Rassendiskriminierung: Die Rocchi-Praxis

Das Bundesgericht befasste sich im Urteil vom 3. Januar 2017 (1B_320/2015 = BGE 143 IV xxx) mit folgendem Sachverhalt:

A. A. ist jüdischen Glaubens. Am 17. Mai 2013 erstattete er Strafanzeige gegen den Komiker und Kabarettisten B. wegen Rassendiskriminierung. Dieser habe sich in der am „…“ im Schweizer Fernsehen (…) ausgestrahlten Sendung „Sternstunde Philosophie“ zum Humor des Komikers verglichen mit dem jüdischen Humor geäussert. Dabei habe er das antisemitische Klischee des geldgierigen Juden bedient. Er habe zum Ausdruck gebracht, dass der Jude, wenn er Witze mache oder Humor zeige, nicht einfach lustig sein, sondern immer Geld verdienen wolle.

Aus den Medien ist bekannt, dass es sich beim Beschuldigten um den allseits beliebten und politisch unverdächtigen Komiker Massimo Rocchi (B.) handelt. Strafanzeige erhob der Basler Musiker David Klein (A.).

B. Mit Verfügung vom 16. Dezember 2014 stellte die Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat (im Folgenden: Staatsanwaltschaft) fest, A. habe keine Geschädigtenstellung und werde als Privatkläger nicht zugelassen. Sie sistierte das Verfahren bis zur Rechtskraft des Entscheids über die Parteistellung von A..

Die von A. dagegen erhobene Beschwerde wies das Obergericht des Kantons Zürich (III. Strafkammer) am 7. Juli 2015 ab.

C. A. führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, den Beschluss des Obergerichts aufzuheben. Seine Geschädigtenstellung sei anzuerkennen und er sei als Privatkläger zuzulassen. Die Sache sei zur Weiterführung der Untersuchung an die Staatsanwaltschaft zurückzuweisen.

Relevant ist die Strafbestimmung wegen Rassendiskriminierung:

Art. 261bis StGB
(…)
(4) wer öffentlich durch Wort, Schrift, Bild, Gebärden, Tätlichkeiten oder in anderer Weise eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion in einer gegen die Menschenwürde verstossenden Weise herabsetzt oder diskriminiert (…)

Da David Klein als Anzeigeerstatter im Strafverfahren jedoch grundsätzlich keine Rechte hat, wollte er sich als Privatkläger konstituieren. Dies hätte zur Folge, dass er zur Partei mit den entsprechenden gesetzlichen Rechten im Strafverfahren gegen Massimo Rocchi würde.

1. Partei ist unter anderem die Privatklägerschaft (Art. 104 Abs. 1 lit. b StPO). Als Privatklägerschaft gilt die geschädigte Person, die ausdrücklich erklärt, sich am Strafverfahren als Straf- oder Zivilkläger zu beteiligen (Art. 118 Abs. 1 StPO). Als geschädigte Person gilt die Person, die durch die Straftat in ihren Rechten unmittelbar verletzt worden ist (Art. 115 Abs. 1 StPO).

Für die Zulassung des Beschwerdeführers als Privatkläger ist somit entscheidend, ob er – was die Vorinstanz verneint – durch die dem Beschwerdegegner vorgeworfene Äusserung unmittelbar in seinen Rechten verletzt worden ist, unterstellt, der von ihm erhobene Vorwurf der Rassendiskriminierung treffe zu (was im Rahmen der materiellen Beurteilung zu prüfen sein wird).

2.2. Nach der Rechtsprechung geht die Umschreibung der unmittelbaren Verletzung in eigenen Rechten vom Begriff des Rechtsguts aus. Unmittelbar verletzt und damit Geschädigter im Sinne von Art. 115 StPO ist, wer Träger des durch die verletzte Strafnorm geschützten oder zumindest mitgeschützten Rechtsguts ist (BGE 141 IV 454 E. 2.3.1 S. 457; 380 E. 2.3.1 S. 383; 138 IV 258 E. 2.2 S. 263; je mit Hinweisen).

