Unentgeltliche Rechtspflege in Zivilverfahren

1. Grundsatz

Da der Rechtsweg allen Personen offen stehen soll und somit nicht faktisch aus finanziellen Gründen eingeschränkt werden darf, sieht die Bundesverfassung einen verfassungsmässigen Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege vor (Art. 29 Abs. 3 BV). Dieser Anspruch wird in der Zivilprozessordnung konkretisiert (Art. 117 ff. ZPO, BGE 138 III 217 E. 2.2.3).

Das Bundesgericht führte dazu in BGE vom 24. September 2015 (4A_384/2015) Folgendes aus:

3. (…) Allerdings stimmen die Voraussetzungen der unentgeltlichen Rechtspflege gemäss Art. 117 f. ZPO mit denjenigen der Minimalgarantie von Art. 29 Abs. 3 BV überein, deren Einhaltung das Bundesgericht in rechtlicher Hinsicht mit freier Kognition prüft (vgl. BGE 135 I 221 E. 5.1 S. 223; 129 I 129 E. 2.1). Die zu dieser Garantie ergangene Rechtsprechung ist daher für die Auslegung von Art. 117 f. ZPO zu berücksichtigen (Urteile 4A_537/2013 vom 29. November 2013 E. 4.1; 4A_675/2012 vom 18. Januar 2013 E. 7.2; 5A_565/2011 vom 14. Februar 2012 E. 2.3; vgl. zur Frage der Aussichtslosigkeit: BGE 138 III 217 E. 2.2.4), insbesondere auch die vom Bundesgericht zur Notwendigkeit der Verbeiständung einer Partei entwickelte Praxis (Urteil 5A_395/2012 vom 16. Juli 2012 E. 4.1). Demnach stellt eine Verletzung von Art. 117 f. ZPO zugleich auch eine Verletzung von Art. 29 Abs. 3 BV dar. Es kann daher auch im Rahmen einer subsidiären Verfassungsbeschwerde als genügend betrachtet werden, wenn die Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 117 f. ZPO rügen.

Jede Person hat somit Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, wenn sie nicht über die erforderlichen Mittel verfügt und das Verfahren nicht aussichtslos erscheint (Art. 29 Abs. 3 Satz 1 BV, Art. 117 ZPO). Ausserdem hat jede Person Anspruch auf einen unentgeltlichen Rechtsbeistand, wenn es zur Wahrung ihrer Rechte notwendig ist (Art. 29 Abs. 3 Satz 2 BV, Art. 118 Abs. 1 Bst. c ZPO).

2. Mitwirkungspflicht

Die gesuchstellende Person hat ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse darzulegen und sich zur Sache sowie über ihre Beweismittel zu äussern (Art. 119 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Sie hat sich somit nicht nur zur Bedürftigkeit, sondern auch zu den Prozesschancen zu äussern. Ausserdem, wenn sie die Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes beantragt, hat sie ausführen, warum dieser für die Wahrung ihrer Interessen notwendig ist.

Das Bundesgericht (BGE vom 7. 1. 2013, 8C_777/2012) äusserte sich dazu wie folgt:

3.2 Grundsätzlich ist es Sache der ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege stellenden Person, ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse umfassend darzustellen und soweit möglich auch zu belegen. Diesbezüglich trifft sie eine umfassende Mitwirkungspflicht. An die klare und gründliche Darstellung der finanziellen Situation dürfen umso höhere Anforderungen gestellt werden, je komplexer diese Verhältnisse sind. Aus den eingereichten Belegen muss auf jeden Fall auch der aktuelle Grundbedarf der das Gesuch stellenden Partei hervorgehen. Zudem müssen die Belege über sämtliche ihrer finanziellen Verpflichtungen sowie über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse Aufschluss geben. Verweigert die ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege stellende Person die zur Beurteilung ihrer aktuellen wirtschaftlichen Gesamtsituation erforderlichen Angaben oder Belege, kann die Bedürftigkeit ohne Verfassungsverletzung verneint werden (BGE 120 Ia 179 E. 3a S. 182). Allenfalls unbeholfene Recht Suchende hat die Behörde auf die Angaben hinzuweisen, die sie zur Beurteilung des Gesuchs benötigt. Gelingt es der Gesuch stellenden Person – in grundsätzlicher Erfüllung ihrer Obliegenheiten – in ihrer ersten Eingabe nicht, die Bedürftigkeit zur Zufriedenheit des Gerichts nachzuweisen, ist sie zur Klärung aufzufordern. Die mit dem Gesuch befasste Behörde ist darüber hinaus indessen nicht verpflichtet, den Sachverhalt von sich aus nach jeder Richtung hin abzuklären. Auch muss sie nicht unbesehen alles, was behauptet wird, von Amtes wegen überprüfen. Sie hat den Sachverhalt lediglich dort (weiter) abzuklären, wo noch Unsicherheiten und Unklarheiten bestehen, sei es, dass sie von einer Partei auf – wirkliche oder vermeintliche – Fehler hingewiesen wird, sei es, dass sie solche selbst feststellt (vgl. Urteil 9C_767/2010 vom 3. Februar 2011 E. 2.1.3 mit weiteren Hinweisen; vgl. auch ALFRED BÜHLER, a.a.O., S. 188 f.).

