Verhalten bei Unfall

FDP-Präsident Philipp Müller geriet am 10. September 2015 um 17.15 Uhr mit seinem 487-PS-starken Mercedes auf der Seonstrasse in Lenzburg auf die Gegenfahrbahn und kollidierte mit einer Rollerfahrerin. Bei diesem Unfall wurde die junge Frau schwer verletzt.

Wie es zu diesem Unfall gekommen ist, ist Gegenstand einer strafrechtlichen Untersuchung. Gründe sind mehrere denkbar: Unachtsamkeit, Abgelenktheit, übermässige Geschwindigkeit, Nichtbeherrschen des Fahrzeugs, Fahrunfähigkeit infolge Alkohol, Drogen, Medikamenten oder Übermüdung, ein medizinisches Problem des Fahrers (z.B. Herzinfarkt, epileptischer Anfall, Sekundenschlaf) oder ein technisches Problem des Fahrzeuges. Erst wenn bekannt ist, was genau zum Unfall geführt hat, kann der Unfall strafrechtlich und in Bezug auf den Erlass von Administrativmassnahmen richtig gewürdigt werden.

Strafrechtlich kommen eine schwere fahrlässige Körperverletzung (Art. 125 StGB), Verkehrsregelverletzungen (Art. 90 SVG), das Fahren in fahrunfähigem Zustand (Art. 91 SVG) sowie das pflichtwidrige Verhalten bei Unfall (Art. 92 SVG) in Betracht.

Aus der Medienberichterstattung ist bekannt, dass Müller nach dem Unfall noch 200 Meter weitergefahren ist, dann seinen Mercedes am Strassenrand abgestellt hat und zu Fuss zum Unfallort zurückgekehrt ist.

Das Strassenverkehrsgesetz (SVG) regelt das Verhalten bei Unfall wie folgt:

4. Abschnitt: Verhalten bei Unfällen
Art. 51
1 Ereignet sich ein Unfall, an dem ein Motorfahrzeug oder Fahrrad beteiligt ist, so müssen alle Beteiligten sofort anhalten. Sie haben nach Möglichkeit für die Sicherung des Verkehrs zu sorgen.
2 Sind Personen verletzt, so haben alle Beteiligten für Hilfe zu sorgen, Unbeteiligte, soweit es ihnen zumutbar ist. Die Beteiligten, in erster Linie die Fahrzeugführer, haben die Polizei zu benachrichtigen. Alle Beteiligten, namentlich auch Mitfahrende, haben bei der Feststellung des Tatbestandes mitzuwirken. Ohne Zustimmung der Polizei dürfen sie die Unfallstelle nur verlassen, soweit sie selbst Hilfe benötigen, oder um Hilfe oder die Polizei herbeizurufen.
3 Ist nur Sachschaden entstanden, so hat der Schädiger sofort den Geschädigten zu benachrichtigen und Namen und Adresse anzugeben. Wenn dies nicht möglich ist, hat er unverzüglich die Polizei zu verständigen.
4 Bei Unfällen auf Bahnübergängen haben die Beteiligten die Bahnverwaltung unverzüglich zu benachrichtigen.

Die Verkehrsregelverordung (VRV) konkretisiert die Gesetzesbestimmung folgendermassen:

3. Teil: Verhalten bei Unfällen
Art. 54 Sicherung der Unfallstelle
(Art. 51 Abs. 1 und 4 SVG)
1 Entstehen durch Unfälle, Fahrzeugpannen, herabgefallene Ladungen, ausgeflossenes Öl usw. Verkehrshindernisse oder andere Gefahren, so müssen die Beteiligten, namentlich auch Mitfahrende, sofort Sicherheitsmassnahmen treffen.
2 Die Polizei ist sofort zu benachrichtigen, wenn eine Gefahr nicht unverzüglich beseitigt werden kann, namentlich auch, wenn ausfliessende Flüssigkeiten offene Gewässer oder Grundwasser verunreinigen könnten. Wird der Bahnbetrieb behindert, z.B. wenn Fahrzeuge oder Ladungen auf Bahnanlagen fallen, so ist die Bahnverwaltung sofort zu verständigen.
3 Schaulustige dürfen sich nicht bei Unfallstellen aufhalten und keine Fahrzeuge in der Nähe parkieren.