Art. 115 Abs. 1 StPO übernimmt die Umschreibung des Geschädigten in den früheren Strafprozessgesetzen. Der Gesetzgeber verzichtete darauf, Zweifelsfragen zum Begriff der geschädigten Person zu entscheiden. Er hielt dafür, die Definition der Geschädigteneigenschaft sei in Randbereichen wie bis anhin Rechtsprechung und Lehre zu überlassen. Dies gelte insbesondere für den Tatbestand der Rassendiskriminierung (Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006 1169).

2.3. (…)
Im vorliegenden Fall geht es um die Tatbestandsvariante nach Art. 261bis Abs. 4 erster Satzteil StGB. Nach der Rechtsprechung bezweckt diese Strafbestimmung unter anderem, die angeborene Würde und Gleichheit aller Menschen zu schützen. Im Lichte dieser Zielsetzung erscheinen als Herabsetzung oder Diskriminierung alle Verhaltensweisen, durch welche den Angehörigen einer Bevölkerungsgruppe aufgrund ihrer Rasse, Ethnie oder Religion die Gleichwertigkeit als menschliche Wesen oder die Gleichberechtigung in Bezug auf die Menschenrechte abgesprochen wird und sie als Menschen zweiter Klasse behandelt werden. Der Tatbestand im Sinne von Art. 261bis Abs. 4 erster Satzteil StGB schützt unmittelbar die Würde des einzelnen Menschen in seiner Eigenschaft als Angehöriger einer Rasse, Ethnie oder Religion. Der öffentliche Friede wird mittelbar geschützt als Folge des Schutzes des Einzelnen in seiner Zugehörigkeit zu einer ethnischen oder religiösen Gruppe (BGE 140 IV 67 E. 2.1.1 S. 69 und E. 2.5.1 S. 73; 133 IV 308 E. 8.2 S. 311 mit Hinweisen).

Das Judentum stellt nach der Rechtsprechung eine Religion im Sinne von Art. 261bis StGB dar (BGE 124 IV 121 E. 2b S. 124; 123 IV 202 E. 4c S. 209).

Nach der bisherigen Rechtsprechung kommen allen Mitgliedern einer Gruppe Geschädigtenstellung zu, weshalb sie sich als Privatkläger in einem Strafverfahren konstituieren können.

2.4.1. Gemäss Art. 261bis Abs. 4 erster Satzteil StGB setzt der Täter „eine Person oder eine Gruppe von Personen“ in einer gegen die Menschenwürde verstossenden Weise herab. Er setzt also eine bestimmte Einzelperson herab (z.B. „Der Jude X. ist nur aufs Geldverdienen bedacht“), oder eine Gruppe als solche („Juden sind nur aufs Geldverdienen bedacht“). Ob vorliegend überhaupt eine Herabsetzung oder Diskriminierung in einer gegen die Menschenwürde verstossenden Weise durch die als humorvoll/philosophisch gedachte Äusserung des Komikers ernsthaft in Betracht fällt, ist an dieser Stelle nicht zu entscheiden und bleibt der Beurteilung in der Sache, d.h. der materiellen Beurteilung vorbehalten. Streitgegenstand ist hier nur die formelle Frage, ob der Beschwerdeführer Geschädigter sein und im Strafverfahren Parteirechte ausüben kann. Hierfür ist auf seine Behauptung abzustellen, die Tatbestandsmerkmale von Art. 261bis Abs. 4 erster Satzteil StGB seien erfüllt.

Wie das Bundesgericht in BGE 128 I 218 erwog, kann bei einzelnen Tatbestandsvarianten von Art. 261bis StGB fraglich erscheinen, wieweit eine Einzelperson Geschädigter einer Rassendiskriminierung sein kann. Eine Einzelperson kann jedenfalls Geschädigter sein, soweit es um eine Rassendiskriminierung nach Art. 261bis Abs. 4 erster Satzteil StGB geht. In diesem Fall richtet sich der Angriff unmittelbar gegen die betreffende Person und wird diese in ihrer Menschenwürde getroffen (E. 1.5 S. 223).

Diese Erwägungen beziehen sich, wie sich aus ihrem Zusammenhang ergibt, auf die Herabsetzung einer bestimmten Einzelperson. Insoweit kann die Geschädigtenstellung in der Tat nicht zweifelhaft sein (ebenso CHAIX/BERTOSSA, La répression de la discrimination raciale: lois d’exceptions?, SJ 124/2002 II, S. 201 N. 2.3; HANS VEST, in: Delikte gegen den öffentlichen Frieden, Handkommentar, 2007, N. 23 zu Art. 261bis StGB).