Das Obergericht (Urteil vom 2.3.2012, VO120014) führte Folgendes aus:

II. 2.8. Ein Gesuchsteller hat gemäss Art. 119 Abs. 2 ZPO die zur Beurteilung seines Gesuches relevanten Einkommens- und Vermögensverhältnisse umfassend darzulegen – es trifft ihn bei der Abklärung der wirtschaftlichen Verhältnisse eine umfassende Mitwirkungspflicht. Kommt ein Gesuchsteller dieser Mitwirkungspflicht nicht oder nur ungenügend nach und kann als Folge davon seine Bedürftigkeit nicht hinreichend beurteilt werden, ist der Anspruch um unentgeltliche Rechtspflege zu verweigern (BGE 120 Ia 179).

3. Mittellosigkeit

Das Bundesgericht definiert die Mittellosigkeit wie folgt (BGE vom 18.1.2013, 4A_675/2012):

7. 2. (…) Nach der Rechtsprechung zu Art. 29 Abs. 3 BV gilt eine Partei als mittellos, wenn sie die Kosten eines Prozesses nicht aufzubringen vermag, ohne jene Mittel anzugreifen, die für die Deckung des eigenen notwendigen Lebensunterhalts und desjenigen ihrer Familie erforderlich sind (BGE 128 I 225 E. 2.5.1 S. 232 mit Hinweisen).

BGE 124 I 1:

2. a) Als bedürftig gilt ein Gesuchsteller, der die erforderlichen Prozess- und Parteikosten nur bezahlen kann, wenn er die Mittel angreift, deren er zur Deckung des Grundbedarfs für sich und seine Familie bedarf, wobei nicht nur die Einkommenssituation, sondern auch die Vermögensverhältnisse zu beachten sind (BGE 120 Ia 179 E. 3a S. 181; BGE 119 Ia 11 E. 3a S. 12). Dabei hat die Rechtsprechung immer wieder betont, dass nicht schematisch auf das betreibungsrechtliche Existenzminimum abgestellt werden darf, sondern die individuellen Umstände zu berücksichtigen sind (BGE 108 Ia 108 E. 5b S. 109; BGE 106 Ia 82 f.); auch wenn das Einkommen wenig über dem Betrag liegt, der für den Lebensunterhalt absolut notwendig ist, kann Bedürftigkeit angenommen werden (…).

BGE vom 7. Januar 2013 (8C_777/2012):

3.1. (…) Die prozessuale Bedürftigkeit beurteilt sich nach der gesamten wirtschaftlichen Situation der Recht suchenden Person, wobei bei Verheirateten die Einkommen beider Ehegatten zu berücksichtigen sind (SVR 2010 IV Nr. 10 S. 31; nicht publizierte E. 3.2 des in BGE 132 V 241 teilweise veröffentlichten Urteils U 289/05 vom 20. März 2006, mit weiteren Hinweisen). Zu dieser Situation gehören sämtliche finanziellen Verpflichtungen, welche den jeweiligen Einkommens- und Vermögensverhältnissen gegenüberzustellen sind (BGE 124 I 1 E. 2a S. 2). (…)

Das Obergericht umschreibt die Mittellosigkeit folgendermassen (Urteil vom 2.3.2012, VO120014):

II. 2.6. Die Mittellosigkeit wird gemeinhin dann bejaht, wenn der Aufwand des notwendigen Lebensunterhalts (sog. „zivilprozessualer Notbedarf“) das massgebliche Einkommen übersteigt, bzw. aus der Differenz nur ein kleiner Überschuss resultiert, welcher es dem Gesuchsteller nicht erlauben würde, die Prozesskosten innert nützlicher Frist zu bezahlen. Nebst dem Einkommen ist auch das Vermögen zur Bestreitung des Prozessaufwands einzusetzen. Zu berücksichtigen ist vorhandenes Vermögen jeglicher Art, soweit es effektiv verfügbar, realisierbar und sein Verbrauch zumutbar ist (Emmel,in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger [Hrsg.], Zürich/Basel/ Genf 2010, Art. 117 N 7.). Vom Vermögen wird jedoch derjenige Betrag, der mangels ausreichenden Einkommens für den laufenden Lebensunterhalt eingesetzt werden muss, nicht berücksichtigt (BGE 9C_874/2008).

