Ein Problemkind, seine Mutter, die Schule und die KESB

Im folgenden Fall geht es um ein Kind, das sich in der Schule sehr verhaltensauffällig gezeigt hat. Von grosser Verwahrlosung in Bezug auf die Einhaltung von Regeln und Sozialkompetenz sowie schulischem Wissensrückstand war die Rede. Die Schule musste verschiedenste Massnahmen ergreifen, was jedoch nicht zum Erfolg führte. Als die Schule mit ihrem Latein am Ende war, erstattete sie zwei Gefährdungsmeldungen bei der KESB.

An diesem unhaltbaren Zustand war erheblich die Mutter mitschuld, welche mit der Schule nicht kooperierte und nicht fähig war, ihre Erziehungsverantwortung wahrzunehmen. Es fehlte ihr insbesondere die Einsicht, dass sie selbst Teil des Problems ist. Das Bundesgericht spricht von Erziehungsversagen. Der Beistand des Kindes beantragte schliesslich, der Mutter die Obhut zu entziehen und das Kind in einem Schulheim unterzubringen. Antragsgemäss entschied die KESB.

Dieser Fall zeigt beispielhaft auf, dass die Familie nicht immer ein Ort der Glückseligkeit ist. Ein Kind ist massiv auffällig und die Mutter ist selbst äusserst schwierig und in der Erziehungsfähigkeit eingeschränkt. Unter diesen Umständen ist das Kindeswohl gefährdet, weshalb schliesslich die KESB eingreifen musste. Manchmal ist es eben notwendig, dass die KESB den Eltern das Kind wegnimmt, um Schaden vom Kind abzuwenden.

Ausserdem zeigt dieser Fall deutlich auf, dass ein Obhutsentzug erst das letzte Mittel ist, die ultima ratio, wenn mildere Massnahmen nicht zum Erfolg geführt haben. Ein Obhutsentzug kommt somit meist nicht einfach aus dem Blauen heraus, sondern es hat eine lange Vorgeschichte. Das sieht man auch in diesem Fall. Vorliegend führten mildernde Massnahmen insbesondere darum nicht zum Ziel, weil die Mutter nicht mit der Schule kooperierte. Am Schluss blieb keine andere Lösung mehr übrig, als das Kind in einem Schulheim unterzubringen.

Das Bundesgericht ging in seinem Urteil vom 23. Oktober 2018 (5A_403/2018) von folgendem Sachverhalt aus:

B.a. Wegen Verhaltensauffälligkeiten bereits im Kindergarten und danach in der Regelschule sowie nach Einholung eines Berichts des Schulpsychologischen Dienstes wies die Schulpflege der Gemeinde U. am 19. Mai 2016 C.A. per 8. August 2016 in eine Tagessonderschule ein. In Wiedererwägung dieses Entscheides und mit dem Einverständnis von A.A. beschloss die Schulpflege der Gemeinde U. am 16. Juni 2016 die Einweisung von C.A. in das Schulheim D. (Eintritt am 8. August 2016).

B.b. Am 8. September 2016 (Eingang: 13. September 2016) erstattete das Schulheim D. beim Bezirksgericht Baden, Familiengericht, Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (nachfolgend: KESB) eine Gefährdungsmeldung. Eine weitere Gefährdungsmeldung der Schulpflege der Gemeinde U. ging am 23. September 2016 bei der KESB ein.

B.c. Mit superprovisorischer Verfügung vom 3. November 2016 errichtete die KESB für C.A. eine Beistandschaft nach Art. 308 Abs. 2 ZGB, welche die Aufgabenbereiche umfasste, eine geeignete Beschulung für C.A. zu organisieren, in Zusammenarbeit mit den Eltern den Eintritt in die Sonderschule zu organisieren und umzusetzen sowie nötigenfalls Antrag auf Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts der Eltern zu stellen. Als Beistand ernannte die KESB E., c/o Soziale Dienste U..

B.d. Mit Bericht vom 5. Januar 2017 beantragte der eingesetzte Beistand den Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts der Eltern nach Art. 310 ZGB für C.A. und dessen Platzierung im Sonderschulheim F., V.. Mit im Dispositiv eröffnetem Entscheid vom 18. Januar 2017 entzog die KESB den Kindseltern gestützt auf Art. 310 Abs. 1 ZGB das Aufenthaltsbestimmungsrecht für C.A., brachte ihn im Schulheim F. unter und bestätigte mit geänderten Aufgabenbereichen die Beistandschaft nach Art. 308 Abs. 1 und 2 ZGB sowie den eingesetzten Beistand E.. Einer allfälligen Beschwerde wurde die aufschiebende Wirkung entzogen.