Wie es sich verhält, wenn der Täter keine bestimmte Einzelperson, sondern eine Gruppe von Personen herabsetzt, hat das Bundesgericht – soweit ersichtlich – bisher nicht entschieden. Es stellt sich die Frage, ob – wie der Beschwerdeführer geltend macht – jeder Angehörige der Gruppe unmittelbar in seinen Rechten verletzt ist.

2.4.2. Nach herrschender Lehre kommt allen Angehörigen der Gruppe Geschädigtenstellung zu (MARCEL ALEXANDER NIGGLI, Rassendiskriminierung, Kommentar, 2. Aufl. 2007, N. 534 ff. und 546 ff.; MARCEL ALEXANDER NIGGLI UND ANDERE, Zur Rechtsstellung des Geschädigten im Strafverfahren wegen Rassendiskriminierung, AJP 1998, S. 1063; DORRIT SCHLEIMINGER METTLER, in: Basler Kommentar, Strafrecht II, 3. Aufl. 2013, N. 88 zu Art. 261bis StGB; VEST, a.a.O., N. 128 zu Art. 261bis StGB; CHAIX/BERTOSSA, a.a.O., S. 202 N. 2.4; ROBERT HAUSER UND ANDERE, Schweizerisches Strafprozessrecht, 6. Aufl. 2005, S. 142 N. 1; URSULA CASSANI, Le blanchiment d’argent, un crime sans victime?, in: Festschrift für Niklaus Schmid, 2001, S. 397; gleicher Meinung offenbar auch MAZZUCCHELLI/POSTIZZI, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 76 zu Art. 115 StPO mit [Fn. 188] Hinweis auf ein Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich [ZR 103/2004 Nr. 12 S. 33 ff. E. III/1]; vgl. auch KARL-LUDWIG KUNZ, Zur Unschärfe und zum Rechtsgut der Strafnorm gegen Rassendiskriminierung, ZStrR 116/1998, S. 231, der ausführt, dass dann, wenn man – wie das Bundesgericht – dem Tatbestand das Rechtsgut der Menschenwürde zuordnet, bei einer Gruppendiskriminierung sämtliche einzelnen Gruppenmitglieder, also etwa alle Juden, als individuell geschädigt anzusehen und damit als Partei im Strafprozess zuzulassen sind). Die Lehre verweist insbesondere auf den Tatbestand der Störung der Glaubens- und Kultusfreiheit gemäss Art. 261 StGB und die dazu ergangene Rechtsprechung (BGE 120 Ia 220).

Die I. Abteilung des Bundesgerichts war offensichtlich mit dieser herrschenden Lehre unzufrieden, weshalb sie in einem speziellen Verfahren klären liess, ob bei einer Gruppendiskriminierung eine Einzelperson als Privatkläger zuzulassen sei. Das Bundesgericht verneinte diese Frage.

Art. 23 BGG
Praxisänderung und Präjudiz
1 (…)
2 Hat eine Abteilung eine Rechtsfrage zu entscheiden, die mehrere Abteilungen betrifft, so holt sie die Zustimmung der Vereinigung aller betroffenen Abteilungen ein, sofern sie dies für die Rechtsfortbildung oder die Einheit der Rechtsprechung für angezeigt hält.
3 Beschlüsse der Vereinigung der betroffenen Abteilungen sind gültig, wenn an der Sitzung oder am Zirkulationsverfahren mindestens zwei Drittel der ordentlichen Richter und Richterinnen jeder betroffenen Abteilung teilnehmen. Der Beschluss wird ohne Parteiverhandlung und öffentliche Beratung gefasst; er ist für die Antrag stellende Abteilung bei der Beurteilung des Streitfalles verbindlich.