Zu einem allfälligen Überschuss äusserte sich das Bundesgericht wie folgt (BGE vom 11.9.2007, 4A_87/2007, E. 2.1):

Ein allfälliger Überschuss zwischen dem Einkommen und dem Notbedarf des Gesuchstellers ist mit den für den konkreten Fall zu erwartenden Gerichts- und Anwaltskosten in Beziehung zu setzen. Dabei sollte der monatliche Überschuss ermöglichen, die Prozesskosten bei weniger aufwendigen Prozessen innert eines Jahres, bei anderen innert zweier Jahre zu tilgen. Zudem muss der Gesuchsteller mit dem ihm verbleibenden Überschuss in der Lage sein, die anfallenden Gerichts- und Anwaltskostenvorschüsse innert absehbarer Zeit zu leisten (Urteil 5P.295/2005 vom 4. Oktober 2005 E. 2.2; vgl. auch BGE 118 Ia 5 E. 3a S. 8 f.).

Die Gerichte orientieren sich bei der Berechnung des Bedarfs am Kreisschreiben des Obergerichts vom 16. September 2009 betreffend das betreibungsrechtliche Existenzminimum. Es liegt schliesslich allerdings im richterlichen Ermessen, welche Positionen im Bedarf berücksichtigt oder nicht berücksichtigt werden. Als Faustregel kann gesagt werden, dass bei knappen finanziellen Verhältnissen die Gerichte sich relativ eng ans Kreisschreiben halten. Bei weniger engen finanziellen Verhältnisse werden häufig auch weitere Positionen berücksichtigt, namentlich Steuern.

Das Bundesgericht hielt im Gegensatz zum obergerichtlichen Kreisschreiben jedoch Folgendes fest (BGE 135 I 221 = Pra 2010 Nr. 25).

Die verfallenen Steuerschulden, deren Höhe und deren Fälligkeitsdatum feststehen, sind bei der Beurteilung der Bedürftigkeit der um unentgeltliche Rechtspflege nachsuchenden Person zu berücksichtigen, soweit sie tatsächlich bezahlt werden (Klärung der Rechtsprechung; E. 5.2).

Das heisst, dass Ratenzahlungen von Steuerschulden im Bedarf zu berücksichtigen sind.

Ausserdem darf die gesuchstellende Person über keine wesentlichen Vermögenswerte verfügen. Dieser ist allerdings ein Vermögensfreibetrag bzw. ein Notgroschen zuzugestehen. Die Höhe dieses Freibetrages liegt jedoch allein im Ermessen des Gerichts und hängt vom konkreten Verfahren und den effektiven Kosten ab. Bei familienrechtlichen Verfahren gilt die gesuchstellende Person meines Erachtens als bedürftig, wenn ihre Barmittel bzw. verwertbare Vermögenswerte nicht mehr als CHF 5‘000.– betragen.

Das Bundesgericht äusserte sich dazu in einem sozialversicherungsrechtlichen Verfahren wie folgt (BGE vom 11.9.2007, 4A_87/2007, E. 2.1):

Hat der Gesuchsteller Vermögen, kann ihm zugemutet werden, dieses zur Finanzierung des Prozesses zu verwenden, soweit es einen angemessenen Vermögensfreibetrag (sog. „Notgroschen“) übersteigt. Bei dessen Festsetzung ist nach der Rechtsprechung den Verhältnissen des konkreten Falles, wie namentlich Alter und Gesundheit des Gesuchstellers, Rechnung zu tragen. Das Bundesgericht und das Eidgenössische Versicherungsgericht haben in besonderen Fällen Vermögensfreibeträge von Fr. 20’000.‒ und mehr zuerkannt (Urteil des EVG I 362/05 vom 9. August 2005 E. 5.3, mit Hinweisen).

