Strafbefehlsverfahren auf unfair

Einleitung

Das Strafbefehlsverfahren (Art. 352 ff. StPO) ist seit jeher umstritten, da es es zu einer rechtsstaatlich höchst problematischen Personalunion kommt. Die Staatsanwaltschaft hat im Strafbefehlsverfahren sowohl die Funktion als Anklagebehörde als auch als Gericht.

Nach der Strafprozessordnung des Kantons Zürich konnten Strafbefehle bis zu einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten erlassen werden. Mit der eidgenössischen Strafprozessordnung, die seit 2011 gilt, sind Strafbefehle bis zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten bzw. einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen möglich.

Der Bundesrat schlug 2017 in einem erläuternden Bericht eine teilweise Einschränkung des Strafbefehlsverfahrens vor, was jedoch schliesslich nicht durch den Gesetzgeber umgesetzt wurde:

Diesbezüglich wird im Schlussbericht über die Evaluation des Opferhilfegesetzes festgestellt, dass Handlungsbedarf in Bezug auf die Verbesserung der Stellung des Opfers im Strafbefehlsverfahren besteht.

Der Bundesrat schlägt zur Umsetzung des Anliegens vor, den Anwendungsbereich des Strafbefehlsverfahrens einzuschränken, sofern Opfer betroffen sind; allerdings nur unter folgenden Voraussetzungen:

Im Bereich der leichte(re)n Kriminalität soll keine Einschränkung stattfinden, sondern erst bei Straftaten einer gewissen Schwere. Dahingehend lautet auch die Empfehlung im Bericht zur Evaluation des OHG. Absatz 1bis sieht deshalb vor, dass die Erledigung des Strafverfahrens mittels Strafbefehl erst dann ausgeschlossen ist, wenn eine Strafe von mehr als 120 Tagessätzen Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe von mehr als 4 Monaten in Betracht kommt. Diese Grenze entspricht jener von Artikel 132 Absatz 3 für die Beurteilung, ob ein Bagatellfall vorliegt.

Zudem macht eine Einschränkung des Strafbefehlsverfahrens nur Sinn, wenn sich das Opfer am Verfahren überhaupt beteiligt. Es wird deshalb vorausgesetzt, dass sich das Opfer als Privatklägerin konstituiert hat, damit die Erledigung des Strafverfahrens mittels Strafbefehl, bei Überschreitung der oben genannten Strafgrenze, ausgeschlossen wird. Nur dann ist es gerechtfertigt, von den geltenden Zuständigkeitsregeln abzuweichen.

Eine Einschränkung des Strafbefehlsverfahrens wäre allerdings auch aus Beschuldigtensicht angezeigt, um dem Grundsatz des fairen Verfahrens (fair trial) und der Waffengleichheit nachzuleben, zumal kein Fall von notwendiger Verteidigung vorliegt (Art. 130 StPO) und zumal eine amtliche Verteidigung aus finanziellen Gründen nur möglich ist, wenn es sich um keinen Bagatellfall handelt, also wenn eine Freiheitsstrafe von mehr als 4 Monaten bzw. eine Geldstrafe von mehr als 120 Tagessätzen zu erwarten ist (Art. 132 Abs. 3 StPO). Diese Bagatellgrenze sollte meines Erachtens auch auf das Strafbefehlsverfahren Anwendung finden, denn nur Bagatellfälle sollten durch die Staatsanwaltschaft entschieden werden dürfen.

Die unfaire Staatsanwaltschaft

Die Garantie eines fairen Verfahrens setzt voraus, dass sich die Staatsanwaltschaft korrekt verhält. Dass dies in der Schweiz nicht selbstverständlich ist, wie man meinen würde, zeigt das Urteil des Bundesgericht vom 20. September 2023 (6B_657/2022). Das Bundesgericht watschte in diesem Urteil die Staatsanwaltschaft des Kantons Zug ab und hob deren Strafbefehl auf, weil der angebliche Verzicht des Beschuldigten auf eine Einsprache gegen den Strafbefehl auf unfaire Weise zustande gekommen ist.

