Wer bezahlt den Anwalt der ersten Stunde?

Die beschuldigte Person ist berechtigt, von Anfang an eine Verteidigung zu bestellen oder zu beantragen (Art. 158 Abs. 1 Bst. c StPO). Dabei stellt sich die Frage, wer den Anwalt der ersten Stunde zu bezahlen hat.

Grundsätzlich hat der Beschuldigte seine Verteidigung selbst zu bezahlen (Art. 129 StPO). Der Anwalt der ersten Stunde ist kein Gratisservice.

In Fällen von amtlicher Verteidigung (Art. 132 StPO) kommt zunächst das Gericht oder die Staatsanwaltschaft für die Verteidigungskosten auf. Bei einer Verurteilung trägt zwar die beschuldigte Person grundsätzlich die Verfahrenskosten (Art. 426 Abs. 1 StPO), die Kosten der amtlichen Verteidigung muss sie jedoch nur bezahlen, wenn es ihre wirtschaftlichen Verhältnisse erlauben (Art. 135 Abs. 4 StPO). Bei einem Freispruch gehen die Kosten der amtlichen Verteidigung zulasten der Gerichtskasse, ausser die beschuldigte Person hat die Einleitung des Strafverfahrens rechtswidrig und schuldhaft bewirkt oder dessen Durchführung erschwert (Art. 426 Abs. 2 StPO).

Problematisch sind Fälle, bei denen keine notwendige Verteidigung (Art. 130 StPO) vorliegt, die aber dennoch keine Bagatellfälle mehr sind (Art. 132 Abs. 2 und 3 StPO). Ferner handelt sich um Fälle von unentgeltlicher Rechtspflege, also um Fälle, in denen sich die beschuldigte Person keine Verteidigung leisten kann (Art. 132 Abs. 1 Bst b StPO). Ansonsten muss die beschuldigte Person die Verteidigung selbst bezahlen. Das Gleiche gilt bei Bagatellfällen.

Das Bundesgericht hatte in einem Fall (BGE vom 12. August 2015, 1B_66/2015) folgenden Sachverhalt zu beurteilen:

A. Die Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat führte gegen A. eine Strafuntersuchung wegen Diebstahls, versuchten Diebstahls und Widerhandlungen gegen das Ausländergesetz (AuG; SR 142.20).

Anlässlich der ersten polizeilichen Befragung am 3. Dezember 2014 verlangte A. den „Anwalt der ersten Stunde“. Der beigezogene Verteidiger stellte im Namen des Beschuldigten während der Einvernahme ein Gesuch um Bestellung als amtlicher Verteidiger.

B. Mit Strafbefehl vom 4. Dezember 2014 wurde A. wegen Diebstahls eines Fingerrings im Sinne von Art. 139 Ziff. 1 StGB und rechtswidriger Einreise gemäss Art. 115 Abs. 1 lit. a AuG schuldig gesprochen und mit einer Geldstrafe von 45 Tagessätzen zu je Fr. 30.– bestraft. Der Vollzug der Geldstrafe wurde aufgeschoben, unter Ansetzung einer Probezeit von drei Jahren. Das Strafverfahren wegen versuchten Diebstahls einer Armbanduhr wurde mit Verfügung vom 8. Dezember 2014 eingestellt.

Das Bundesgericht erwägte dabei Folgendes:

2.3. Der Beizug eines sog. Anwalts der ersten Stunde ist in der StPO speziell geregelt. Nach Art. 158 Abs. 1 lit. c StPO weisen die Polizei oder die Staatsanwaltschaft die beschuldigte Person zu Beginn der ersten Einvernahme in einer ihr verständlichen Sprache darauf hin, dass sie berechtigt ist, eine Verteidigung zu bestellen oder gegebenenfalls eine amtliche Verteidigung zu beantragen. Der Anspruch auf einen Anwalt der ersten Stunde wird in Art. 159 StPO gewährleistet: Die beschuldigte Person hat bei polizeilichen Einvernahmen im Ermittlungsverfahren das Recht, dass ihre Verteidigung anwesend sein und Fragen stellen kann (Abs. 1); bei polizeilichen Einvernahmen einer vorläufig festgenommenen Person hat diese zudem das Recht, mit ihrer Verteidigung frei zu verkehren (Abs. 2). Die Geltendmachung dieser Rechte gibt aber keinen Anspruch auf Verschiebung der Einvernahme (Abs. 3).

Bei der Beurteilung, ob der beigezogene Anwalt der ersten Stunde gegebenenfalls als amtlicher Verteidiger im Sinne von Art. 132 Abs. 1 lit. b StPO eingesetzt werden kann, ist es unerlässlich, eine ex ante Perspektive einzunehmen. Mit anderen Worten hat diese Beurteilung unter Würdigung der Umstände zu erfolgen, wie sie sich im Zeitpunkt der Aufbietung des Anwalts der ersten Stunde präsentierten. Steht nicht bereits zu Beginn fest, dass es sich klarerweise bloss um einen leichten und einfachen Straffall handelt, ist der aufgebotene Anwalt der ersten Stunde als amtlicher Verteidiger beizugeben. Sollte sich in einem späteren Verfahrensstadium herausstellen, dass die in den Abs. 2 und 3 des Art. 132 StPO genannten Voraussetzungen nicht erfüllt werden, ist das Mandat im Sinne von Art. 134 Abs. 1 StPO aufzuheben.