B.e. Am 2. Februar 2016 verlangte A.A. von der KESB die Zustellung des begründeten Entscheids. Gegen den Entzug der aufschiebenden Wirkung erhob sie am 3. Februar 2016 beim Obergericht des Kantons Aargau Beschwerde. Nach superprovisorischer Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung am 6. Februar 2017 wies das Obergericht die Beschwerde mit Entscheid vom 14. Juli 2017 ab.

B.f. Mit Vollstreckungsentscheid der KESB vom 9. Oktober 2017 wurde die Regionalpolizei W. angewiesen, C.A. in das Schulheim F. in V. zu bringen resp. zuzuführen. Seit dem 13. Oktober 2017 befindet er sich in diesem Schulheim.

B.g. Am 30. Oktober 2017 entschied die KESB, den Entscheid vom 18. Januar 2017 nicht in Wiedererwägung zu ziehen und bestätigte den im Dispositiv eröffneten Entscheid vom 18. Januar 2017.

C. Gegen diesen Entscheid erhob A.A. beim Obergericht am 2. Dezember 2017 Beschwerde und beantragte die Aufhebung der von der Vorinstanz angeordneten kindesschutzrechtlichen Massnahme, eventualiter den Auftrag des Beistands darauf zu beschränken, die Eltern in ihrer Sorge um den Betroffenen mit Rat und Tat zu unterstützen und die persönliche und schulische Entwicklung des Betroffenen zu begleiten. (…)

Weiter führte das Bundesgericht in Bezug auf die Vorgeschichte Folgendes aus:

3.2. Sodann führte die Vorinstanz aus, der erste schulpsychologische Bericht über C.A. datiere vom 31. März 2014. Der Bericht verweise auf Verhaltensauffälligkeiten schon während der Kindergartenzeit. Die zuständige Psychologin habe weitere Abklärungen und eine weitere Begleitung der Mutter empfohlen. Im zweite Bericht vom 12. November 2015 wurde im Bezug auf das Verhalten von C.A., der mittlerweile die Primarschule besucht habe, eine soziale Beeinträchtigung im Sinne der Sonderschul-Verordnung bejaht und eine Versuchsphase integrativer Schulung mit Förderunterricht VM (verstärkte Massnahmen) in erheblichem Ausmass sowie Anmeldung bei Hometreatment Aargau (HotA) empfohlen. Erst anschliessend, fast ein Jahr später, habe die Schulleitung U. am 20. September 2016 die Gefährdungsmeldung erstattet, nachdem am 4. November 2015 ein Elterngespräch mit der Mutter und dem Vater ausser unverbindlichen Absichtserklärungen – etwa zur Beanspruchung von HotA – keine konkreten Ergebnisse erzielt worden seien und die von der Schulpflege am 16. Juni 2016 im Einverständnis mit der Mutter beschlossene Einweisung ins D. sich als nicht tragfähig erwiesen habe. Im Bericht des Schulheims D. vom 8. September 2016 sei ausgeführt worden, dass bei C.A. grosse Verwahrlosung bezüglich Einhaltung von Regeln und bezüglich Sozialkompetenz sowie ein schulischer Wissensrückstand feststellbar seien, die Mutter sich jedoch nicht auf die Platzierung habe einlassen können und es an der Kooperation fehlen lasse. Zuvor sei die Einschulung in der Tagesschule X. am Widerstand der Mutter gescheitert. Als völlig unzuverlässig beschrieben werde darin auch der Kontakt zwischen der Mutter und der Schule – Termine würden nicht eingehalten oder C.A. ungenügend verpflegt in die Schule geschickt – sowie auch die Beziehung der Kindseltern. Der Vater lebe in Mazedonien, erscheine dennoch immer wieder bei der Mutter und lehne schulische Massnahmen regelmässig ab, obschon er über die Verhältnisse nicht Bescheid wissen könne.

Aus der gesamten mehrjährigen Entwicklung von C.A. werde deutlich, dass die Beschwerdeführerin trotz eklatanter sozialer und schulischer Probleme sich uneinsichtig zeige, Hilfe nicht annehme, sondern nur fordere, und sich entgegen der Beobachtung aller zahlreich involvierten schulischen und pädagogischen Betreuungspersonen – und nicht nur einer Lehrerin an der Schule in U. – auf den Standpunkt stelle, es bestünden keine Probleme, sondern nur ein Mangel an geeigneten Lehrpersonen. Die Situation zu Hause werde ebenso beschönigt, wie die unklare Beziehung zum Vater. C.A. fehle offensichtlich eine tragfähige Elternbeziehung, woran nichts ändere, dass er seine Mutter liebe und auch gerne mit ihr zusammen sei. Die Gefährdung von C.A. liege vor diesem Hintergrund auf der Hand. Er brauche eine strukturierte Beziehung zu Erziehungsverantwortlichen, die ihm zu Hause nicht zur Verfügung stehe und zusätzlich durch den Umstand erschwert werde, dass Hilfsangebote von der Beschwerdeführerin ausgeschlagen, sein Unterstützungsbedarf nur vordergründig akzeptiert und Probleme offensichtlich bagatellisiert worden seien.