Das Bundesgericht ging von Folgenden Sachverhalt aus:

A. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zug verurteilte A.________ mit Strafbefehl vom 18. August 2021 wegen vorsätzlicher Verletzung der Einreisevorschriften gemäss Art. 115 Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 5 Abs. 1 lit. a AlG (Grenzübertritt ohne anerkanntes Ausweispapier) zu einer bedingten Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu Fr. 30.−, wovon zwei Tage als durch vorläufige Festnahme geleistet gelten. Sie wirft A.________ vor, er sei am 17. August 2021 von Italien herkommend mit dem Zug in die Schweiz eingereist und habe sich gleichentags als Afghane unter einem falschen Namen am Schalter der Zuger Polizei gemeldet, wobei er keine Ausweispapiere bei sich gehabt habe.

Der Strafbefehl vom 18. August 2021 wurde dem sich damals in Polizeigewahrsam befindenden A.________ gleichentags vom einvernehmenden Polizeibeamten übergeben. A.________ unterzeichnete anlässlich der Aushändigung des Strafbefehls eine Empfangsbestätigung sowie eine Erklärung, dass er auf eine Einsprache gegen den Strafbefehl verzichte. Diese Erklärung war in deutscher Sprache verfasst und enthielt zudem eine Bestätigung des Polizeibeamten, wonach er den Strafbefehl für den Beschuldigten korrekt übersetzt habe.

Zunächst erläuterte das Bundesgericht die Grundlagen von Strafbefehl und Einsprache:

1.3.1. Strafbefehle im Sinne von Art. 352 ff. StPO sind gemäss Art. 353 Abs. 3 StPO schriftlich zu eröffnen. Die Zustellung erfolgt durch eingeschriebene Postsendung oder auf andere Weise gegen Empfangsbestätigung, insbesondere durch die Polizei (Art. 85 Abs. 2 StPO). Die beschuldigte Person kann gegen einen Strafbefehl innert 10 Tagen bei der Staatsanwaltschaft schriftlich Einsprache erheben (Art. 354 Abs. 1 lit. a StPO). Ohne gültige Einsprache wird der Strafbefehl zum rechtskräftigen Urteil (Art. 354 Abs. 3 StPO).

Beim Strafbefehl handelt es sich um einen Vorschlag zur aussergerichtlichen Erledigung der Strafsache. Die Einsprache gegen den Strafbefehl ist kein Rechtsmittel (im Sinne von Art. 379 ff. StPO), sondern ein Rechtsbehelf, der das gerichtliche Verfahren auslöst, in dem über die Berechtigung der im Strafbefehl enthaltenen Deliktsvorwürfe entschieden wird (BGE 149 IV 50 E. 1.2; 147 IV 518 E. 3.1; 142 IV 11 E. 1.2.2; 140 IV 82 E. 2.6). Die Einsprache ermöglicht es der beschuldigten Person, ihren in Art. 29a und 32 BV sowie Art. 6 Ziff. 1 EMRK verankerten Anspruch auf Beurteilung durch ein Gericht geltend zu machen (vgl. BGE 147 IV 518 E. 3.1).

1.3.2. Ein Verzicht auf eine Einsprache vor Ablauf der Einsprachefrist ist grundsätzlich zulässig (vgl. Art. 386 Abs. 1 StPO; BGE 147 IV 518 E. 3.5; Urteile 6B_372/2013 vom 23. August 2013 E. 2.2; 6B_152/2013 vom 27. Mai 2013 E. 4.3). Auf den gerichtlichen Rechtsschutz kann jedoch nur die informierte beschuldigte Person wirksam verzichten. Erforderlich ist daher, dass die beschuldigte Person ausreichend über ihre Rechte informiert wurde (BGE 147 IV 518 E. 3.5; 140 IV 82 E. 2.6). Ein eigentlicher Verzicht auf die Einsprache ist zudem erst nach einer formgültigen Eröffnung des Strafbefehls möglich (vgl. Art. 386 Abs. 1 StPO; BGE 147 IV 518 E. 3.5 mit Hinweisen). Weiter muss der Verzicht in unmissverständlicher Weise und unter Bedingungen erfolgen, die keinen Zweifel daran aufkommen lassen, dass der Erklärende unbeeinflusst handelt und sich über die Tragweite seines Handelns bewusst ist, ansonsten der Verzicht unverbindlich ist. Erforderlich ist, dass der Verzicht unzweideutig vorliegt und nicht auf eine dem Fairnessprinzip widersprechende Weise zustande kam (Urteil 6B_152/2013 vom 27. Mai 2013 E. 4.4).