In familienrechtlichen Verfahren (Eheschutz, Scheidung) ist die Voraussetzung der Mittellosigkeit für beide Parteien sehr häufig erfüllt, da dem Unterhaltsverpflichteten das Existenzminimum zu belassen ist (BGE 135 III 66) und der zugesprochene Unterhalt nicht oder nur knapp ausreicht, um den Bedarf der Unterhaltsberechtigten zu decken.

4. Fehlende Aussichtslosigkeit

Das Bundesgericht umschreibt die Voraussetzung der fehlenden Aussichtslosigkeit folgendermassen (BGE 139 III 475):

2.2 Strittig ist vorliegend die Voraussetzung der Aussichtslosigkeit (Art. 117 lit. b ZPO). Die vom Bundesgericht zum Begriff der Aussichtslosigkeit gemäss Art. 29 Abs. 3 BV entwickelte Praxis ist auch für die Auslegung von Art. 117 lit. b ZPO zu berücksichtigen. Als aussichtslos sind demnach Begehren anzusehen, bei denen die Gewinnaussichten beträchtlich geringer sind als die Verlustgefahren und die deshalb kaum als ernsthaft bezeichnet werden können. Dagegen gilt ein Begehren nicht als aussichtslos, wenn sich Gewinnaussichten und Verlustgefahren ungefähr die Waage halten oder jene nur wenig geringer sind als diese. Massgebend ist, ob eine Partei, die über die nötigen Mittel verfügt, sich bei vernünftiger Überlegung zu einem Prozess entschliessen würde. Eine Partei soll einen Prozess, den sie auf eigene Rechnung und Gefahr nicht führen würde, nicht deshalb anstrengen können, weil er sie nichts kostet. Ob im Einzelfall genügende Erfolgsaussichten bestehen, beurteilt sich aufgrund einer vorläufigen und summarischen Prüfung der Prozessaussichten, wobei die Verhältnisse im Zeitpunkt der Einreichung des Gesuchs massgebend sind (BGE 138 III 217 E. 2.2.4 mit Hinweisen).

2.3 Die Anspruchsvoraussetzung der Nichtaussichtslosigkeit ist grundsätzlich unabhängig von der Parteirolle zu prüfen. Sofern das Verfahren nicht eine besondere Rücksichtnahme auf die Parteirolle verlangt, beurteilt sich im Grundsatz die Aussichtslosigkeit der Rechtsbegehren des Beklagten nicht anders als für den Kläger; auch vom Beklagten kann erwartet werden, dass er offensichtlich berechtigte Ansprüche anerkennt und nicht sinnlos prozessiert (…). Im Rechtsmittelverfahren freilich präsentiert sich die Situation anders: Hier kann die Rechtsposition des Rechtsmittelbeklagten kaum als aussichtslos bezeichnet werden, wenn sie in erster Instanz vom Gericht geschützt worden ist; in der Regel ist daher die Nichtaussichtslosigkeit der Begehren des Rechtsmittelbeklagten zu bejahen (…). (…)

In erstinstanzlichen familienrechtlichen Verfahren wird die Nichtaussichtslosigkeit in der Regel vermutet. Das Obergericht führte in einem Urteil vom 7. Juni 2012 (PC120021) Folgendes aus:

II. 4. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass die unentgeltliche Prozessführung nur gewährt wird, wenn der Prozessstandpunkt der Gesuch stellenden Partei nicht aussichtslos ist (Art. 117 lit. a ZPO). Bei familienrechtlichen Verfahren kann dies kaum je gesagt werden.

In Bezug auf die Erfolgsaussichten von Rechtsmitteln führte das Bundesgericht Folgendes aus (BGE vom 30.4.2010, 5A_107/2010):

2.3. Geht es wie hier um die Beurteilung der Erfolgsaussichten eines kantonalen Rechtsmittels, ist zu beachten, dass ein erstinstanzliches Urteil vorliegt, das mit den gestellten Rechtsmittelanträgen verglichen werden kann. Der Rechtsmittelinstanz wird dadurch die summarische Prüfung der Erfolgsaussichten erleichtert. Nur wenn der Rechtsmittelkläger dem erstinstanzlichen Entscheid nichts Wesentliches entgegensetzen kann, läuft er Gefahr, dass ein Rechtsmittel als aussichtslos eingestuft wird, namentlich wenn eine eingeschränkte Kognition oder Rügepflicht gilt (Urteil 4P.74/2004 vom 26. April 2004 E. 2.3; Meichssner, Das Grundrecht auf unentgeltliche Rechtspflege, 2008, S. 112). Ob der Beschwerdeführer tatsächlich Aussicht darauf hat, mit seinen Berufungsanträgen vollumfänglich durchzudringen, ist nicht massgebend; für die Verneinung der Aussichtslosigkeit ist mitunter ausreichend, wenn gewisse Chancen auf teilweise Gutheissung des Berufungsbegehrens bestehen (Urteil 1B_296/2008 vom 11. Dezember 2008 E. 2.4 mit Hinweis).

