, überhaupt eine Regelung zu treffen, kommt nach Art. 450f ZGB subsidiär die ZPO zur Anwendung; der Bundesgesetzgeber will damit verhindern, dass es für das Beschwerdeverfahren bloss bei den Minimalvorschriften von Art. 450 – 450e ZGB bleibt.
(…)
2.5. Zunächst ist Folgendes festzuhalten: Weil Art. 450f ZGB einen zuteilenden Vorbehalt zugunsten des kantonalen Rechts enthält, ist auf die Gesetzeslage im jeweiligen Kanton abzustellen; für Basel-Landschaft kann selbstredend nicht diejenige eines anderen Kantons (nebst Basel-Stadt wird vergleichend auch noch auf den Kanton Zürich verwiesen) massgebend sein.

Der Kanton Basel-Landschaft hat vom zuteilenden Vorbehalt in Art. 450f ZGB dahingehend Gebrauch gemacht, dass er für das kantonale Beschwerdeverfahren gegen Entscheide der KESB die Bestimmungen des kantonalen Verwaltungsprozessrechts für anwendbar erklärt hat (vgl. § 66 EG ZGB/BL). Damit kommt – entgegen den Ausführungen in der Beschwerde – nicht die ZPO, sondern eben die VPO/BL zur Anwendung (vgl. E. 2.3), wie dies im angefochtenen Entscheid zutreffend dargestellt wird.

Die VPO/BL kennt – wie die meisten kantonalen Verwaltungsrechtspflegegesetze, wobei dies mehrheitlich durch qualifiziertes Schweigen, seltener durch expliziten Ausschluss geschieht (z.B. § 21 Abs. 2 VRPG/BS) – keine Gerichtsferien. Entsprechend kommt, wie im angefochtenen Entscheid zutreffend festgehalten wird, Art. 1 Abs. 1 der Verordnung über den Stillstand der Fristen in Zivil- und Verwaltungsverfahren zur Aufrechterhaltung der Justiz im Zusammenhang mit dem Coronavirus nicht zur Anwendung. Der Wortlaut der Norm ist klar und nicht weiter auslegebedürftig. Sinn der Bestimmung war nicht, einen allgemeinen Fristenstillstand einzuführen, sondern vielmehr die Osterferien, soweit das einschlägige Verfahrensrecht solche vorsieht, vorzuverlängern.

Dieser Fall illustriert einmal mehr deutlich, warum es angezeigt wäre, das KESB-Verfahrensrecht national zu vereinheitlichen.