Wie nachfolgend aufgezeigt wird (vgl. E. 2.5), handelt es sich beim vorliegenden Fall nicht um einen leichten und einfachen Straffall: Nicht nur liessen die Verhältnisse im Zeitpunkt der Aufbietung des Anwalts der ersten Stunde mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit darauf schliessen, dass kein Bagatellfall vorliegt; der Straffall warf darüber hinaus auch besondere Schwierigkeiten auf.

2.5. (…)
Dem Obergericht ist insoweit zuzustimmen, als die Vorwürfe des (versuchten) Diebstahls und der rechtswidrigen Einreise in tatsächlicher Hinsicht für den Beschwerdeführer verständlich und die Beweiserhebungen erfassbar waren. Nicht gefolgt werden kann indessen seiner Auffassung, der Fall biete in rechtlicher Hinsicht keine Schwierigkeiten. Immerhin wurden dem Beschwerdeführer mehrere Vorfälle zur Last gelegt, was für sich alleine bereits eine nicht unerhebliche Komplexität darstellt. Einer davon umfasste den Vorwurf des versuchten Diebstahls einer Armbanduhr im Wert von Fr. 39’500.‒. Der Beschwerdeführer wurde beschuldigt, die Uhr in einem Geschäft anprobiert und ständig belanglose Fragen gestellt zu haben, wohl in der Hoffnung, die Verkäuferin werde vergessen, dass er die Uhr noch am Handgelenk trage. Er habe sodann telefonieren müssen und dabei Anstalten gemacht, das Geschäft verlassen zu wollen, bevor er von der Verkäuferin auf die Uhr angesprochen worden sei. Daraufhin habe er sich noch einmal nach dem Preis erkundigt und gesagt, er müsse es sich überlegen, ehe er das Geschäft verlassen habe. Dass es sich hierbei ‒ wie von der Vorinstanz ausgeführt ‒ klarerweise um eine einfache Fallkonstellation handle, ist nicht offenkundig. Bei dieser Sachlage ist die Abgrenzung zwischen einer straflosen Vorbereitungshandlung und dem Beginn des Versuchsstadiums für einen juristischen Laien nicht leicht zu erfassen. Zudem wurde der subjektive Tatbestand bestritten, zu welchem neben dem Vorsatz ein Aneignungswille und eine Bereicherungsabsicht gehören. Dass diesbezüglich Unklarheiten bestanden, lässt sich auch aus dem Tathergang schliessen und ist im Übrigen der Einstellungsverfügung zu entnehmen, in der die Staatsanwaltschaft bemerkte, dem Beschuldigten könne trotz gewichtiger Verdachtsmomente letztlich nicht rechtsgenügend nachgewiesen werden, einen Diebstahlsversuch unternommen zu haben. Es ist daher nur schwerlich nachvollziehbar, wie der Beschwerdeführer, der über kein juristisches Fachwissen verfügt und mit dem hiesigen Justizsystem nicht vertraut ist, zu diesen für den Ausgang des Verfahrens entscheidenden Fragen kompetent hätte Stellung nehmen können. Im Übrigen kann aus dem Hinweis der Vorinstanz, der Nachweis des Vorsatzes bilde eine Frage der Beweiswürdigung ‒ welche von Amtes wegen vorzunehmen ist ‒ nicht abgeleitet werden, der Beschuldigte brauche keinen Anwalt (Urteil 1B_102/2012 vom 24. März 2012 E. 2.2 mit Hinweisen).

2.6. Nach dem Gesagten ist der Anspruch des Beschwerdeführers auf amtliche Verteidigung zu bejahen. Die Rüge der Verletzung von Art. 132 Abs. 1 lit. b StPO bzw. Art. 29 Abs. 3 BV und Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK ist begründet. Wird die amtliche Verteidigung gewährt, erfolgt die Beigabe des Rechtsvertreters rückwirkend auf den Mandatsantritt hin (vgl. Urteil 1B_263/2013 vom 20. November 2013 E. 5) und erfasst somit auch die Leistungen als Anwalt der ersten Stunde (ebenso GUNHILD GODENZI, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 23b zu Art. 159; DONATSCH/CAVEGN, Der Anspruch auf einen Anwalt zu Beginn der Strafuntersuchung, forumpoenale 2/2009, S. 107; NIKLAUS RUCKSTUHL, in: Basler Kommentar zur StPO, 2. Aufl. 2014, N. 31 zu Art. 159). Dies entspricht im Übrigen auch der Praxis im Kanton Zürich ( SCHLEGEL/WOHLERS, Der „Anwalt der ersten Stunde“ in der Schweiz, StV 5/2012 S. 316; STEFAN HEIMGARTNER, Amtliche Mandate im Vorverfahren – Zürcher Praxis, forumpoenale 3/2012, S. 168).

Es kann folglich offen bleiben, ob ein Anwendungsfall der Gebotenheit sui generis vorliegt.

Nach dieser Rechtsprechung ist es somit einfacher, dass der Anwalt der ersten Stunde als amtlicher Verteidiger des Beschuldigten bestellt wird, da die Voraussetzungen der amtlichen Verteidigung unter Würdigung der Umstände im Zeitpunkt der Aufbietung des Anwaltes der ersten Stunde geprüft werden.

Die Frage, ob der Anwalt der ersten Stunde immer vom Staat entschädigt werden muss, liess das Bundesgericht dagegen offen. Hierbei handelt es sich wohl um eine Frage, die politisch geklärt werden muss.

Siehe auch hier: Verteidigung