COVID-19-Strafrecht

Mit dem Bundesgesetz über die gesetzlichen Grundlagen für Verordnungen des Bundesrates zur Bewältigung der Covid-19-Epidemie (Covid-19-Gesetz) vom 25. September 2020, in Kraft seit dem 26. September 2020, wurde eine formell-gesetzliche Strafbestimmung geschaffen:

Art. 18 Strafbestimmungen
1 Mit Busse wird bestraft, wer vorsätzlich den Massnahmen zuwiderhandelt, die der Bundesrat gestützt auf Artikel 3 oder 4 anordnet und deren Zuwiderhandlung er gestützt auf die vorliegende Bestimmung für strafbar erklärt.
2 Der Bundesrat kann festlegen, dass bestimmte Widerhandlungen nach Absatz 1 durch Ordnungsbusse von höchstens 300 Franken zu ahnden sind, und er bestimmt dafür die Höhe des Bussenbetrags.

Im Weiteren finden sich aktuell detaillierte Übertretungstatbestände in der Verordnung über Massnahmen in der besonderen Lage zur Bekämpfung der Covid-19-Epidemie (Covid-19-Verordnung besondere Lage) vom 19. Juni 2021, in der Fassung vom 24. Februar 2021:

6. Abschnitt: Strafbestimmungen
Art. 13
Mit Busse wird bestraft, wer:
a. als Betreiber oder Organisator vorsätzlich oder fahrlässig seine Verpflichtungen nach Artikel 4 Absätze 1 und 2 sowie nach den Artikeln 5a, 5d Absatz 1 und 6d–6g nicht einhält;
b. als Betreiber oder Organisator vorsätzlich oder fahrlässig die nach Artikel 5 erhobenen Kontaktdaten entgegen Artikel 5 Absatz 3 zu anderen Zwecken bearbeitet oder länger als 14 Tage nach der Teilnahme an der Veranstaltung oder dem Besuch der Einrichtung oder des Betriebs aufbewahrt;
c. vorsätzlich ein Skigebiet ohne die nach Artikel 5c Absatz 2 erforderliche Bewilligung oder abweichend vom bewilligten Schutzkonzept betreibt;
d. vorsätzlich eine nach Artikel 6 Absätze 1 und 2 verbotene Veranstaltung durchführt oder an einer solchen Veranstaltung teilnimmt;
e. vorsätzlich Messen durchführt, deren Durchführung nach Artikel 6 Absatz 3 verboten ist;
f. entgegen Artikel 3a oder 3b Absatz 1 in Fahrzeugen des öffentlichen Verkehrs, in öffentlich zugänglichen Innenräumen und Aussenbereichen von Einrichtungen und Betrieben, einschliesslich Märkten, in Wartebereichen von Bahn, Bus, Tram und Seilbahnen oder in Bahnhöfen, Flughäfen oder anderen Zugangsbereichen des öffentlichen Verkehrs vorsätzlich oder fahrlässig keine Gesichtsmaske trägt, sofern nicht eine Ausnahme nach Artikel 3a Absatz 1 oder Artikel 3b Absatz 2 gegeben ist;
g. vorsätzlich gegen das Verbot von Menschenansammlungen im öffentlichen Raum nach Artikel 3c Absatz 1 oder nach einer strengeren Bestimmung des kantonalen Rechts verstösst;
h. als Gast eines Restaurations- oder Barbetriebs für Hotelgäste vorsätzlich gegen die Sitzpflicht nach Artikel 5a Absatz 2 Buchstabe d Ziffer 2 verstösst;
i. an einer politischen oder zivilgesellschaftlichen Kundgebung oder einer Unterschriftensammlung vorsätzlich oder fahrlässig keine Gesichtsmaske trägt, sofern nicht eine Ausnahme nach Artikel 6c Absatz 2 zweiter Satz gegeben ist.

Ausserdem finden sich im Bundesgesetz über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten des Menschen (Epidemiengesetz, EpG) vom 28. September 2012 Übertretungstatbestände, die auch in Bezug auf die COVID-19-Pandemie relevant sind:

Art. 83 Übertretungen
1 Mit Busse wird bestraft, wer vorsätzlich:
a. die Meldepflicht verletzt (Art. 12);
b. ohne Bewilligung eine mikrobiologische Untersuchung zur Erkennung übertragbarer Krankheiten durchführt (Art. 16);
c. die Vorschriften über die Verhütung der Übertragung von Krankheiten verletzt (Art. 19);
d. ohne Bewilligung eine internationale Impf- oder Prophylaxebescheinigung ausstellt (Art. 23);
e. die Sorgfaltspflicht im Umgang mit Krankheitserregern oder ihren toxischen Produkten verletzt (Art. 25);
f. die weiteren Vorschriften über den Umgang mit Krankheitserregern verletzt (Art. 29);
g. sich einer angeordneten medizinischen Überwachung entzieht (Art. 34);
h. sich einer angeordneten Quarantäne oder Absonderung entzieht (Art. 35);
i. sich einer angeordneten ärztlichen Untersuchung entzieht (Art. 36);
j. sich Massnahmen gegenüber der Bevölkerung widersetzt (Art. 40);
k. die Vorschriften über die Ein- oder Ausreise verletzt (Art. 41);
l. Mitwirkungspflichten verletzt (Art. 43, 47 Abs. 2 und 48 Abs. 2);
m. die Vorschriften über den Transport sowie die Ein-, Aus- und Durchfuhr von Waren verletzt (Art. 45);
n. eine von ihr oder ihm angebotene Leistung, die für die Allgemeinheit bestimmt ist, einer Person verweigert, weil diese am PT-System nicht teilnimmt (Art. 60a Abs. 3).
2 Wer fahrlässig handelt, wird für Übertretungen nach Absatz 1 mit Busse bis zu 5000 Franken bestraft.

Die Übertretungstatbestände des Epidemiengesetzes sind relativ allgemein gehalten. Diese erschliessen sich nur in Verbindung mit den relevanten Gesetzes- und Verordungsbestimmungen. Die Situation ist somit ähnlich wie im Strassenverkehrsstrafrecht. Für mich sieht es so aus, dass die meisten Fälle eigentlich über Art. 83 EpG abgehandelt werden könnten. Die spezifischen COVID-19-Strafbestimmungen erscheinen da eher etwas redundant. Diese gehen jetzt jedenfalls als lex specialis den Bestimmungen des Epidemiengesetzes vor. Immerhin haben diese den Vorteil, dass für Laien einfacher ersichtlich ist, was strafbar ist.

Die Rechtmässigkeit von Bussen, die vor dem Inkrafttreten des Covid-19-Gesetz einzig gestützt auf Covid-19-Verordnungen verfügt worden sind und sich nicht auf Art. 83 EpG stützen können, ist fraglich. Für Strafbestimmungen ist nämlich ein Gesetz im formellen Sinn erforderlich. So sah es auch ein Einzelrichter am Bezirksgericht Dietikon.

Der Bundesrat führte diesbezüglich am 1. Juli 2020 zu der Interpellation „Fehlt es den Strafbestimmungen der Covid-19-Verordnung 2 an einer genügenden gesetzlichen Grundlage?“ von Nationalrat Jean-Luc Addor – diese Verordnung ist übrigens heute nicht mehr in Kraft – insbesondere Folgendes aus:

Artikel 10f der Verordnung 2 vom 13. März 2020 über Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus (COVID-19-Verordnung 2, SR 818.101.24) wurde vom Bundesrat mit Änderung vom 16. März 2020 (AS 2020 783) erlassen, trat am 17. März in Kraft und wurde per 7. Juni wieder aufgehoben. Diese Bestimmung sah die Möglichkeit von Geldstrafen oder Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren vor. Absatz 1 (Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe) kam nur in schweren Fällen zum Tragen. Die Absätze 2 und 3 (Busse) bezogen sich auf leichtere Fälle. Fälle nach Absatz 3 konnten im Ordnungsbussenverfahren erledigt werden.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts stellen Freiheitsstrafen schwere Grundrechtseingriffe dar, die nach Artikel 36 Absatz 1 Satz 2 Bundesverfassung (BV; SR 101) grundsätzlich einer Basis in einem formellen Gesetz bedürfen (BGE 124 IV 23, 25). Dies wird auch explizit in Art. 31 Abs. 1 BV festgehalten. Ausnahmsweise kann der Bund bei Freiheitsstrafen auf eine formell-gesetzliche Grundlage verzichten, wenn sie sich auf Artikel 185 Absatz 3 BV stützen. Nach dieser Bestimmung kann der Bundesrat sogenannte Polizeinotverordnungen erlassen, „um eingetretenen oder unmittelbar drohenden schweren Störungen der öffentlichen Ordnung oder der inneren oder äusseren Sicherheit zu begegnen“. Das Bundesgericht hat in Anwendung der Vorgängernorm von Artikel 185 Absatz 3 BV in der alten Bundesverfassung sowie ausgehend vom damals geltenden allgemeinen Teil des Strafrechts, welcher für Gefängnisstrafen grundsätzlich eine Höchstdauer von drei Jahren vorsah, entschieden, der Bundesrat könne „in solchen Verordnungen, die (vorübergehend) an die Stelle von formellen Gesetzen treten, diejenigen Strafen androhen, welche dem Unwert angemessen sind, der in der Missachtung der von ihm erlassenen Anordnungen und Verbote liegt, nötigenfalls also auch Gefängnisstrafen“ (BGE 123 IV 29, 38 zur „Verordnung über den Erwerb und das Tragen von Schusswaffen durch jugoslawische Staatsangehörige“). Artikel 185 Absatz 3 BV kann als Ausprägung der sogenannten Polizeilichen Generalklausel verstanden werden, die gemäss Artikel 36 Absatz 1 Satz 3 BV auch ohne formelle gesetzliche Grundlage schwere Grundrechtsbeschränkungen erlaubt, wenn sie zur Gefahrenabwehr notwendig sind und verhältnismässig ausfallen.

