Die Mutter, ihr Sohn und die KESB

Der folgende Fall dreht sich um die Frage, inwieweit Verwandte von betroffenen Personen in ein KESB-Verfahren zu involvieren sind bzw. ob den Verwandten Verfahrensrechte zustehen.

Es geht um eine Mutter, die über ihren erwachsenen Sohn bestimmen und in sein Leben reinreden will. Dies primär aus eigennützigen Gründen, weil der bei ihr wohnende Sohn ihr auf der Tasche liegt. Als das Obergericht die Beschwerde behandeln musste, war der Sohnemann jedoch bereits aus dem Hotel Mama ausgezogen.

Im Urteil des Obergerichts vom 29. September 2017 (PQ170040) findet sich folgender Sachverhalt:

A. ist die Mutter des am tt. Februar 1994 geborenen B. Der Sohn lebte seit dem 11. Dezember 2014 bei der Mutter (KESB-act. 6). Am 16. Januar 2015 reichten A. und D. (Tante von B.) bei der KESB Zürich zwei im Wesentlichen gleichlautende Gefährdungsmeldungen ein. Sie schilderten unter anderem, B. vernachlässige sowohl seine Hygiene als auch die finanziellen Angelegenheiten. Er sei in einem schlechten sozialen Umfeld, konsumiere zu viel Hanf. B. sei aggressiv, es bestehe Fremd- und Selbstgefährdung. Er sei nicht kooperativ, tauche nicht bei Behörden auf und sehe nicht ein, dass er Hilfe brauche (KESB-act. 1 und 2). (…) Am 18. Januar 2015 schrieb B. der KESB Uster, er werde mehrfach von Depressionen und Antriebslosigkeit geplagt. Er vernachlässige seine Korrespondenz und die bürgerlichen Verpflichtungen. Er ersuche die KESB deshalb, die Errichtung einer Begleitbeistandschaft zu prüfen (KESB-act. 4). (…) Am 2. Februar 2015 schrieb Rechtsanwalt X. im Namen von A., B. gehe keiner Erwerbstätigkeit nach. Seine Mutter könne ihn nicht mehr finanziell unterstützen. B. habe sich nicht beim Sozialamt angemeldet. Sollte er sich nicht an den Wohnkosten beteiligen können, müsste die Mutter den Sohn vor die Tür setzen, was die Gefahr von Verwahrlosung und von strafbaren Handlungen erhöhe (KESB-act. 6).

Am 19. Februar 2015 hörte die KESB B. an. Er schilderte, er sei mit dem „Papierkrieg“ überfordert, weshalb eine Beistandschaft zu errichten sei. Ein Einkommen erziele er nicht und er habe rund 17’000 Franken Schulden. Er wohne bei der Mutter, die alles finanziere. Er wolle nun eine eigene Wohnung, ein betreutes Wohnen lehne er ab. Er habe zwar keine Lust, täglich zu arbeiten, fühle sich aber in der Lage, einer Arbeit nachzugehen, und zwar auf dem ersten Arbeitsmarkt. Wegen Depressionen gehe er ab und zu zum Arzt in die psychiatrische Poliklinik Zürich. B. erklärte, er wolle nicht, dass seine Mutter über das KESB-Verfahren informiert werde (KESB-act. 8).

Mit Entscheid vom 11. März 2015 errichtete die KESB für B. eine Vertretungsbeistandschaft mit Einkommens- und Vermögensverwaltung im Sinne von Art. 394 Abs. 1 und Art. 395 Abs. 1 und 2 ZGB. (…) Am 16. März 2016 wurde das Beistandsmandat auf C. übertragen (KESB-act. 20). B. war damit einverstanden (KESB-act. 19).

Am 22. August 2016 erhob A. bei der Direktion der Justiz und des Inneren des Kantons Zürich Aufsichtsbeschwerde gegen die KESB. Sie beantragte, die KESB bzw. die Beiständin sei anzuhalten, B. bei der Sozialbehörde anzumelden, es sei ihm eine Wohnung zu besorgen und er sei bei der Gemeinde anzumelden. Es sei die Notwendigkeit eines betreuten Wohnens abzuklären. Zudem sei abzuklären, ob die Unfähigkeit von B., für sich zu sorgen, krankheitsbedingt sei, und ob er bei der Arbeitssuche bzw. der Suche nach Ersatzeinkommen (IV) zu unterstützen sei . Am 1. September 2016 teilte die Direktion der Justiz und des Inneren mit, dass die Aufsichtsbehörde nicht in konkrete Einzelfälle eingreifen könne, weshalb der Aufsichtsbeschwerde keine Folge gegeben werde. A. müsse sich an die KESB wenden (KESB-act. 22).

Am 20. September 2016 reichte A. bei der KESB eine Gefährdungsmeldung ein und wiederholte im Wesentlichen das in der Aufsichtsbeschwerde Vorgebrachte (KESB-act. 24). Am 13. Oktober 2016 wurde A. angehört (KESB-act. 25).

