Brian Henry Keller wurde 2013 durch eine SRF-Reportage schweizweit als Carlos bekannt. Im Moment befindet er sich, nach einer erneuten Anklageerhebung beim Bezirksgericht Dielsdorf, im Gefängnis Zürich in Sicherheitshaft.
In den letzten 10 Jahren verursachte Brian unzählige Verfahren. Dass er sich wehrt und regelmässig Rechtsmittel ergreift, ist sein gutes Recht. Im Übrigen ist es nicht so, dass Brian sich mit dem Erheben von Rechtsmitteln querulatorisch verhält, denn seine Vorbringen sind zumindest teilweise berechtigt. Folglich konnte er immer wieder kleinere oder grössere Erfolge erzielen.
Insgesamt ist Brian somit ein willkommener Mandant für Rechtsanwälte, die mit Verteidigungen ihr Geld verdienen. Und Brian verfügt sogar über drei Verteidiger. Das dürfte auch dem Umstand geschuldet sein, dass der Fall verpolitisiert ist, und die Verteidiger teilweise eine politische Ausrichtung haben und Brian als Opfer der Justiz darzustellen versuchen, was er nicht ist. Vor diesem Hintergrund fragt sich allerdings, ob der Aufwand, den seine Verteidiger betreiben, gerechtfertigt ist und wirklich im Interesse des Mandanten liegt.
Im Urteil vom 24. Juli 2023 (7B_188/2023) betreffend Sicherheitshaft hielt das Bundesgericht Folgendes fest:
3. Der Beschwerdeführer bzw. seine Rechtsvertreter wurden bereits mit Urteil 1B_574/2021 vom 3. Dezember 2021 E. 4 (dem eine 86-seitige Beschwerde zugrunde lag) auf Art. 42 Abs. 6 BGG aufmerksam gemacht. Demnach können insbesondere übermässig weitschweifige Rechtsschriften unter Ansetzung einer angemessenen Frist zur Änderung zurückgewiesen werden. Im vorliegenden Verfahren umfasst die Beschwerdeschrift 74 Seiten und ist wiederum geprägt von diversen Wiederholungen. Mit Blick auf das Beschleunigungsgebot in Haftsachen wird vorliegend nochmals auf eine Rückweisung verzichtet. Den Rechtsvertretern des Beschwerdeführers wird jedoch explizit in Aussicht gestellt, dass eine allfällige weitere derart ausschweifende Haftbeschwerde unbesehen zeitlicher Dringlichkeit zur Änderung zurückgewiesen wird.
Im zitierten Urteil vom 3. Dezember 2021 (1B_574/2021) betreffend Sicherheitshaft wies das Bundesgericht die Verteidiger bereits auf die Weitschweifigkeit hin:
4. Nach Art. 42 Abs. 6 BGG können unter anderem weitschweifige Rechtsschriften unter Ansetzung einer angemessenen Frist zur Änderung zurückgewiesen werden. Dies erscheint, unter Festlegung einer besonders kurzen Frist, auch bei Haftbeschwerden nicht ausgeschlossen. Die vom Beschwerdeführer eingereichte Beschwerdeschrift umfasst 86 Seiten. Dies ist für eine Haftbeschwerde ausserordentlich umfangreich, was sich teilweise durch die besondere Ausgangslage rechtfertigen mag. Im Übrigen ergeht sich die Beschwerdebegründung jedoch in einer weitschweifigen Darstellung des Standpunktes des Beschwerdeführers mit etlichen Wiederholungen der im Wesentlichen gleichen Argumente. Überdies vermengt die Beschwerdeschrift für die Haftsache wesentliche Argumente mit solchen, die in der Hauptsache massgeblich sind. Im vorliegenden Fall kann jedoch von einer Rückweisung zur Änderung der Beschwerdeschrift noch abgesehen werden, da die Weitschweifigkeit der Begründung zum ersten Mal thematisiert wird. Für allfällige künftige Rechtsschriften an das Bundesgericht werden die Rechtsvertreter des Beschwerdeführers jedoch darauf hingewiesen, dass das Bundesgericht die Sachlage inzwischen ausreichend kennt und dass es eine vergleichbare Eingabe in einem Haftverfahren nicht mehr ohne weiteres akzeptieren wird.
Wenn Beschwerden betreffend Sicherheitshaft einen Umfang von 74 bzw. 86 Seiten aufweisen, muss ich diese gar nicht erst lesen, um zu wissen, dass diese viel zu lang sind. Es geht definitiv sehr viel kürzer, selbst wenn vorliegend etwas spezielle Verhältnisse vorliegen, was einen etwas grösseren Aufwand rechtfertigt.