5. Notwendigkeit

Ein Anspruch auf einen unentgeltlichen Rechtsbeistand besteht zudem nur, wenn die Vertretung zur Wahrung der Interessen notwendig ist. Das Bundesgericht äusserte sich dazu folgendermassen (BGE 130 I 180):

2.2. (…) Die bedürftige Partei hat Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung, wenn ihre Interessen in schwerwiegender Weise betroffen sind und der Fall in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht Schwierigkeiten bietet, die den Beizug eines Rechtsvertreters erforderlich machen. Droht das in Frage stehende Verfahren besonders stark in die Rechtsposition der betroffenen Person einzugreifen, ist die Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsvertreters grundsätzlich geboten, sonst nur dann, wenn zur relativen Schwere des Falles besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten hinzukommen, denen der Gesuchsteller auf sich alleine gestellt nicht gewachsen wäre (BGE 128 I 225 E. 2.5.2 S. 232; BGE 125 V 32 E. 4b S. 35 f., mit Hinweisen).

Das Bundesgericht äusserte sich zur Notwendigkeit einer anwaltlichen Vertretung im Rechtsmittelverfahren wie folgt (BGE vom 3.2.2012, 5A_649/2011):

5.3. (…) Praxisgemäss ist die Notwendigkeit der anwaltlichen Verbeiständung im Rechtsmittelverfahren nur ausnahmsweise zu verneinen. Dies gilt selbst dann, wenn der Sachverhalt als solcher keine besondere Komplexität aufweist (Urteil 5A_692/2009 vom 5. Januar 2010 E. 3.3). Ebenso gilt dies auch und gerade in jenen Fällen, in denen in erster Instanz kein Anwalt beteiligt war, und, wie vorliegend, ein erheblicher Eingriff in die persönliche Freiheit der Gesuchstellerin auf dem Spiel steht. Gerade in vormundschaftlichen Verfahren stellen sich häufig Fragen der Zweckmässigkeit und Angemessenheit der getroffenen Massnahmen; derartige Wertungsfragen können kaum als einfach bezeichnet werden. Vor diesem Hintergrund hat die Beschwerdeführerin 1 in guten Treuen ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung gestellt, deren Notwendigkeit mangels anderer Anhaltspunkte zum Zeitpunkt der Gesuchseinreichung zu bejahen gewesen wäre. Dass sie in einem ersten Schritt – mit Hilfe ihrer Tochter (Beschwerdeführerin 2) – eine Beschwerdeschrift eingereicht hat, die den qualitativen Anforderungen genügte, berechtigt nicht zur Verweigerung der unentgeltlichen Verbeiständung. (…)

Art. 118 Abs. 1 Bst. c ZPO sieht heute ausdrücklich vor, dass die Notwendigkeit zu bejahen ist, wenn die Gegenseite anwaltlich vertreten ist. Dabei handelt es sich um eine gesetzliche Konkretisierung des Grundsatzes der Waffengleichheit.

In familienrechtlichen Verfahren wird die Notwendigkeit – analog der Nichtaussichtslosigkeit – in der Regel vermutet.

Problematisch ist es, wenn eine Partei zunächst allein die Prozessführung wahrnimmt und selbst Rechtsschriften verfasst, in einem späteren Zeitpunkt jedoch einen unentgeltlichen Rechtsbeistand beantragt. Dann kann das Gericht den Antrag mit dem Argument ablehnen, dass sie auch ohne Rechtsvertretung ihre Interessen in angemessener Weise hat wahrnehmen können.

6. Subsidiarität der unentgeltlichen Rechtspflege

Die unentgeltliche Rechtspflege kann schliesslich nur bewilligt werden, wenn nicht anderweitig der Prozess finanziert werden kann. So sind namentlich der Ehegatte wegen der ehelichen Beistandspflicht (Art. 159 Abs. 3 und Art. 163 ZGB) bzw. Eltern für ihre nicht volljährigen Kinder (Art. 272 und Art. 276 ZGB) unterstützungspflichtig. Diese haben der anderen Partei einen Prozesskostenvorschuss bzw. einen Prozesskostenbeitag zu leisten.