3. Am 3. Oktober 2016 eröffnete der Präsident der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung ein Meinungsaustauschverfahren gemäss Art. 23 Abs. 2 BGG. Er teilte den Präsidentinnen und Präsidenten der anderen bundesgerichtlichen Abteilungen mit, seine Abteilung habe folgende für das vorliegende Urteil entscheidende Rechtsfrage zu beantworten:

„Ist der Angehörige einer Gruppe von Personen (Rasse, Ethnie, oder Religion), der gestützt auf Art. 261bis Abs. 4 erster Satzteil StGB (Herabsetzung in der Menschenwürde) Strafanzeige erstattet hat, als Privatkläger gemäss Art. 115 Abs. 1 und Art. 118 Abs. 1 StPO zuzulassen?“

Er lud die Präsidentinnen und Präsidenten der anderen Abteilungen ein, ihm mitzuteilen, ob diese nach Art. 23 Abs. 2 BGG betroffen seien. Die I. öffentlich-rechtliche Abteilung bejahe die Rechtsfrage.

In der Folge erklärten sich die Strafrechtliche und die II. Zivilrechtliche Abteilung als betroffen. Die Strafrechtliche Abteilung stellte und begründete einen Gegenantrag auf Verneinung der Rechtsfrage.

Am 28. November 2016 fand eine gemäss Art. 23 Abs. 3 BGG nicht öffentliche Sitzung statt, an der die Rechtsfrage beraten wurde. Es waren alle Mitglieder der drei Abteilungen, insgesamt 17 Richterinnen und Richter, anwesend. 5 Richter, alles Mitglieder der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung, bejahten die Rechtsfrage; die anderen 12 Richterinnen und Richter verneinten sie. Der Beschluss der Vereinigung der Abteilungen ist gemäss Art. 23 Abs. 3 BGG für die I. öffentlich-rechtliche Abteilung bei der Beurteilung des Streitfalles verbindlich. Der Beschluss stützt sich im Wesentlichen auf folgende Gründe.

4.1. Nach der dargelegten Rechtsprechung (oben E. 2.3) schützt Art. 261bis Abs. 4 erster Satzteil StGB unmittelbar die Menschenwürde. Diese ist gemäss Art. 7 BV zu achten und zu schützen. Nach der Rechtsprechung hat diese Bestimmung allgemein die Bedeutung eines Leitgrundsatzes für jegliche Staatstätigkeit, bildet als innerster Kern zugleich die Grundlage der Freiheitsrechte, dient deren Auslegung und Konkretisierung und ist Auffanggrundrecht. Für besonders gelagerte Konstellationen kann der Menschenwürde ein eigenständiger Gehalt zukommen. Der offene Normgehalt kann nicht abschliessend positiv festgelegt werden. Er betrifft das letztlich nicht fassbare Eigentliche des Menschen und der Menschen und ist unter Mitbeachtung kollektiver Anschauungen ausgerichtet auf Anerkennung des Einzelnen in seiner eigenen Werthaftigkeit und individuellen Einzig- und allfälligen Andersartigkeit. In dieser Ausrichtung weist die Verfassungsnorm besondere Bezüge zu spezielleren Grundrechten und insbesondere zu den verfassungsrechtlichen Persönlichkeitsrechten auf, die gerade auch unter Beachtung der Menschenwürde anzuwenden sind (BGE 132 I 49 E. 5.1 S. 54 f. mit Hinweisen).

Bei der Menschenwürde handelt es sich – wie bei anderen Grundrechten auch – um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der durch Gesetzgeber und Gerichte zu konkretisieren ist. Bei Art. 7 BV liegt aber eine Unbestimmtheit besonderer Art vor. Der Verfassungsgeber hat nicht nur von einer Definition abgesehen, um der Prinzipienhaftigkeit und Entwicklungsoffenheit des Grundrechts Rechnung zu tragen. Er hat vielmehr auch deshalb auf eine Definition der Menschenwürde verzichtet, weil eine verfassungsrechtliche Bestimmung dessen, was die Würde und den Wert eines Menschen ausmachen, grundsätzlich problematisch wäre. Wird mit einer Festlegung der Menschenwürde ein bestimmtes Menschenbild für achtens- und schützenswert erklärt, so besteht die Gefahr, dass dadurch Menschen in ihrer Würde beeinträchtigt werden, die den Wert des Menschseins anders verstehen. Man kann dies als Paradox der Menschenwürdegarantie bezeichnen. Je klarer ihre Konturen sind und je besser demnach Achtung und Schutz gelingen, desto grösser ist das Risiko der Ein- und Ausgrenzung von Menschen. Die Gefahr, dass ein rechtlich definiertes Menschenbild einengend oder ausschliessend wirkt, ist einer der Gründe dafür, dass ein Teil der (vorwiegend angelsächsischen) Lehre die Menschenwürde als eigenständiges Grundrecht ablehnt (BELSER/MOLINARI, in: Bundesverfassung, Basler Kommentar, 2015, N. 3 zu Art. 7 BV). Was den Inhalt der Menschenwürde ausmacht, muss in einer liberalen Gesellschaft letztlich offen bleiben (PHILIPPE MASTRONARDI, in: Schweizerische Bundesverfassung, St. Galler Kommentar, 3. Aufl. 2014, N. 39 zu Art. 7 BV; MÜLLER/SCHEFER, Grundrechte in der Schweiz, 4. Aufl. 2008, S. 4).