Lesenswert ist das Buch „Redaktion des Strafurteils und weiterer Entscheide in Strafsachen“ der Bezirksrichterin Regula Hürlimann und des Bezirksrichters Thomas Vesely. Darin wird die Redaktion von Entscheiden aus der Sicht des Gerichts beschrieben. Für Verteidiger gilt für das Verfassen von Rechtsschriften sinngemäss im Wesentlichen das Gleiche. Das Buch ist darum auch für Anwälte sehr empfehlenswert.
Unter Randziffer 65 ist Folgendes zu lesen:
Was macht neben dem Inhalt und der Sprache eine gute Entscheidbegründung aus? Es ist ihr Umfang: Sie ist so ausführlich wie nötig und so kurz wie möglich. Es ist kein Zufall, dass einige der Strafverteidigerinnen, welche gemeinhin als die Besten ihres Faches angesehen werden, ihre Eingaben und Plädoyers kurz und knapp halten. Wer bereits einmal das Vergnügen hatte, sich mit so einer Eingabe oder so einem Plädoyer zu beschäftigen zu können, wird festgestellt haben, dass die darin enthaltenen Vorbringen einerseits präzise auf den Punkt gebracht sind und andererseits alles Notwendige gesagt wird. Unnötige oder irrelevante, d.h. überflüssige Ausführungen finden sich in diesen Schriftstücken nicht. In der Regel werden die besagten Verteidigerinnen in ihren kurz gehaltenen Plädoyers alles Entscheidende vorbringen, während gewisse Berufskolleginnen, welche sich auf mindestens doppelten Umfang äussern, viele wesentlichen Punkte nicht ansprechen. Dies zeigt in mehrfacher Hinsicht schön auf, dass eine Beschränkung auf das Wesentliche und Notwendige im Grunde die hohe Kunst des Begründens oder (ganz allgemein formuliert) des juristischen Arbeitens ist (…)
An diesen Ausführungen hätten sich auch Brians Verteidiger orientieren sollen, insbesondere nachdem sie vom Bundesgericht abgemahnt worden sind.
Es ist offensichtlich, dass Brians Verteidiger immer wieder gleich gelagerte Beschwerden machen und demzufolge frühere Beschwerden rezyklieren. Das ist durchaus nachvollziehbar, denn man kann ja das Rad nicht mit jeder Beschwerde neu erfinden. Allerdings ist das nicht unbedingt das beste Vorgehen, da dadurch zu viel unnötiger Ballast mitschleppt wird. Das Aufwärmen von alten Beschwerden ist somit problematisch.
Richtigerweise muss man Beschwerden immer wieder neu und auf den konkreten Fall hin begründen. Es ergibt wenig Sinn, wenn wieder Punkte thematisiert werden, die bereits in früheren Verfahren abgehandelt worden sind. Vielmehr ist herauszuarbeiten, was in der jetzigen Beschwerde neu ist bzw. warum eine Fragestellung heute anderes beurteilt werden muss.
Vorliegend war die Anordnung der Sicherheitshaft offensichtlich sehr diskutabel. Es handelt sich um keinen klaren Fall, weshalb man locker auch anders hätte entscheiden können. Auch das Bundesgericht betrachtete das Vorgehen der Staatsanwaltschaft als fragwürdig, fand es aber schliesslich nicht nötig, einzugreifen. Ich persönlich ging davon aus, dass das Zwangsmassnahmengericht Brian nun eher nicht in Sicherheitshaft versetzen wird und er bis zur Hauptverhandlung auf freien Fuss sein kann, zumal die vorgeworfenen Delikte im Gefängnis erfolgten und als eine Art Widerstand gegen die Haft betrachtet werden können, weshalb der Haftgrund „Wiederholungsgefahr“ doch eher gesucht ist.
Die Haftentlassung hätte die Verteidigung vielleicht erreichen können, wenn sie fokussierter und weniger weitschweifig argumentiert hätte. Man hätte sich auf die wirklich kritischen Punkte beschränken und diese konzis darstellen sollen. Auch hier gilt, dass in der Kürze die Würze liegt. Allerdings ist die Verteidigung von Brian auch nicht gerade einfach, da der Fall verpolitisiert ist, wozu die Verteidigung allerdings auch selbst teilweise beigetragen hat. Zudem sind Brians Beiträge in den sozialen Medien für die Verteidigung wenig hilfreich. Als Verteidiger würde ich ihm im Besprechungszimmer sagen: Shut the fuck up! Die beste Verteidigung nützt schliesslich nichts, wenn sie der eigene Mandant torpediert.