7. Zeitpunkt der massgeblichen Verhältnisse

Beim Entscheid über die unentgeltliche Rechtspflege sind die finanziellen Verhältnisse zum Zeitpunkt der Gesuchstellung relevant (BGE vom 19.3.2013, 4A_645/2012, E. 3.2):

3.2 Zur Prüfung der Bedürftigkeit sind sämtliche Umstände im Zeitpunkt der Einreichung des Gesuches zu würdigen; die entscheidende Behörde hat insbesondere zu berücksichtigen, welche Mittel binnen welcher Frist aufzubringen sind. Massgebend ist die gesamte wirtschaftliche Situation zur Zeit der Gesuchstellung; das heisst, es ist einerseits sämtlichen finanziellen Verpflichtungen des Gesuchstellers Rechnung zu tragen, und es sind anderseits nicht nur die Einkünfte, sondern auch die Vermögenssituation des Gesuchstellers beachtlich. Nur bei vollständiger Kenntnis der gesamten finanziellen Verhältnisse des Gesuchstellers kann namentlich beurteilt werden, ob und allenfalls in welchem Umfang ihm die Beanspruchung des Vermögens, etwa durch entsprechende Kreditaufnahme, nicht nur möglich, sondern auch zumutbar ist, um die Mittel aufzubringen, welche zur Führung des Prozesses erforderlich sind (BGE 120 Ia 179 E. 3a S. 181).

In einer Scheidung darf zum Beispiel die unentgeltliche Rechtspflege nicht mit dem Argument verweigert werden, dass der gesuchstellenden Person im Urteil eine güterrechtliche Ausgleichszahlung zugesprochen wird. Es ist dagegen zulässig, dass das Gericht die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege mit der Bedingung verknüpft, dass ein allfälliger Prozessgewinn abgetreten wird. Ferner ist es möglich, dass die Person im Nachhinein zur Nachzahlung gemäss Art. 123 Abs. 1 ZPO verpflichtet wird.

BGE 142 III 131:

Es ist zulässig, die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege von der Abtretung eines allfälligen Prozessgewinns bis zur Höhe der auf den Gesuchsteller entfallenden Gerichtskosten und der Kosten der anwaltlichen Vertretung abhängig zu machen (E. 2-4).

4.2 Soweit der Beschwerdeführer meint, mit der vorliegenden Abtretung werde Art. 123 Abs. 1 ZPO umgangen, sind seine Bedenken unbegründet. Die Abtretung bezweckt nicht, dass der Staat die Nachzahlung fordern könnte, obschon der Beschwerdeführer zur Nachzahlung wirtschaftlich nicht in der Lage wäre. Vielmehr soll die Abtretung die Nachforderung der staatlich bevorschussten Prozesskosten erleichtern, wenn die Voraussetzungen nach Art. 123 Abs. 1 ZPO gegeben sind und die bedürftige Partei zur Nachzahlung der bevorschussten Prozesskosten rechtskräftig verpflichtet wurde. Die Abtretung steht damit in den Schranken von Art. 123 Abs. 1 ZPO. Dass dies in der Abtretungserklärung nicht ausdrücklich vorbehalten wird, schadet nicht, ergibt sich dies doch aus dem gesetzlichen Rahmen, in dem die Abtretung erfolgt.

4.3 Die unentgeltliche Rechtspflege wurde dem Beschwerdeführer vollständig gewährt. Er ist somit trotz seiner finanziellen Bedürftigkeit im Stande, zur Durchsetzung seiner Rechte den Prozess gegen die Beschwerdegegnerin zu führen. Sein Zugang zum Gericht wird durch die Unterzeichnung der Abtretungserklärung nicht beeinträchtigt. Ungeachtet der Abtretung kann die Nachforderung der vom Staat bevorschussten Prozesskosten sodann nur unter den Voraussetzungen von Art. 123 Abs. 1 ZPO gefordert werden. Vor diesem Hintergrund verletzt das Abtretungserfordernis die Rechte des Beschwerdeführers nicht.