Auch wenn man die Menschenwürde als eigenständiges Grundrecht und nicht nur als bei der Konkretisierung der Grundrechte zu berücksichtigenden Verfassungsgrundsatz ansieht, hat sie demnach keine scharfen Konturen. Letztlich dient die gesamte Rechtsordnung der Würde des Menschen. So ist etwa die Umweltschutzgesetzgebung nicht Selbstzweck, sondern dient der Erhaltung der Lebensgrundlagen des Menschen und ermöglicht damit erst eine würdevolle Existenz. Aufgrund ihrer Unbestimmtheit eignet sich die Menschenwürde nicht, daraus konkrete prozessuale Rechte herzuleiten.

4.2. Dass Art. 261bis Abs. 4 erster Satzteil StGB die Menschenwürde schützt, kann demnach nicht massgeblich sein für die Beantwortung der Frage, wer als Geschädigter zu betrachten und damit als Privatkläger zum Strafverfahren zuzulassen ist. Entscheidend ist vielmehr die Angriffsrichtung. Darauf hat das Bundesgericht bereits in BGE 128 I 218 abgestellt. Wie es dort erwogen hat, richtet sich bei der Diskriminierung einer Einzelperson der Angriff unmittelbar gegen diese, weshalb ihr Geschädigtenstellung zukommt (E. 1.5 S. 223). Bei der Diskriminierung einer Gruppe von Personen richtet sich der Angriff unmittelbar gegen die Gruppe und nur mittelbar gegen deren Angehörige. Diesen kommt daher keine Geschädigtenstellung zu.

4.3. Die Rechtslage ist insoweit vergleichbar mit jener bei den Ehrverletzungsdelikten gemäss Art. 173 ff. StGB, mit denen der Diskriminierungstatbestand gemäss Art. 261bis Abs. 4 erster Satzteil StGB näher verwandt ist als mit dem Tatbestand der Störung der Glaubens- und Kultusfreiheit gemäss Art. 261 StGB. Nach der Rechtsprechung liegt eine Ehrverletzung nur vor, wenn sich die Äusserung gegen eine bestimmte oder bestimmbare Person richtet. Richtet sich die Äusserung undifferenziert gegen eine Gruppe von Personen – z.B. alle Schweizer, Beamten, Jäger oder Chirurgen –, scheidet die Annahme einer Ehrverletzung aus, da sich die Äusserung aufgrund ihrer Allgemeinheit derart abschwächt und verwässert, dass der einzelne Angehörige der Gruppe nicht mehr als unmittelbar betroffen angesehen werden kann (BGE 124 IV 262 E. 2a S. 266 f.; 100 IV 43 E. 3 f. S. 48 f.).

Ebenso hat das deutsche Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 10. Oktober 1995 die Verurteilung von Personen aufgehoben, die Soldaten als Mörder bezeichnet hatten (BVerfGE 93, 266).

4.4. Nach der Rechtsprechung sind bei Leugnung von Völkermord oder anderer Verbrechen gegen die Menschlichkeit gemäss Art. 261bis Abs. 4 zweiter Satzteil StGB die Angehörigen der in Frage stehenden Gruppe lediglich mittelbar betroffen. Die Betroffenheit kann – etwa bei ehemaligen Insassen von Konzentrationslagern – schwer wiegen. Gleichwohl bleibt sie eine mittelbare (BGE 129 IV 95 3.4.2 f. S. 103 f.). Es ist nicht einzusehen, weshalb es sich bei der Diskriminierung einer Gruppe von Personen gemäss Art. 261bis Abs. 4 erster Satzteil StGB anders verhalten sollte. Hier wie dort richtet sich der Angriff gegen die Gruppe und ist der einzelne Angehörige deshalb nur mittelbar betroffen. Ob der Täter z.B. den Holocaust leugnet oder sich gegenüber Juden allgemein rassistisch äussert, wirkt sich für den einzelnen Juden im Wesentlichen gleich aus. Eine unterschiedliche Behandlung in Bezug auf die Ausübung von Prozessrechten rechtfertigt sich daher nicht.