Art. 55 Unfälle mit Personenschaden
(Art. 51 Abs. 1 und 2 SVG)
1 Bei Unfällen mit Personenschaden ist die Polizei sofort zu benachrichtigen, wenn jemand äussere Verletzungen aufweist oder wenn mit inneren Verletzungen zu rechnen ist.
2 Die Meldung an die Polizei ist nicht erforderlich bei kleinen Schürfungen oder Prellungen; der Schädiger muss aber dem Verletzten Namen und Adresse angeben. Die Polizei muss ebenfalls nicht beigezogen werden, wenn nur der Fahrzeugführer, seine Angehörigen oder Familiengenossen geringfügig verletzt wurden und keine Drittpersonen am Unfall beteiligt sind.
3 Am Unfall nicht beteiligte Personen helfen namentlich, indem sie Arzt und Polizei rufen oder holen, Verletzte transportieren oder den Verkehr sichern.

Art. 56 Feststellung des Tatbestandes
(Art. 51 Abs. 2 und 3 SVG)
1 Die Lage an der Unfallstelle darf bis zum Eintreffen der Polizei nur verändert werden zum Schutz von Verletzten oder zur Sicherung des Verkehrs. Die ursprüngliche Lage soll vorher auf der Strasse angezeichnet werden.
1bis Die Polizei nimmt den Tatbestand auf bei Verkehrsunfällen, die nach Artikel 51 SVG zu melden sind; in andern Fällen hat sie den Tatbestand aufzunehmen, wenn ein Beteiligter es verlangt. Die strafrechtliche Verfolgung bleibt vorbehalten.
2 Will ein Geschädigter die Polizei beiziehen, obwohl keine Meldepflicht besteht, so haben die übrigen Beteiligten bei der Feststellung des Sachverhalts mitzuwirken, bis sie von der Polizei entlassen werden.
3 Die Führer von Feuerwehr-, Sanitäts-, Polizei- und Zollfahrzeugen auf dringlicher Fahrt und die Führer von Fahrzeugen öffentlicher Verkehrsbetriebe im fahrplanmässigen Verkehr dürfen weiterfahren, wenn die Hilfe an Verletzte und die Feststellung des Sachverhaltes gewährleistet sind.
4 Erfährt ein Fahrzeugführer erst nachträglich, dass er an einem Unfall beteiligt war oder beteiligt sein konnte, so hat er unverzüglich zur Unfallstelle zurückzukehren oder sich beim nächsten Polizeiposten zu melden.

Müller hat sich beim Unfall nicht korrekt verhalten, weil er nicht sofort angehalten hat, sondern erst noch 200 Meter weitergefahren ist, bevor er gestoppt hat.

Es ist zu erwarten, dass ein Unfallverursacher sofort sein Fahrzeug anhält, wenn er einen Unfall verursacht hat. Selbst wenn Müller einen Aussetzer gehabt hat, dürfte ihn der heftige Crash sofort wieder zurück in die Wirklichkeit gebracht haben.

Das Verhalten von Müller könnte auch so gewürdigt werden, dass er den Unfall sehr wohl bemerkt und in einer Kurzschlussreaktion entschieden hat, vom Unfallort zu fliehen, jedoch ein paar Sekunden später realisiert hat, dass das ein Fehlentscheid ist und gestoppt hat. Somit stellt sich die Frage, ob das Verhalten von Müller auch als Fahrerflucht zu würdigen ist.

Die Strafbestimmung des SVG lautet wie folgt:

Art. 92
Pflichtwidriges Verhalten bei Unfall
1 Mit Busse wird bestraft, wer bei einem Unfall die Pflichten verletzt, die ihm dieses Gesetz auferlegt.
2 Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe wird bestraft, wer als Fahrzeugführer bei einem Verkehrsunfall einen Menschen getötet oder verletzt hat und die Flucht ergreift.

Tatbestandsmässig liegt klarerweise ein pflichtwidriges Verhalten bei Unfall vor, da Müller nicht sofort angehalten hat. Einer Bestrafung diesbezüglich kann Müller nur entgehen, wenn er für die Zeit ab dem Unfall bis zum Stoppen des Fahrzeuges komplett weggetreten ist, mithin folglich von Schuldunfähigkeit (Art. 19 Abs. 1 StGB) auszugehen ist. Ob auch eine Fahrerflucht vorliegt, kann ohne Kenntnis des genauen Sachverhaltes nicht beurteilt werden, allerdings ist das Verhalten von Müller doch sehr auffällig.