Art. 368 Abs. 3 StPO gilt sinngemäss auch für den Einspracheverzicht. Dieser ist − wie auch der Verzicht auf ein Rechtsmittel − endgültig, es sei denn, die Partei sei durch Täuschung, eine Straftat oder eine unrichtige behördliche Auskunft zu ihrer Erklärung veranlasst worden (vgl. Art. 368 Abs. 3 StPO). Ein freiwillig und in Kenntnis der prozessualen Tragweite zustande gekommener Einspracheverzicht kann nur bei Vorliegen der in Art. 386 Abs. 3 StPO genannten qualifizierten Willensmängel zurückgenommen werden. Ein blosser Irrtum im Sinne von Art. 23 ff. OR genügt nicht (vgl. Urteile 6B_173/2021 vom 14. Juli 2021 E. 3.3 betreffend den Rückzug der Privatklage; 6B_398/2017 vom 23. Mai 2018 E. 2.3.1 betreffend den Berufungsrückzug). Willensmängel im Sinne von Art. 386 Abs. 3 StPO sind nach der Rechtsprechung von demjenigen nachzuweisen, der sich darauf beruft (BGE 141 IV 269 E. 2.2.1; Urteile 6B_173/2021 vom 14. Juli 2021 E. 3.3; 6B_398/2017 vom 23. Mai 2018 E. 2.3.1).

Das Bundesgericht erläuterte im Weiteren die Erfordernis einer Übersetzung und deren korrekte Durchführung:

1.3.3. Versteht eine am Verfahren beteiligte Person die Verfahrenssprache nicht oder kann sie sich darin nicht genügend ausdrücken, so zieht die Verfahrensleitung eine Übersetzerin oder einen Übersetzer bei (Art. 68 Abs. 1 Satz 1 StPO). Der beschuldigten Person wird, auch wenn sie verteidigt wird, in einer ihr verständlichen Sprache mindestens der wesentliche Inhalt der wichtigsten Verfahrenshandlungen mündlich oder schriftlich zur Kenntnis gebracht (Art. 68 Abs. 2 Satz 1 StPO). Bei Strafbefehlen sind nach der Rechtsprechung zumindest das Dispositiv und die Rechtsmittelbelehrung in einer der beschuldigten Person verständlichen Sprache zu übersetzen (BGE 145 IV 197 E. 1.3.3; Urteile 6B_824/2022 vom 8. Juni 2023 E. 2.3.2; 6B_1140/2020 vom 2. Juni 2021 E. 1.1). Die blosse Beilage eines Merkblattes mit Informationen allgemeiner Natur zum Strafbefehlsverfahren und Hinweisen auf eine „Übersetzungshilfe“ genügt den Anforderungen von Art. 68 Abs. 2 StPO nicht (Urteile 6B_611/2020 vom 19. April 2021 E. 1.5; 6B_1294/2019 vom 8. Mai 2020 E. 1.3.1).

Konkret bedeutet dies, dass der einvernehmende Polizist in der Regel nicht selbst übersetzen darf:

1.3.4. Für Übersetzer gelten die Ausstandsgründe nach Art. 56 StPO (Art. 68 Abs. 5 i.V.m. Art. 183 Abs. 3 StPO). Übersetzer müssen daher über die erforderliche Unabhängigkeit verfügen und neutral sein (SCHMID/JOSITSCH, Schweizerische Strafprozessordnung, Praxiskommentar, 4. Aufl. 2023, N. 14 zu Art. 68 StPO; MOREILLON/PAREIN-REYMOND, in: Commentaire romand, Code de procédure pénale suisse, 2. Aufl. 2019, N. 10 zu Art. 68 StPO). Eine Person, die in einer anderen Stellung, insbesondere als Mitglied einer Behörde, in der gleichen Sache tätig war, kann nicht gleichzeitig als Übersetzer zum Einsatz kommen (Art. 68 Abs. 5 i.V.m. Art. 183 Abs. 3 und Art. 56 Abs. b StPO). Ein Beizug von Polizeibeamten, die nicht selbst mit dem Fall befasst sind, bspw. als Übersetzer von Abhörprotokollen, ist zwar nicht grundsätzlich untersagt, soweit die erforderliche Unabhängigkeit gewahrt ist (vgl. Urteile 6B_403/2018 vom 14. Januar 2019 E. 3.6; 6B_376/2018 vom 25. September 2018 E. 5.5; SCHMID/JOSITSCH, a.a.O., N. 14 zu Art. 68 StPO). Der einvernehmende Polizeibeamte kann jedoch − gleich wie der einvernehmende Staatsanwalt − nicht gleichzeitig als Übersetzer fungieren, da er am Verfahren bereits in anderer Funktion beteiligt ist. Davon kann nur unter den Voraussetzungen von Art. 68 Abs. 1 Satz 2 StPO abgewichen werden. Gemäss dieser Bestimmung kann die Verfahrensleitung in einfachen oder dringenden Fällen mit dem Einverständnis der betroffenen Person vom Beizug eines Übersetzers absehen, wenn die Verfahrensleitung und die protokollführende Person die fremde Sprache genügend beherrschen. Die Botschaft erwähnt als Beispiel für einen einfachen Fall die Einvernahme eines fremdsprachigen Zeugen in einem Übertretungsstrafverfahren (Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 206 1085 ff., 1151). Weiter weist die Botschaft darauf hin, dass von der Ausnahmeregelung von Art. 68 Abs. 1 Satz 2 StPO nur mit Zurückhaltung Gebrauch gemacht werden sollte (BBl 2006 1151).