4.5. Zwar kann sich bei einer Gruppendiskriminierung nach Art. 261bis Abs. 4 erster Satzteil StGB aufgrund der lediglich mittelbaren Betroffenheit der Gruppenangehörigen niemand als Privatkläger konstituieren. Die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs ist jedoch nicht Sache von Privatpersonen. Dafür ist gemäss Art. 16 Abs. 1 StPO die Staatsanwaltschaft verantwortlich.

4.6. Die Zulassung sämtlicher Angehöriger der Gruppe als Privatkläger bei einer Gruppendiskriminierung gemäss Art. 261bis Abs. 4 erster Satzteil StGB hätte unhaltbare Folgen. So könnte sich eine unüberschaubare Zahl von Personen aus der ganzen Welt – etwa Millionen Katholiken oder Moslems – als Partei am Strafverfahren beteiligen. Zu Recht wird das in der Literatur als „Albtraum für Justizpraktiker“ bezeichnet (KUNZ, a.a.O.; VEST, a.a.O., N. 129 zu Art. 261bis StGB). Wollte man alle Gruppenangehörigen als unmittelbar betroffen ansehen, käme das der Zulassung einer Popularbeschwerde gleich, was nicht angehen kann. Jeder Gruppenangehörige könnte ausserdem Zivilklage wegen Verletzung der Persönlichkeit gemäss Art. 28 ZGB erheben. Es lag jedoch nicht in der Absicht des Gesetzgebers, eine jedermann offen stehende Popularklage einzuführen (BGE 95 II 532 E. 3 S. 537).

Ob es de lege ferenda zweckmässig sein könnte, Verbänden, die sich gegen Rassendiskriminierung einsetzen, Parteirechte im Strafverfahren einzuräumen (so VEST, a.a.O., N. 129 zu Art. 261bis StGB), hat der Gesetzgeber zu entscheiden. De lege lata ist dies ausgeschlossen (BGE 125 IV 206 E. 2a S. 210; MAZZUCCHELLI/POSTIZZI, a.a.O., N. 35 und 76 zu Art. 115 StPO).

In Deutschland gibt es die Unsitte von Abmahnanwälten. Diese suchen gezielt Rechtsverletzungen, namentlich Urheberrechtsverletzungen, und drohen Privatpersonen an, dass, wenn sie nicht eine Unterlassungserklärung unterzeichnen und sich zur Zahlung eines Geldbetrages verpflichten, sie auf dem ordentlichen Gerichtsweg verklagt werden.

Im Bereich der Rassendiskriminierung ist etwas ähnliches möglich. Anwälte können gezielt angebliche Verletzungen dieses Tatbestandes suchen und schliesslich zur Anzeige bringen. Eine Person, die als Privatkläger vorgeschoben werden kann, ist schnell gefunden. Bei einer Verurteilung ist die Entschädigung des Privatklägers der Lohn des Anwalts.

Ausserdem ist es möglich, aus ideellen oder ideologischen Gründen gezielt Strafanzeigen zu erheben, um diese schliesslich politisch auszuschlachten. Man kann viel Publicity erzielen, wenn man eine bekannte Persönlichkeit wie Massimo Rocchi anzeigt.

Es ist aber auch offensichtlich, dass solche Verfahren finanziell sehr lohnend sein können, wie der folgende Fall des Kristallnacht-Twitterers zeigt. Der Rassendiskriminierungstatbestand kann somit auch als Geschäftsmodell für Anwälte missbraucht werden. Diesem Umstand wollte das Bundesgericht offensichtlich einen Riegel schieben.