Zur Verhältnismässigkeit der angeordneten Massnahme erwog die Vorinstanz, aus den Akten ergebe sich, dass der Beschwerdeführerin seit Jahren Erziehungshilfe angeboten und empfohlen worden sei, ohne dass sie davon Gebrauch gemacht habe und überdies die Einschulung in einer Tagessonderschule zunächst daran gescheitert sei, dass die Eltern sich nicht dafür hätten entscheiden können, und später keine Aufnahmebereitschaft von einer geeigneten Institution mehr bestanden habe. Vor allem aber genüge heute eine andere Massnahme als die angeordnete Platzierung in einem Schulheim nicht mehr, um die erzieherischen und schulischen Defizite von C.A. aufzuholen. Es fehle nicht an geeigneten Lehrpersonen in einer öffentlichen Schule, sondern C.A. brauche eine Betreuung, die nicht nur im schulischen Bereich personelle Anforderungen stelle, welche im öffentlichen Schulrahmen nicht zur Verfügung stünden, sondern darüber hinaus auch den pädagogischen Bereich umfassen würden, welcher von der Beschwerdeführerin nicht geboten werden könne. Die anderslautende schriftliche Stellungnahme der Psychiaterin Dr. med. G. beruhe auf keiner vertieften Auseinandersetzung mit den umfangreichen schulpsychologischen Abklärungen und Bemühungen, sondern offensichtlich nur auf einer oberflächlichen Beurteilung und einem kurzen Kontakt, und sei von einer generell skeptischen Haltung gegenüber der Kindesschutzbehörde geprägt, die nicht ausschlaggebend sein könne für die Beurteilung der konkreten Problemstellung von C.A.. Auch eine Unsicherheit mit Bezug auf die Diagnose der Entwicklungsstörung von C.A. brauche für die Beurteilung des erforderlichen Massnahmebedarfs keine vertiefte Abklärung, weshalb der Beweisantrag auf eine kinderpsychiatrische Abklärung abzuweisen sei. Die Beziehungsebene zur Mutter sei mit den regelmässigen Kontakten zwischen ihr und C.A. hinreichend gewährleistet.

Das Bundesgericht zog Folgendes in Erwägung:

5.2. Der Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts der Eltern für ihre Kinder stellt eine Einschränkung des Grundrechts auf Ehe und Familie nach Art. 14 BV dar, beruht indessen auf der gesetzlichen Grundlage von Art. 310 Abs. 1 ZGB (Art. 36 Abs. 1 BV). Auch die Rüge der Verletzung des verfassungsmässigen Grundsatzes der Verhältnismässigkeit nach Art. 36 Abs. 3 BV hat keine selbständige Bedeutung, da sämtliche Kindesschutzmassnahmen dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit verpflichtet sind. Die erhobenen Rüge ist deshalb unter dem Aspekt einer Verletzung von Art. 310 Abs. 1 ZGB zu prüfen.

5.3. Kann der Gefährdung des Kindes nicht anders begegnet werden, so hat die Kindesschutzbehörde es den Eltern oder, wenn es sich bei Dritten befindet, diesen wegzunehmen und in angemessener Weise unterzubringen (Art. 310 Abs. 1 ZGB). Diese Kindesschutzmassnahme hat zur Folge, dass das Recht, den Aufenthaltsort des Kindes zu bestimmen, den Eltern bzw. einem Elternteil entzogen und der Kindesschutzbehörde übertragen wird, die nunmehr für die Betreuung des Kindes verantwortlich ist (Urteil 5A_335/2012 vom 21. Juni 2012 E. 3.1). Die Gefährdung des Kindes, die Anlass zum Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts gibt, muss darin liegen, dass das Kind im Umfeld der Eltern bzw. des Elternteils nicht so geschützt und gefördert wird, wie es für seine körperliche, geistige und sittliche Entfaltung nötig wäre (Urteile 5A_875/2013 vom 10. April 2014 E. 3.1; 5A_729/2013 vom 11. Dezember 2013 E. 4.1; 5A_238/2010 vom 11. Juni 2010 E. 4, in: FamPra.ch 2010 S. 715). Unerheblich ist, auf welche Ursachen die Gefährdung zurückzuführen ist: Sie können in den Anlagen oder einem Fehlverhalten des Kindes, der Eltern oder der weiteren Umgebung liegen. Desgleichen spielt keine Rolle, ob die Eltern ein Verschulden an der Gefährdung trifft. Massgebend sind die Verhältnisse im Zeitpunkt der Entziehung. An die Würdigung der Umstände ist ein strenger Massstab zu legen. Die Entziehung ist nur zulässig, wenn andere Massnahmen ohne Erfolg geblieben sind oder von vorneherein als ungenügend erscheinen (Urteile 5A_401/2015 vom 7. September 2015 E. 5.2; 5A_212/2013 vom 5. September 2013 E. 3.1; 5A_238/2010 vom 11. Juni 2010 E. 4, in: FamPra.ch 2010 S. 715). Der Entzug des Rechts, den Aufenthaltsort des Kindes zu bestimmen ist somit nur zulässig, wenn der Gefährdung des Kindes nicht durch andere Massnahmen gemäss Art. 307 und Art. 308 ZGB begegnet werden kann (Grundsätze der Verhältnismässigkeit und Subsidiarität; Urteile 5A_404/2016 vom 10. November 2016 E. 3; 5A_724/2015 vom 2. Juni 2016 E. 6.3; 5A_70/2016 vom 25. April 2016 E. 3.1; 5A_548/2015 vom 15. Oktober 2015 E. 4.3).