8. Zeitliche Wirkung der unentgeltlichen Rechtspflege

Die unentgeltliche Rechtspflege wird ab dem Zeitpunkt des Gesuches bewilligt. Eine rückwirkende Bewilligung ist nur ausnahmsweise möglich (Art. 119 Abs. 4 ZPO). Eine gewisse Rückwirkung ist jedoch systemimmanent, da notwendige Arbeiten des Anwaltes im Zusammenhang mit der Erstellung des Gesuchs bzw. der Klage geltend gemacht werden können.

Darum ist es regelmässig der erste Schritt in einem Prozess, das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege zu stellen. Dies ist auch notwendig, um einer allfälligen Pflicht zur Leistung eines Kostenvorschusses zu entgehen (Art. 118 Abs. 1 Bst. a ZPO).

9. Unentgeltliche Rechtspflege vor Klageeinleitung bzw. für das Schlichtungsverfahren

Es kann auch ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gestellt werden, bevor überhaupt die Klage beim Bezirksgericht rechtshängig gemacht worden ist (Art. 119 Abs. 1 ZPO). Das Gleiche gilt für die unentgeltliche Rechtspflege im Schlichtungsverfahren. Zuständig für das Gesuch ist das Einzelgericht des in der Hauptsache örtlich zuständigen Bezirksgerichts (§ 128 GOG), welches in einem summarischen Verfahren entscheidet (Art. 119 Abs. 3 Satz 1 ZPO). Das Verfahren ist kostenlos (Art. 119 Abs. 6 ZPO).

Als das Obergericht noch für die Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege im Schlichtungsverfahren zuständig war, führte es zur unentgeltlichen Rechtspflege im Schlichtungsverfahren Folgendes aus (Urteil vom 2.3.2012, VO120014):

II. 2.7. Bei der Beurteilung der Bedürftigkeit bei Gesuchen um unentgeltliche Rechtspflege für das Schlichtungsverfahren sind sehr strenge Massstäbe anzulegen: Die in einem Schlichtungsverfahren entstehenden Kosten sind – anders als vor einer Gerichtsinstanz – sehr beschränkt und können deshalb bereits bei einem relativ geringen Überschuss des Einkommens über den zivilprozessualen Notbedarf bestritten werden.

Die Rechtsprechung des Obergerichts zum Schlichtungsverfahren ist etwas weltfremd. Wohl muss das Schlichtungsbegehren nicht begründet werden, aber für die Bezifferung der Klage (Rechtsbegehren) muss in gewissen Fällen ein ähnlich grosser Aufwand betrieben werden. Bei arbeitsrechtlichen Klage müssen zum Beispiel Lohn-, Ferien- und Überstundenansprüche nachgerechnet werden. Ausserdem muss ein gewisser Aufwand betrieben werden, damit das Prozessrisiko abgeschätzt werden kann.

10. Unentgeltliche Rechtspflege für das Rechtsmittelverfahren

Für das Rechtsmittelverfahren ist die unentgeltliche Rechtspflege neu zu beantragen (Art. 119 Abs. 5 ZPO). Nur weil im erstinstanzlichen Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege bewilligt worden ist, heisst das noch lange nicht, dass dies im Rechtsmittelverfahren auch so ist. Namentlich sind die Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels zu prüfen.

11. Wirkungen der unentgeltlichen Rechtspflege

Die unentgeltliche Rechtspflege befreit die Partei von der Pflicht zur Zahlung von Vorschuss- und Sicherheitsleistungen (Art. 118 Abs. 1 Bst. a ZPO) sowie von den Gerichtskosten (Art. 118 Abs. 1 Bst. b ZPO).

Bei Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes muss die Partei im Moment nicht für die Anwaltskosten aufkommen (Art. 118 Abs. 1 Bst. c ZPO). Der unentgeltliche Rechtsbeistand wird in der Regel direkt aus der Gerichtskasse bezahlt. Obsiegt die unentgeltlich vertretene Partei, so wird dem unentgeltlichen Rechtsbeistand die Parteientschädigung direkt zugesprochen (Obergericht, Urteil vom 1.7.2011, PF110018). Dieser fordert sein Honorar somit bei der Gegenpartei ein. Ist das Honorar jedoch nicht erhältlich, wird der unentgeltliche Rechtsvertreter aus der Gerichtskasse entschädigt (Art. 122 Abs. 2 ZPO).

Die unentgeltliche Rechtspflege befreit dagegen eine Partei nicht von der Pflicht zur Zahlung einer Parteientschädigung (Art. 118 Abs. 3 und Art. 122 Abs. 1 Bst. d ZPO). Das heisst, dass sie zwar keine Prozesskosten zahlen muss, dagegen allenfalls eine Parteientschädigung an die obsiegende Partei.