Der sogenannte Kristallnacht-Twitterer wurde 2014 wegen seines unsäglichen Tweets vom Bezirksgericht Uster zu Recht zu einer bedingten Geldstrafe (75 Tagessätze à 120 Fr.) sowie zu einer (unbedingten) Busse von 1‘800 Fr. verurteilt. Sowohl das Obergericht als auch das Bundesgericht bestätigten diesen Schuldspruch. Zudem musste er für das gesamte Verfahren Gerichtskosten von total 12‘070 Fr. bezahlen. Ferner musste er für seine Verteidigung selbst aufkommen.

Das Obergericht schrieb in seinem Urteil vom 27. April 2015 Folgendes:

13. Entschädigung der Privatkläger

13.1. Die Privatkläger 1 und 2 beantragten vor Vorinstanz die Zusprechung einer Entschädigung von Fr. 14’881.40 inklusive 8 % Mehrwertsteuer (Urk. 64 S. 1 und Urk. 65). Die Vorinstanz erwog hierzu, gemäss Art. 433 Abs. 1 StPO habe die Privatklägerschaft gegenüber dem Beschuldigten Anspruch auf eine angemessene Entschädigung, wenn sie – also die Privatklägerschaft – obsiege oder der Beschuldigte nach Art. 426 Abs. 2 StPO kostenpflichtig sei. Obsiegen der Privatklägerschaft bedeute, dass die Zivilklage der Privatklägerschaft mindestens dem Grundsatz nach gutgeheissen werde. Da die Zivilklage der Privatkläger 1 und 2 jedoch auf den Zivilweg verwiesen werde, würden die Privatkläger nicht im Sinne von Art. 433 Abs. 1 StPO obsiegen und entsprechend stünde ihnen auch kein Anspruch auf eine Entschädigung zu (Urk. 90 S. 41 f.).

13.2. Im Rahmen der Berufungsverhandlung beantragten die Privatkläger eine Entschädigung von Fr. 13’500.– für das Vorverfahren und das erstinstanzliche Verfahren, sowie Fr. 4’510.70 für das Berufungsverfahren. Zur Begründung liessen sie ausführen, die Privatkläger seien auch Strafkläger und hätten damit im Falle einer Verurteilung des Beschuldigten Anspruch auf Entschädigung ihrer Auslagen. Ausgenommen seien bei Verweisung der Zivilklage auf den Zivilweg die ausschliesslich mit der Zivilklage zusammenhängenden Anwaltskosten. Die Aufwendungen im Straf- und Zivilpunkt auseinander zu halten sei schwierig. Das Honorar für die Strafklage sei pauschal anzupassen. Die Zivilklage habe etwa 4 % des Plädoyers ausgemacht, der Honorar sei somit um 5 % auf Fr. 13’500.– zu kürzen. Der Aufwand für das Berufungsverfahren sei sodann durch die Honorarnote ausgewiesen (Urk. 136 S. 4 ff.).

13.3. Die Verteidigung führte dazu aus, den Privatklägern sei auch bei Obsiegen im Strafpunkt keine Entschädigung zuzusprechen, wenn die Zivilklage auf den Zivilweg verwiesen werde. Sodann seien die Leistungen in der Honorarnote im Strafpunkt nicht nötig gewesen. Die Privatkläger hätten keinen Anwalt benötigt (Urk. 133 S. 7).