5.4. Die Verletzung von Art. 310 Abs. 1 ZGB sieht die Beschwerdeführerin hauptsächlich darin begründet, dass C.A. stationär im Schulheim F. und nicht in einer Tagessonderschule platziert worden sei, bei welcher er zu Hause leben würde. Die Beschwerdeführerin weicht indessen mit ihren Ausführungen in appellatorischer Kritik von den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz ab, ohne sich mit deren Erwägungen auseinanderzusetzen. Insbesondere mit den Argumenten, es treffe nicht zu, dass sich die Kindseltern, darunter sie, gegen eine Platzierung in einer Tagessonderschule gewehrt hätten resp. für die Platzierung in einer Tagessonderschule hätte sie (die Beschwerdeführerin) denn auch Hand geboten sowie es bestünden verfügbare Tagessonderschulen, behauptet sie wiederum lediglich das Gegenteil der Feststellung der Vorinstanz. Gemäss den vorinstanzlichen Ausführungen sei die Einschulung in einer Tagessonderschule zunächst aufgrund des fehlenden Entscheidungswillens der Eltern und später mangels Aufnahmebereitschaft von einer geeigneten Institution gescheitert. Mit ihren Vorbringungen zeigt die Beschwerdeführerin nicht auf, dass dieser Sachverhalt von der Vorinstanz willkürlich oder in Verletzung von Art. 95 BGG festgestellt worden wäre. Mit der Erwägung der Vorinstanz, heute genüge indessen eine andere Massnahme als die angeordnete Platzierung in einem Schulheim nicht mehr, um die erzieherischen und schulischen Defizite von C.A. aufzuholen, setzt sich die Beschwerdeführerin demgegenüber überhaupt nicht auseinander. Sie legt nicht dar, woraus sich ergibt, dass sie und der Vater sich kooperationsbereit gezeigt hätten und inwiefern der erzieherische und schulische Förderungsbedarf von C.A. auch bei einer Zusammenarbeit von ihr mit einer Tagessonderschule gewährleistet wäre. Aus den Akten gehen sowohl die einer engmaschigen pädagogischen Begleitung bedürfenden Verhaltensauffälligkeiten wie auch die durch die über ein Jahr andauernde fehlende Beschulung bedingten schulischen Defizite von C.A. hinreichend hervor. Ebenso deutlich ist die fehlende Kooperation der Beschwerdeführerin bzw. der Eltern bei der Implementierung milderer Massnahmen dokumentiert. Aufgrund der fehlenden Kooperation der Beschwerdeführerin aber auch der mangelnden Einsicht in ihr Erziehungsversagen erweist sich eine Tagessonderschule bei den festgestellten Defiziten in der sozialen und schulischen Entwicklung von C.A. als nicht (mehr) geeignet, diesen erfolgversprechend entgegenzuwirken. Weniger einschneidende Massnahmen sind von den Vorinstanzen geprüft und initiiert worden, diese sind indessen an der fehlenden Kooperation der Kindseltern gescheitert und müssen zwischenzeitlich angesichts der Aggravierung der bei C.A. festgestellten Defizite als nicht mehr geeignet verworfen werden. Die angeordnete Platzierung von C.A. im Schulheim F. erweist sich deshalb als erforderlich, geeignet und verhältnismässig, ihm die notwendige Förderung in seiner sozialen und schulischen Entwicklung zukommen zu lassen.