Ausserdem bemängelte das Bundesgericht eine unfaire Aushändigung des Strafbefehls an den Beschuldigten:

1.4. Strafbefehle werden in der Regel durch eingeschriebene Postsendung schriftlich eröffnet (vgl. Art. 85 Abs. 2 StPO), womit grundsätzlich auch die nach der Rechtsprechung erforderliche Übersetzung des Dispositivs und der Rechtsmittelbelehrung schriftlich zu erfolgen hat. Eine blosse Belehrung darüber, dass der Empfänger des Strafbefehls eine „Übersetzungshilfe“ anfordern kann, genügt wie dargelegt nicht (oben E. 1.3.3). Vorliegend wurde der Strafbefehl vom 18. August 2021 dem sich infolge seiner vorläufigen Festnahme (vgl. Art. 217 ff. StPO) in Polizeigewahrsam befindenden Beschwerdeführer persönlich gegen Empfangsbestätigung ausgehändigt, was in Art. 85 Abs. 2 StPO als Form der Zustellung ebenfalls vorgesehen ist. Die Übersetzung des Strafbefehls erfolgte gemäss der Vorinstanz anlässlich der Aushändigung des Strafbefehls mündlich durch den polizeilichen Sachbearbeiter. Damit wurde dem Beschwerdeführer der Strafbefehl formell zwar schriftlich eröffnet. Da er der deutschen Sprache nicht mächtig war, wurde er anlässlich der Übergabe des Strafbefehls am 18. August 2021 letztlich jedoch bloss mündlich über den Inhalt des gegen ihn ergangenen Strafbefehls informiert. Weiter wurde dem Beschwerdeführer zusammen mit der zu unterzeichnenden Empfangsbestätigung auf dem gleichen, eine A4-Seite umfassenden Schriftstück in einem separaten Abschnitt eine Verzichtserklärung mit folgendem Wortlaut zur Unterschrift unterbreitet: „A.________ erklärt ausdrücklich den Verzicht, gegen den vorliegenden Strafbefehl Einsprache oder anderweitige Rechtsmittel einzulegen[,] und hat verstanden, dass der Strafbefehl damit sofort zum rechtskräftigen und vollstreckbaren Urteil wird“. Der Beschwerdeführer unterzeichnete auch diese Verzichtserklärung, welche ihm gemäss der Vorinstanz vom zuständigen Polizeibeamten mündlich auf Englisch übersetzt wurde.

Diese Kombination aus persönlicher Aushändigung des Strafbefehls mit mündlicher Übersetzung und aktivem Hinwirken der Polizei auf einen Einspracheverzicht durch den inhaftierten und nicht anwaltlich vertretenen Beschwerdeführer anlässlich der Übergabe des Strafbefehls durch Vorlage einer vorgedruckten Verzichtserklärung widerspricht dem Fairnessgebot. Dadurch wurde dem Beschwerdeführer die Möglichkeit genommen, von der zehntägigen Bedenkfrist für die Einsprache Gebrauch zu machen, die Konsequenzen des Strafbefehls nach dessen Eröffnung in Ruhe zu analysieren, allenfalls einen Anwalt beizuziehen und aus freien Zügen auf eine Einsprache zu verzichten. Ein solches Vorgehen verstösst gegen den u.a. in Art. 3 StPO sowie Art. 6 Ziff. 1 EMRK verankerten Anspruch auf ein faires Verfahren, da die Strafverfolgungsbehörde, indem sie das Thema der Verzichtserklärung aufgreift und der beschuldigten Person eine vorgedruckte Verzichtserklärung vorlegt, welche diese ohne Bedenkfrist anlässlich der persönlichen Aushändigung des Strafbefehls unterzeichnen soll, direkten Einfluss auf die beschuldigte Person im Hinblick auf einen Einspracheverzicht ausübt und zumindest subtil zum Ausdruck bringt, dass ein solcher erwünscht ist. Für eine solche behördliche Einflussnahme auf den Einspracheverzicht gibt es zudem keinen sachlichen Grund, wenn für die beschuldigte Person damit wie vorliegend keine Vorteile verbunden sind.

