De lege lata:
Nach aktuellem, bis Ende 2023 geltendem Recht entscheidet die Staatsanwaltschaft, wenn sie einen Strafbefehl erlässt, nicht über strittige Zivilansprüche (Schadenersatz, Genugtuung) der Privatklägerschaft:
Art. 353 StPO
Inhalt und Eröffnung des Strafbefehls
(…)
2 Soweit die beschuldigte Person Zivilforderungen der Privatklägerschaft anerkannt hat, wird dies im Strafbefehl vorgemerkt. Nicht anerkannte Forderungen werden auf den Zivilweg verwiesen.
(…)
Nehmen wir ein Beispiel: Frau A. wurde Opfer häuslicher Gewalt ihres Ehemannes. Sie zeigte ihn anschliessend bei der Polizei an. In der Folge wurde sie von der Staatsanwaltschaft aufgefordert, ein Formular betreffend Geltendmachung von Rechten als Privatklägerschaft auszufüllen. Frau A. füllte dieses Formular aus und forderte eine Genugtuung von CHF 500.−. Der Ehemann wurde schliesslich durch die Staatsanwaltschaft mittels Strafbefehl verurteilt. Die Zivilansprüche der Ehefrau wurden auf den Zivilweg verwiesen. In der Praxis lohnt sich in solchen Fällen der Aufwand für ein Zivilverfahren kaum, weshalb die Ehefrau leer ausgeht, obwohl ihr Anspruch auf eine Genugtuung ausgewiesen wäre.
Anders wäre es gewesen, wenn die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben hätte. Dann hätte das Gericht über die Zivilansprüche entschieden und dem Opfer eine Genugtuung zugesprochen.
Diese Rechtslage ist meinen Augen ein riesiges Ärgernis. Mit den Beschuldigten wird kurzer Prozess gemacht und die Geschädigten werden einfach auf die Seite geschoben und im Regen stehen gelassen. Zum Glück gilt das nicht mehr lange.
De lege feranda:
Mit der Revision der Strafprozessordnung vom 17. Juni 2022, die per 1. Januar 2024 in Kraft tritt, wurde Absatz 2 von Artikel 353 StPO neu gefasst:
2 Die Staatsanwaltschaft kann im Strafbefehlsverfahren über Zivilforderungen entscheiden, soweit diese von der beschuldigten Person anerkannt sind oder sofern:
a. deren Beurteilung ohne weitere Beweiserhebungen möglich ist; und
b. der Streitwert 30 000 Franken nicht übersteigt.
Der Bundesrat führte in der Botschaft vom 28. August 2019 dazu Folgendes aus:
Gemäss geltendem Recht kann im Erwachsenenstrafprozess – anders als im Jugendstrafprozess (vgl. Art. 32 Abs. 3 JStPO) – im Strafbefehl nicht über Zivilforderungen entschieden werden. Soweit die beschuldigte Person die Zivilforderung anerkennt, wird dies im Strafbefehl vermerkt. Nicht anerkannte Forderungen werden auf den Zivilweg verwiesen (Art. 352 Abs. 2 StPO). Diese Regelung wird in der Lehre als «geschädigten- und opferunfreundlich» sowie bei Gesamtbetrachtung der Rechtspflege als ineffizient kritisiert.
Der Bundesrat schlägt daher eine Angleichung an den Jugendstrafprozess vor. Es ist in der Tat nicht sinnvoll, wenn die Staatsanwaltschaft eine an sich liquide, aber von der beschuldigten Person bestrittene Forderung auf den Zivilweg verweisen muss. Dieser Vorschlag wurde in der Vernehmlassung von einer knappen Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmenden begrüsst.
Im Strafbefehlsverfahren soll jedoch nicht über Forderungen in unbegrenzter Höhe entschieden werden können. Die Grenze soll auch nicht zu tief angesetzt werden; dies wäre nicht im Interesse der Geschädigten. Der Bundesrat schlägt daher vor, die Grenze bei 30 000 Franken anzusetzen. So liegt beispielsweise der Mindeststreitwert für Beschwerden in Zivilsachen vor dem Bundesgericht grundsätzlich bei 30 000 Franken (Art. 74 Abs. 1 BGG), und auch das vereinfachte Verfahren gemäss der Zivilprozessordnung gilt für vermögensrechtliche Streitigkeiten bis zu einem Streitwert von 30 000 Franken (Art. 243 Abs. 1 ZPO).
Daher soll die Staatsanwaltschaft gemäss Absatz 2 künftig Zivilforderungen im Strafbefehl beurteilen können, sofern folgende Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind:
Zum einen muss gemäss Buchstabe a die Zivilforderung auf tatsächlich ausreichend geklärten Verhältnissen basieren, das heisst, ihre Beurteilung muss ohne besondere Umstände möglich sein. Zum anderen darf der Streitwert gemäss Buchstabe b nicht höher als 30 000 Franken sein.