Die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege hat jedoch nicht zur Folge, dass die Prozesskosten definitiv abgeschrieben werden. Diese werden gestundet und sollte die Partei wieder in bessere wirtschaftliche Verhältnisse kommen, kann diese zur Nachzahlung der Prozesskosten verpflichtet werden (Art. 123 Abs. 1 ZPO). Der Anspruch des Kantons verjährt allerdings definitiv 10 Jahre nach Abschluss des Verfahrens (Art. 123 Abs. 2 ZPO). Deshalb ist es im Übrigen nicht richtig, den unentgeltlichen Rechtsbeistand als Gratisanwalt zu bezeichnen.

Das Inkasso der vorläufig abgeschriebenen Kosten besorgt das Obergericht (Zentrales Inkasso). Dieses schreibt die Parteien regelmässig an, um zu erfahren, ob sich die finanziellen Verhältnisse verbessert haben, was eine Nachzahlungspflicht begründen würde. Das Zentrale Inkasso des Obergerichts treibt heutzutage verstärkt offene Beträge ein, namentlich auch mittels Ratenzahlungen.

Das Obergericht verpflichtete zum Beispiel in einem Urteil vom 2. Mai 2016 (PC160004) eine Partei zur Nachzahlung der Gerichts- und Anwaltskosten aus einem Scheidungsverfahren im Betrag von CHF 72’573.50.

12. Wechsel des unentgeltlichen Rechtsbeistandes

Das Obergericht führte Folgendes aus (Beschluss vom 21.6.2012, PC120023, E. 2.3):

Zwischen dem Staat und dem unentgeltlichen Rechtsbeistand besteht ein durch Verfügung begründetes mandatähnliches öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis. Zu der Partei hingegen besteht bei einer gerichtlichen Bestellung gemäss Art. 118 Abs. 1 lit. c ZPO grundsätzlich ein privatrechtlicher Auftrag, wobei das Auftragsverhältnis durch das öffentliche Recht überlagert wird (vgl. BGE 122 I 322 Erw. 3b, LUKAS HUBER, DIKE-Komm-ZPO, Art. 118 N 12). Ein Wechsel des bestellten unentgeltlichen Rechtsbeistandes ist grundsätzlich nur dann zu bewilligen, wenn eine Partei dartun kann, dass sie das Vertrauen in ihren Rechtsbeistand verloren hat, und dies als objektiv begründet erscheint; blosse Meinungsverschiedenheiten zwischen Rechtsbeistand und Partei genügen hierzu jedoch nicht. Ein Wechsel ist nur mit Zurückhaltung zu gewähren (vgl. BGE 114 IA 101 Erw. 3).

Es liegt somit nicht im alleinigen Belieben einer Partei, einen unentgeltlichen Rechtsbeistand auszuwechseln. Dies um so mehr, da die Kosten der Kanton zu tragen hat. Ob ein Anwaltswechsel bewilligt wird, hängt vor allem vom zuständigen Richter ab. Entgegen der strengen Praxis des Obergerichts wird in bezirksgerichtlichen Verfahren ein einmaliger Anwaltswechsel trotzdem relativ häufig bewilligt.

13. Entzug der unentgeltlichen Rechtspflege

Die einmal gewährte unentgeltliche Rechtspflege kann auch wieder entzogen werden, wenn die Voraussetzungen der unentgeltlichen Rechtspflege nicht mehr erfüllt sind (Art. 120 ZPO), namentlich, wenn sich die finanziellen Verhältnisse der Partei verbessert haben. Der Entzug erfolgt grundsätzlich nur für die Zukunft.

14. Rechtsmittel

Entscheide, in denen die unentgeltliche Rechtspflege ganz oder teilweise abgelehnt worden oder entzogen worden ist, können mit Beschwerde (Art. 319 ff. ZPO) angefochten werden (Art. 121 ZPO).

15. Kosten des Beschwerdeverfahrens bezüglich unentgeltlicher Rechtspflege

Das Bundesgericht hielt dazu in BGE 137 III 470 Folgendes fest:

Einzig das Gesuchsverfahren fällt unter Art. 119 Abs. 6 ZPO und ist demnach grundsätzlich kostenlos, hingegen nicht das Beschwerdeverfahren gegen einen die unentgeltliche Rechtspflege abweisenden oder entziehenden Entscheid der ersten Instanz.