In der Folge wies die KESB die Anträge der Mutter ab. Der Bezirksrat wies die Beschwerde der Mutter gegen den KESB-Entscheid ab. Mit Eingabe vom 24. Mai 2017 erhob die Beschwerdeführerin schliesslich Beschwerde beim Obergericht. Unter anderem mit folgenden Anträgen:

3. Die KESB Uster bzw. der von ihr eingesetzte Beistand sei anzuhalten, B.
– Bei der Sozialbehörde anzumelden
– Ihm eine Wohnung zu besorgen und ihn dort bei der Gemeinde anzumelden
– Die Notwendigkeit eines betreuten Wohnens abzuklären
– Abzuklären, ob die Unfähigkeit von B., für sich zu sorgen, krankheitsbedingt ist
– Ihn bei der Arbeitssuche bzw. bei der Suche nach Ersatzeinkommen (IV) zu unterstützen.

4. Bei Weigerung von B. zur Zusammenarbeit mit der KESB seien weitergehende Massnahmen wie eine punktuelle Einschränkung der Handlungsfähigkeit (Art. 394 Abs. 2 ZGB) oder eine fürsorgerische Unterbringung zu prüfen.

5. Zur Abklärung und Konkretisierung der Anträge seien die vollständigen Akten von der KESB beizuziehen und Akteneinsicht zu gewähren.

Das Obergericht fasste die Begründung der Mutter wie folgt zusammen:

3. Argumente der Beschwerdeführerin

A. führt aus, ihr Sohn sei nicht in der Lage, seine administrativen Angelegenheiten anzugehen und in seinem Interesse zu handeln. Er schaffe es nicht, ein Einkommen zu erzielen, und sei wohl heute obdachlos. Sein Alltag sei nicht geregelt und er sei für Suchtmittel empfänglich. Da der Beschwerdeführerin die Akteneinsicht nicht gewährt worden sei und der Entscheid der KESB unzureichend begründet sei, könne sie nicht prüfen, ob die Beiständin ihre Aufgabe erfülle. Die Bemerkung „man könne halt nichts machen, wenn ein Klient nicht mitmache“ lasse aber Zweifel an einer sorgfältigen Aufgabenerfüllung der Beiständin und der KESB aufkommen. (…)

Das Obergericht erwog Folgendes:

4. Verfahrenslegitimation

4.1. Gemäss Art. 443 Abs. 1 ZGB kann jede Person eine Gefährdungsmeldung erstatten. Der Meldeerstatter erlangt dadurch allerdings keine Parteirechte. Er kann insbesondere keine Anträge stellen und ihm wird ein Entscheid nicht zugestellt (vgl. BSK ZGB I-AUER/MARTI, Art. 443 N 6). Parteistellung hat nur ein eingeschränkter Personenkreis, neben der betroffenen Person jemand, der der betroffenen Person nahe steht, und Personen, die ein eigenes rechtlich geschütztes Interesse haben. Diese Personen sind insbesondere legitimiert, Entscheide der Erwachsenenschutzbehörde anzufechten (Art. 450 Abs. 2 ZGB) und sie können sich gegen Handlungen und Unterlassungen namentlich von Beiständen zur Wehr setzen (Art. 419 ZGB).

Die KESB wies mit Entscheid 2. November 2016 die Anträge der Beschwerdeführerin ab und sprach ihr mit dem Hinweis auf das Amtsgeheimnis gemäss Art. 451 Abs. 1 ZGB sinngemäss die Verfahrenslegitimation ab. Unterstellt man die Richtigkeit des Entscheides, könnte man sich fragen, ob die KESB die Sache nicht durch einen Nichteintretensentscheid hätte erledigen sollen. Die Frage der Entscheidart (Nichteintreten oder Abweisung) ist für den Ausgang des Verfahrens indes nicht relevant, weshalb sie unbeantwortet bleiben kann. Die KESB hat A. also die Verfahrenslegitimation abgesprochen, und der Bezirksrat hat diesen Entscheid geschützt. Auch wenn sich herausstellen sollte, dass der Beschwerdeführerin die Verfahrenslegitimation vor der KESB gefehlt hatte, ist sie zur Anfechtung der entsprechenden Entscheide legitimiert, um gerade diese Frage überprüfen zu lassen. Auf die Beschwerde ist in diesem Sinn einzutreten.

