Weniger KESB ist mehr KESB

In der öffentlichen Diskussion wird häufig moniert, dass die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde zu viel Macht habe. Dabei ziehen die KESB-Kritiker meist den falschen Schluss und stellen die Tätigkeit der KESB grundsätzlich in Frage. Eine Behörde wie die KESB ist aber unverzichtbar. Interessanterweise wird aber nie die naheliegendste Frage gestellt, nämlich, ob der Aufgabenkatalog der KESB überhaupt gerechtfertigt ist. Oder anders gefragt: Sind nicht andere Behörden – vor allem Gerichte – für gewisse Aufgaben der KESB nicht besser geeignet?

Als Erstes müssen somit einmal grundsätzlich die Kompetenzen der KESB überprüft werden. Der jetzige Aufgabenkatalog der KESB ist nicht sankrosankt. Aufgaben, für welche insbesondere die Gerichte besser geeignet sind, sollen diese machen. Der Aufgabenbereich der KESB soll auf ihre primäre Funktion, nämlich den Kindes- und Erwachsenenschutz, beschränkt werden. In diesem Sinne ist weniger KESB schliesslich mehr KESB, da die KESB von verschiedenen Aufgaben entlastet wird und sich folglich nur um ihre Kernaufgaben kümmern muss.

Das Zivilgesetzbuch aus dem Jahr 1907 unterschied zwischen ehelichen und ausserehelichen Kindern. Die ausserehelichen Kinder wurden in verschiedener Hinsicht rechtlich gegenüber den ehelichen Kindern diskriminiert. Erst das neue Kindesrecht aus dem Jahr 1976 brauchte eine weitgehende Gleichstellung von ehelichen und ausserehelichen Kindern. Die Unterscheidung zwischen ehelichen und ausserehelichen Kindern wirkt allerdings bis heute nach, namentlich in Bezug auf die Rechtsstellung unverheirateten Kindeseltern. So ist es dem unehelichen Vater erst seit dem 1. Juli 2014 möglich, das (gemeinsame) Sorgerecht zu erhalten. Mit dem neuen Unterhaltsrecht, das seit dem 1. Januar 2017 gilt, ist schliesslich ein Betreuungsunterhalt eingeführt worden. Durch die Erhöhung des Kinderunterhaltes ist die Rechtsstellung der nicht verheirateten Kindesmutter erheblich verbessert worden. Demzufolge werden heute verheiratete und nicht verheiratete Kindesmütter unterhaltsrechtlich sehr ähnlich behandelt.

Auch wenn im Kindesrecht die ausserehelichen und ehelichen Kinder gleichgestellt worden sind und die Rechtsstellung der unverheirateten Kindeseltern verbessert worden ist, ist dieser Paradigmenwechsel jedoch im Verfahrensrecht nicht nachvollzogen worden. Je nachdem, ob die Kindeseltern verheiratet oder nicht verheiratet sind oder gewesen sind, sind unterschiedliche Behörden (Gericht bzw. KESB) zuständig oder unterschiedliche Verfahren anwendbar.

Beispiel: Wenn ein Ehepaar sich trennt, kann das Gericht in einem Eheschutzverfahren die Obhut, die Betreuung und den Kinderunterhalt regeln. Wenn dagegen ein unverheiratetes Paar sich trennt, ist die KESB für die Regelung der Obhut und der Betreuung zuständig. Für die Regelung des Kinderunterhalts ist dagegen das Gericht zuständig, wobei die Unterhaltsklage zunächst beim Friedensrichter eingereicht werden muss.

Dieses Beispiel zeigt auf, dass es völlig unsinnig ist, dass unterschiedliche Behörden für die gleiche Thematik zuständig sind, nur weil die Kindeseltern verheiratet oder nicht verheiratet sind. Und noch absurder ist es, dass für nicht verheirate Eltern sogar zwei Instanzen gleichzeitig zuständig sind. Schliesslich werden unverheiratete Eltern stigmatisiert, wenn sie sich an eine Schutzbehörde wenden müssen.