Die COVID-19-Verordnung 2 stützte sich auf Artikel 7 des Epidemiengesetzes (EpG) vom 28. September 2012 (SR 818.101). Dieser Artikel gibt dem Bundesrat die Kompetenz, für das ganze Land oder einzelne Landesteile die „notwendigen Massnahmen“ anzuordnen, wenn es eine „ausserordentliche Lage erfordert“. Nach der Botschaft des Bundesrates zum EpG ist diese Bestimmung „deklaratorischer Natur“. Sie wiederholt auf Gesetzesstufe die verfassungsmässige Kompetenz des Bundesrates gemäss Artikel 185 Absatz 3 BV, in ausserordentlichen Situationen ohne Grundlage in einem Bundesgesetz Polizeinotverordnungsrecht zu erlassen (BBl 2011 311, 365). Wenn sich der Bundesrat beim Erlass einer Verordnung auf Artikel 7 EpG stützt, kommen ihm – sofern es um die Bekämpfung von Epidemien geht – die gleichen Kompetenzen zu wie nach Artikel 185 Absatz 3 BV. Dies gilt auch für den Erlass von Strafbestimmungen.

Die Strafnormen der COVID-19-Verordnung 2 respektierten auch den völkerrechtlichen Grundsatz „Keine Strafe ohne Gesetz“ (Art. 7 der Europäischen Menschenrechtskonvention EMRK, SR 0.101; Art. 15 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte UNO-Pakt-II, SR 0.103.2). Nach der einschlägigen Rechtsprechung verlangen weder Artikel 7 EMRK noch Artikel 15 UNO-Pakt-II ein Gesetz im formellen Sinn. Massgebend ist vielmehr, dass die Betroffenen die strafrechtlichen Folgen ihres Verhaltens mit hinreichender Genauigkeit vorhersehen können.

Gegen Strafen, die gestützt auf Artikel 10f der COVID-19 Verordnung 2 verhängt wurden, kann der ordentliche Rechtsweg beschritten werden.

Aus Kostengründen lohnt es sich regelmässig nicht, eine Busse bei Gericht anzufechten. Das Kostenrisiko ist ganz einfach zu gross. In Bezug auf Corona-Bussen dürften die Erfolgsaussichten besser sein, denn das grundsätzliche Problem bei diesen Strafbestimmungen ist, dass die Covid-Regeln häufig nicht wirklich klar sind. Somit ist nicht immer einfach erkennbar, war erlaubt und was verboten ist. So sah es auch ein Einzelrichter am Bezirksgericht Dietikon. In diesem Fall ging es darum, ob eine Aldi-Filialleiterin verbotenerweise Produkte verkauft hat, die nicht für den täglichen Gebrauch bestimmt sind. Was aber genau Produkte des täglichen Gebrauchs sind, war völlig unklar. Auch darum wurde die Filialleiterin freigesprochen.

Der Bundesrat setzte die revidierte Ordnungsbussenverordung (OBV) vom 16. Januar 2019, Bussenliste 2, schrittweise ab dem 1. Januar 2021 in Kraft. Das Ordungsbussenverfahren ist ein vereinfachtes Strafverfahren und hat den grossen Vorteil, dass neben der Busse keine zusätzlichen Kosten anfallen:

XVI. Covid-19-Verordnung besondere Lage vom 19. Juni 2020
16001. Durchführung einer unzulässigen privaten Veranstaltung (Art. 13 Bst. d i.V.m. Art. 6 Abs. 2 Covid-19-Verordnung besondere Lage)200
16002. Teilnahme an einer unzulässigen Veranstaltung (Art. 13 Bst. d i.V.m. Art. 6 Abs. 1 und 2 Covid-19-Verordnung besondere Lage)100
16003. Unbefugtes Nichttragen einer Gesichtsmaske in Fahrzeugen des öffentlichen Verkehrs, in öffentlich zugänglichen Innenräumen und Aussenbereichen von Einrichtungen und Betri­ben, einschliesslich Märkten, in Wartebereichen von Bahn, Bus, Tram und Seilbahnen oder in Bahnhöfen, Flughäfen oder anderen Zugangsbereichen des öffentlichen Verkehrs (Art. 13 Bst. f i.V.m. Art. 3a Abs. 1 und 3b Abs. 1 und 2 Covid-19-Verordnung besondere Lage)100
16004. Sich-Aufhalten in einer Menschenansammlung im öffentlichen Raum, die mehr als 15 Personen oder mehr als die kantonal festgelegte Höchstzahl an Personen umfasst (Art. 13 Bst. g i.V.m. Art. 3c Abs. 1 sowie Art. 8 Abs. 1 Covid-19-Verordnung besondere Lage)50
16005. ...
16006. Unbefugtes Nichttragen einer Gesichtsmaske an einer politischen oder zivilgesellschaftlichen Kundgebung oder einer Unterschriftensammlung (Art. 13 Bst. i i.V.m. Art. 6c Abs. 2 Covid-19-Verordnung besondere Lage)100
XVII. Epidemiengesetz vom 28. September 2012 (EpG) i.V.m. Covid-19-Verordnung Massnahmen im Bereich des internationalen Personenverkehrs vom 27. Januar 2021
17001. Fehlender Nachweis einer molekularbiologischen Analyse auf Sars-Cov-2 mit negativem Ergebnis bei der Einreise in die Schweiz (Art. 83 Abs. 1 Bst. k EpG i.V.m. Art. 7 Abs. 1 Covid-19-Verordnung Massnahmen im Bereich des internationalen Personenverkehrs)200
17002. Fehlende oder falsche Angaben der Kontaktdaten bei der Einreise in die Schweiz (Art. 83 Abs. 1 Bst. k EpG und Art. 3 Abs. 1 und 2 Covid-19-Verordnung Massnahmen im Bereich des internationalen Personenverkehrs)100

Nachtrag 19.10.2023

Im Urteil des Obergerichts vom 2. August 2023 (SU230008-O) finden sich in Bezug auf die rechtliche Grundlage folgende Erwägungen:

3.1. Die Beschuldigte brachte in ihrer Anschlussberufung weiter vor, das Stadtrichteramt stütze seinen Strafbefehl und seine Berufung auf eine der häufig wechselnden Covid-Verordnungen, welche keine genügende gesetzliche Grundlage hätten (Urk. 53 S. 2 f.). Ebenfalls seien die Voraussetzungen von Art. 1 bis 3 des Epidemiengesetzes gar nicht gegeben, womit dieses nicht anwendbar sei (Urk. 53 S. 3 ff.).

3.2. Im Bundesgesetz über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten des Menschen (EpG; SR 818.101), welches als formelles Gesetz vom eidgenössischen Gesetzgeber erlassen wurde, wird in Art. 83 Abs. 1 lit. j EpG bestimmt, dass mit Busse bestraft wird, wer sich vorsätzlich Massnahmen gegenüber der Bevölkerung widersetzt. Konkretisiert wird diese Bestimmung sodann unter anderem durch die Covid-19-Verordnung besondere Lage, welche vom Bundesrat am 19. Juni 2020 als Massnahme gegenüber einzelnen Personen und der Bevölkerung zur Bekämpfung der Covid-19-Epidemie gestützt auf Art. 6 Abs. 2 lit. a und b EpG erlassen wurde und am 20. Juni 2020 in Kraft trat. Art. 3b Abs. 1 Covid-19-Verordnung besondere Lage besagte in der am 1. April 2021 geltenden Fassung, dass jede Person in öffentlich zugänglichen Innenräumen und Aussenbereichen von Einrichtungen und Betrieben, einschliesslich Märkten, sowie in Wartebereichen von Bahn, Bus, Tram und Seilbahnen und in Bahnhöfen, Flughäfen und anderen Zugangsbereichen des öffentlichen Verkehrs eine Gesichtsmaske tragen müsse. Ausgenommen von der Maskentragpflicht seien Personen, die nachweisen könnten, dass sie aus besonderen Gründen – insbesondere medizinischen – keine Gesichtsmasken tragen könnten.

3.3. Die Voraussetzungen von Art. 1 StGB (keine Sanktion ohne Gesetz) werden vorliegend durch die formell-gesetzliche Grundlage von Art. 83 Abs. 1 lit. j EpG sowie dessen Konkretisierung in Art. 3b Abs. 1 Covid-19-Verordnung besondere Lage ohne Weiteres erfüllt. Das Argument der Beschuldigten erweist sich demnach als nicht stichhaltig.