Vier Prinzipien des Zivilprozessrechts

Der Zivilprozess wird von verschiedenen Verfahrensgrundsätzen bestimmt:
– Handeln nach Treu und Glauben (Art. 52 ZPO),
– Rechtliches Gehör (Art. 53 ZPO),
– Öffentlichkeit des Verfahrens (Art. 54 ZPO),
– Verhandlungs- und Untersuchungsgrundsatz (Art. 55 ZPO),
– Gerichtliche Fragepflicht (Art. 56 ZPO),
– Rechtsanwendung von Amtes wegen (Art. 57 ZPO),
– Dispositions- und Offizialgrundsatz (Art. 58 ZPO).

Für mich war es immer ein wenig schwierig, den Verhandlungs- und Untersuchungsgrundsatz sowie den Dispositions- und Offizialgrundsatz auseinander zu halten.

Beim Verhandlungs- und Untersuchungsgrundsatz geht es um die Frage, wer den Sachverhalt darlegen und beweisen muss.

Art. 55 ZPO
Verhandlungs- und Untersuchungsgrundsatz
1 Die Parteien haben dem Gericht die Tatsachen, auf die sie ihre Begehren stützen, darzulegen und die Beweismittel anzugeben.
2 Vorbehalten bleiben gesetzliche Bestimmungen über die Feststellung des Sachverhaltes und die Beweiserhebung von Amtes wegen.

Beim Dispositions- und Offizialgrundsatz geht es um die Frage, wer die Herrschaft über den Streitgegenstand hat.

Art. 58 ZPO
Dispositions- und Offizialgrundsatz
1 Das Gericht darf einer Partei nicht mehr und nichts anderes zusprechen, als sie verlangt, und nicht weniger, als die Gegenpartei anerkannt hat.
2 Vorbehalten bleiben gesetzliche Bestimmungen, nach denen das Gericht nicht an die Parteianträge gebunden ist.

Zusammengefasst ergibt sich folgende Tabelle:

Verfügung über den Streitgegenstand

Ermittlung des Sachverhaltes, Beweiserhebung

Parteien

Dispositionsgrundsatz

(Art. 58 Abs. 1 ZPO)

Verhandlungsgrundsatz

(Art. 55 Abs. 1 ZPO)

Beispiele:

– Scheidungsverfahren (güterrechtliche Auseinandersetzung, nachehelicher Unterhalt) (Art. 277 Abs. 1 ZPO)

Gericht

Offizialgrundsatz

(Art. 58 Abs. 2 ZPO)

Beispiele:

– Kinderbelange in familienrechtlichen Angelegenheiten (Art. 296 Abs. 3 ZPO)

– Genehmigung der Scheidungskonvention (Art. 279 ZPO)

Untersuchungsgrundsatz

(Art. 55 Abs. 2 ZPO)

Beispiele:

– Eheschutzverfahren (Art. 271 Bst. a i.V.m. Art. 272 ZPO)

– Sonstiges Scheidungsverfahren (Scheidungsvoraussetzungen, Teilung der beruflichen Vorsorge, Zuweisung der Familienwohnung (Art. 277 Abs. 3 ZPO)

– Kinderbelange in familienrechtlichen Angelegenheiten (Art. 296 Abs. 1 ZPO)

– Im vereinfachen Verfahren gemäss Art. 247 Abs. 2 ZPO

 

In Kindes- und Erwachsenenschutzverfahren gelten im Übrigen der Untersuchungsgrundsatz (Art. 446 Abs. 1 und 2 ZGB) und der Offizialgrundsatz (Art. 446 Abs. 3 ZGB).