Ferner gibt es im Zivilgesetzbuch weitere seltsame Zuständigkeitsbestimmungen. Für die Abänderung eines gerichtlichen Entscheides (Neuregelung der elterlichen Sorge, Obhut, Genehmigung Unterhaltsvertrag) ist grundsätzlich – wie das normal ist – das Gericht zuständig. Wenn jedoch die Parteien über die Abänderung einig sind, ist dagegen die KESB zuständig (Art. 134 Abs. 3 ZGB). Die sachliche Zuständig daran anzuknüpfen, ob die Parteien einig oder uneinig sich, lässt sich mit sachlichen Gründen nicht begründen. Vielmehr handelt es sich um ein historisches Relikt. Wie sinnlos diese Regelung ist, zeigt auch der Umstand, dass gerade die Gerichte immer auf eine Einigung der Parteien hinarbeiten.

Demzufolge wäre es angezeigt, die behördlichen Kompetenzen im Bereich Familienrecht bei den Gerichten zu konzentrieren. Da die Gerichte bereits heute grosse Erfahrung mit Eheschutz- und Scheidungsverfahren haben, können sie sich ohne Weiteres auch um die entsprechenden Fragen von unverheirateten Paaren kümmern.

In Bezug auf unverheiratete Paare sind deshalb namentlich folgende Bereiche aus dem Kompetenzbereich der KESB zu lösen und den Gerichten zuzuweisen:
– Regelung von Obhut und Betreuung,
– Wechsel des Aufenthaltsortes des Kindes,
– Genehmigung von Unterhaltsverträgen.

Diese Kompetenzverschiebung bedarf jedoch ein paar gesetzlicher Änderungen. Zunächst muss für Konkubinatspaare die grundsätzliche Möglichkeit geschaffen werden, dass sie ans Gericht gelangen können. Ich denke an ein Verfahren, das sich am Eheschutzverfahren orientiert. Ferner müssen sämtliche Kompetenzen der KESB gestrichen werden, weshalb nur noch das Gericht zuständig ist. Eine Gesetzesänderung, die allerdings noch detailliert ausgearbeitet werden muss, könnte etwa folgendermassen aussehen:

Entwurf zur Änderung des Zivilgesetzbuches:

Art. 134
F. Kinder / II. Veränderung der Verhältnisse
(Absatz 3 wird gestrichen.)

Zweiter Teil, (neue) Zweite Abteilung: Die nichteheliche Partnerschaft
Art. 251a
Regelung des Getrenntlebens
1 Bei Aufhebung der nichtehelichen Partnerschaft muss das Gericht auf Begehren eines Partners oder Partnerin:
a. die Unterhaltsbeiträge an die Kinder festlegen;
b. die Benützung der Wohnung und des Hausrates regeln.
2 Haben die Partnerin und der Partner minderjährige Kinder, so trifft das Gericht nach den Bestimmungen über die Wirkungen des Kindesverhältnisses die nötigen Massnahmen.
3 Artikel 179 gilt sinngemäss.

Art. 287
E. Verträge über die Unterhaltspflicht / I. Periodische Leistungen
1 Unterhaltsverträge werden für das Kind erst mit der Genehmigung durch das Gericht verbindlich.
2 Vertraglich festgelegte Unterhaltsbeiträge können geändert werden, soweit dies nicht mit Genehmigung des Gerichts ausgeschlossen worden ist.

Art. 301a
B. Inhalt / II. Bestimmung des Aufenthaltsortes
2 Üben die Eltern die elterliche Sorge gemeinsam aus und will ein Elternteil den Aufenthaltsort des Kindes wechseln, so bedarf dies der Zustimmung des andern Elternteils oder der Entscheidung des Gerichts, wenn:
a. der neue Aufenthaltsort im Ausland liegt; oder
b. der Wechsel des Aufenthaltsortes erhebliche Auswirkungen auf die Ausübung der elterlichen Sorge und den persönlichen Verkehr durch den andern Elternteil hat.
5 Soweit dies erforderlich ist, verständigen sich die Eltern unter Wahrung des Kindeswohls über eine Anpassung der Regelung der elterlichen Sorge, der Obhut, des persönlichen Verkehrs und des Unterhaltsbeitrages. Können sie sich nicht einigen, entscheidet das Gericht.

Art. 315c
C. Kindesschutz / VII. Zuständigkeit / 3. In nichtehelichenVerfahren
Die Artikel 315a und 315b gelten sinngemäss.