13.4. Die Privatkläger 1 und 2 haben sich im vorliegend gegen den Beschuldigten geführten Strafverfahren sowohl im Zivil- als auch im Strafpunkt konstituiert (Urk. 5/1-2, vgl. auch Urk. 16/1/4-5, act. 16/2/2). Anders als in dem Fall, in dem die Privatklägerschaft ausschliesslich als Zivilklägerin auftritt, hängt der Entschädigungsanspruch dementsprechend nicht nur davon ab, ob die Zivilklage ganz oder teilweise gutgeheissen wurde. Die Privatklägerschaft kann sich am Verfahren auch als Strafklägerin beteiligen. Als Partei hat die Privatklägerschaft das Recht, an den Beweisabnahmen teilzunehmen, zur Sache zu plädieren etc. Insofern sind die damit verbundenen Aufwendungen, insbesondere auch jene der Rechtsverbeiständung, falls der Beizug eines Rechtsbeistandes als gerechtfertigt zu werten ist, zu entschädigen (Griesser in: Donatsch/Hansjakob/Lieber, StPO Komm., Art. 433 N 3). In BGE 139 IV 102 hatte sich das Bundesgericht mit eben dieser Frage zu beschäftigen. Das Bundesgericht kam dabei zusammengefasst zu folgendem Schluss: „Kommt es zu einer Verurteilung der beschuldigten Person durch Strafbefehl, obsiegt die Privatklägerschaft als Strafklägerin, weshalb sie für die ihr im Zusammenhang mit der Strafklage erwachsenen Kosten der privaten Verteidigung zu entschädigen ist (E. 4.3). Wird die Zivilklage auf den Zivilweg verwiesen, kann die Privatklägerschaft in ihrer Funktion als Zivilklägerin nicht als obsiegende und jedenfalls bei Erlass eines Strafbefehls auch nicht als unterliegende Partei gelten. Ausschliesslich mit der Zivilklage zusammenhängende Anwaltskosten oder anderweitige Auslagen der Privatklägerschaft, die einzig den Zivilpunkt betreffen, sind im Falle der Verweisung der Zivilklage auf den Zivilweg nicht im Strafverfahren zu entschädigen (E. 4.4)“. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz besteht also ein Entschädigungsanspruch der Privatkläger, allerdings nur in Bezug auf die Aufwendungen welche in direktem Zusammenhang mit dem Strafpunkt entstanden sind. Der Vertreter der Privatkläger hat seine Aufwendungen für das Vorverfahren und das erstinstanzliche Verfahren beziffert, begründet und belegt (Urk 136 S. 5; Urk. 65). Der Beizug eines Rechtsvertreters durch die Privatkläger war im vorliegenden Verfahren aufgrund der in prozessualer und rechtlicher Hinsicht nicht einfachen Verhältnisse angezeigt. Die dargelegte Kürzung des Honorars um die Aufwendungen im Zivilpunkt ist sodann nachvollziehbar und erscheint angemessen und wurde von der Verteidigung auch nicht beanstandet. Den Privatklägern ist demnach für das Vorverfahren und das erstinstanzliche Verfahren eine Prozessentschädigung von Fr. 13’500.– zuzusprechen.

13.5. Für das zweitinstanzliche Verfahren machen die Privatkläger gestützt auf Art. 433 Abs. 1 StPO eine Entschädigung in der Höhe von Fr. 4’510.70.– geltend. Dieser Aufwand ist belegt (Urk. 138), erscheint angemessen, wurde von der Verteidigung nicht beanstandet und ist den Privatklägern zuzusprechen.

13.6. Den Privatklägern ist folglich für das gesamte Verfahren eine Prozessentschädigung von Fr. 18’010.70 zuzusprechen.

Das Resultat ist problematisch. Die Prozessentschädigung, die zehnmal höher als die zu bezahlende Busse ist, verkommt so aus der Sicht des Beschuldigten zu einer Art Zusatzstrafe. Es entsteht ein ungute Schieflage zwischen strafrechtlicher Geldstrafe bzw. Busse und der Prozessentschädigung an die Privatkläger. Nach der neuen Rechtsprechung des Bundesgerichts stellt sich in solchen Fällen jedenfalls die Frage der Entschädigung von Privatklägern nicht mehr, da diese gar nicht erst als Privatkläger zugelassen werden. Wenn der Kristallnacht-Twitterer heute vor Gericht gestanden hätte, hätte er folglich die 18‘000 Fr. nicht bezahlen müssen.

Die Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat wird nun das sistierte Verfahren gegen Massimo Rocchi wieder aufnehmen. Auch das Bundesgericht, wie man aus der folgenden Bemerkung sieht, hat offensichtlich Zweifel an einer Strafbarkeit, weshalb wohl davon ausgegangen werden kann, dass die Staatsanwaltschaft das Strafverfahren einstellt. Insbesondere wird bei Massimo Rocchi wohl kaum ein vorsätzliches Handeln vorliegen.

Ob vorliegend überhaupt eine Herabsetzung oder Diskriminierung in einer gegen die Menschenwürde verstossenden Weise durch die als humorvoll/philosophisch gedachte Äusserung des Komikers ernsthaft in Betracht fällt, ist an dieser Stelle nicht zu entscheiden und bleibt der Beurteilung in der Sache, d.h. der materiellen Beurteilung vorbehalten.