4.2. Der Kreis der zum Verfahren Zugelassenen stimmt in Art. 419 und Art. 450 Abs. 2 ZGB überein. Es sind dies die am Verfahren beteiligten Personen, die der betroffenen Person nahestehenden Personen und Personen, die ein eigenes rechtlich geschütztes Interesse haben. Die Erstattung einer Gefährdungsmeldung begründet keine Beteiligung am Verfahren (BSK ZGB I-STECK, 5. Auflage, Art. 450 N 31), weshalb der Meldeerstatter nur verfahrenslegitimiert ist, wenn er eine nahestehende Person ist oder ein (eigenes) rechtlich geschütztes Interesse hat. A. ist weder die betroffene Person selbst, noch macht sie ein eigenes rechtlich geschütztes Interesse geltend. Sie setzt sich als Mutter für ihren Sohn ein. Als Mutter von B. ist sie zwar nicht per se eine nahestehende Person im Sinne von Art. 419 und 450 Abs. 2 Ziff. 2 ZGB, da es nicht auf die rechtliche Beziehung, sondern auf die faktische Verbundenheit ankommt (BSK ZGB I-STECK, 5. Auflage, Art. 450 N 32). Nahe Verwandte gelten indes im Sinne einer Tatsachenvermutung als nahestehende Personen (BGer 5A_112/2015 E. 2.5.1.2.). A. ist als Mutter eine B. nahe stehende Person, zumal dieser noch bis vor relativ kurzer Zeit bei seiner Mutter gelebt hatte. Der Umstand, dass B. nicht will, dass sich seine Mutter einmischt und ‚Dinge von ihm erfahre‘ (vgl. KESB-act. 8), vermag daran nichts zu ändern.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist eine nahestehende Person zum Verfahren legitimiert, wenn sie als geeignet erscheint, die Interessen des Betroffenen wahrzunehmen und wenn sie auch tatsächlich die Interessen der betroffenen Person verfolgt (BGer 5A_112/2015 E. 2.5.1.2.). Mit dem Erfordernis der Verfolgung der Interessen der betroffenen Person wird die Beschwerdelegitimation der nahestehenden Person eingeschränkt. Nun könnte man argumentieren, ein materiell richtiger Entscheid sei immer im Interesse der betroffenen Person, was zur Folge hätte, dass eine nahestehende Person immer verfahrenslegitimiert wäre. Damit könnte das Erfordernis der Verfolgung der Interessen des Betroffenen seine Funktion zur Beschränkung der Verfahrenslegitimation nicht mehr erfüllen. Dies ist aber nötig, weil der Begriff der nahestehenden Person sehr weit gefasst wird. Bedenkt man, dass selbst ein Bankangestellter unter Umständen als nahestehende Person betrachtet wird (BSK ZGB I-STECK, 5. Auflage, Art. 450 N 34), leuchtet ohne weiteres ein, dass für die Erfüllung des Erfordernisses der Verfolgung der Interessen des Betroffenen nicht schon das Argument genügen kann, man strebe für die betroffene Person einen materiell richtigen Entscheid an bzw. man wolle für sie das Beste. Nach dem Gesagten ist es also möglich, dass ein Entscheid fehlerbehaftet ist, von der nahestehenden Person aber nicht angefochten werden kann, weil die Einflussnahme in das Verfahren nicht im Interesse der betroffenen Person liegt. So verhält es sich, wenn eine betroffene, urteilsfähige Person erklärt, sie wolle nicht, dass sich eine Drittperson einmische. Gerade bei Personen, die sich sehr nahe stehen, muss es nämlich einer betroffenen Person möglich sein, die Einflussnahme einer bestimmten nahestehenden Person zu verhindern, zumal die Verfahrenslegitimation mit dem Recht auf Akteneinsicht verbunden ist. Das anzustrebende Vertrauensverhältnis zwischen der betroffenen Person und dem Beistand sowie weiteren Personen wie zum Beispiel Ärzten, würde belastet, wenn die betroffene Person befürchten müsste, dass nahestehende Personen sich auch gegen ihren Willen in das Verfahren einmischen und Einsicht in Akten nehmen könnten, die intime Details enthalten können. Die Einflussnahme in das Verfahren durch eine nahestehende Person kann also nicht als im Interesse der betroffenen Person stehend betrachtet werden, wenn diese die Einmischung ausdrücklich ablehnt.

B. erklärte in der Befragung vom 19. Februar 2015, er wolle nicht, dass seine Mutter Einfluss auf das Verfahren nehme (KESB-act. 8 S. 3). Hinweise für eine Urteilsunfähigkeit liegen nicht vor und die Urteilsunfähigkeit wird auch von der Beschwerdeführerin nicht geltend gemacht. Nach dem Gesagten ist deshalb die Verfahrenslegitimation von A. zu verneinen. Deshalb erweist sich auch die Rüge der Beschwerdeführerin, der Entscheid des KESB sei unzureichend begründet worden, als nicht stichhaltig. Denn die als zu knapp beanstandete Begründung bezieht sich auf materielle Aspekte der Führung der Beistandschaft. Da A. nicht verfahrenslegitimiert ist, hätte sich die KESB dazu überhaupt nicht äussern müssen. Zu Recht hat die Vorinstanz den Entscheid der KESB geschützt. Die Beschwerde ist, soweit sie sich gegen Dispositiv Ziffer. I des angefochtenen Entscheides richtet, abzuweisen.

Aufgrund der fehlenden Verfahrenslegitimation ist der Antrag auf Einsicht in die Akten der KESB abzuweisen.

Fazit: Verwandte von betroffenen Personen sind nicht einfach darum an KESB-Verfahren zu beteiligen, weil sie Verwandte sind. Vielmehr ist es erforderlich, dass sie die Interessen der betroffenen Person wahrnehmen. Ihre eigenen, egoistischen Interessen sind nicht von Belang. Schliesslich ist die Meinung der betroffenen urteilsfähigen Person zu respektieren, dass bestimmte Verwandte nicht in das Verfahren zu involvieren seien. Die KESB hat somit zu Recht der Mutter die Akteneinsicht verweigert.