Vorliegend war auch unklar, ob der Beschuldigte die Übersetzung tatsächlich verstanden hatte:

1.5. Hinzu kommt, dass auch keine Gewähr dafür besteht, dass der Beschwerdeführer die von ihm unterschriebene Verzichtserklärung tatsächlich verstand. Auf die Einsprache kann nur die informierte Person verzichten, welche die prozessuale Tragweite des Verzichts kennt (oben E. 1.3.2). Die Beweislast hierfür trägt die Strafverfolgungsbehörde, wenn sie durch Vorlage einer vorgedruckten Verzichtserklärung aktiv auf einen Einspracheverzicht hinwirkt.

Dem Beschwerdeführer wurden die erforderlichen Informationen nicht etwa schriftlich (z.B. auf einem entsprechenden englischen Merkblatt), sondern bloss mündlich vermittelt. Nicht nachvollziehbar ist daher, mit welchen Worten der Polizeibeamte dem Beschwerdeführer die Verzichtserklärung übersetzte und ob er diesen tatsächlich auf eine für ihn verständliche Weise darüber informierte, dass die Unterschrift unter der Verzichtserklärung − anders als diejenige unter der Empfangsbestätigung − freiwillig ist, dass der Verzicht auf die Einsprache unwiderruflich ist und dass ihm aus einer Nichtunterzeichnung der Verzichtserklärung keine Nachteile erwachsen. Nicht erstellt ist damit, dass der Beschwerdeführer hinreichend über die Tragweite und die Freiwilligkeit des Einspracheverzichts aufgeklärt wurde. Der Übersetzungsbestätigung des Polizeibeamten vom 18. August 2021 kann zudem nur entnommen werden, dass dieser dem Beschwerdeführer den Strafbefehl übersetzte. Zur Übersetzung der Verzichtserklärung äussert sich lediglich der nachträglich erstellte Bericht vom 20. Oktober 2021. Gemäss diesem Bericht fragte der Polizeibeamte den Beschwerdeführer in englischer Sprache, ob er das Urteil akzeptiere und auf Rechtsmittel verzichten wolle, dies mit folgenden Worten: „If you agree with the judgement and don’t want to take action against it, please sign here.“ Der Beschwerdeführer weist in seiner Beschwerde zutreffend darauf hin, dass diese Übersetzung der Verzichtserklärung mangelhaft, da unvollständig ist.

Zudem fragte sich das Bundesgericht, ob der Strafbefehl überhaupt formgültig eröffnet worden war:

Fraglich ist schliesslich, ob für die Übersetzung des Strafbefehls vom 18. August 2021 der Verzicht auf einen unabhängigen Übersetzer zulässig war (vgl. dazu oben E. 1.3.4) und der Strafbefehl dem Beschwerdeführer am 18. August 2021 demnach überhaupt formgültig eröffnet wurde. Beim übersetzenden Polizeibeamten handelte es sich nicht um einen Übersetzer im Sinne von Art. 68 StPO, sondern um den polizeilichen Sachbearbeiter, der zuvor bereits die Einvernahme des Beschwerdeführers vom 17. August 2021 durchführte und folglich für die Rapportierung zuhanden der Staatsanwaltschaft zuständig war. Der Verzicht auf den Beizug eines Übersetzers ist gemäss Art. 68 Abs. 1 Satz 2 StPO auch in einfachen Fällen nur mit der Einwilligung der betroffenen Person möglich, was wiederum voraussetzt, dass diese zuvor hinreichend über ihr Recht auf Beizug eines unabhängigen Übersetzers informiert wurde (vgl. Art. 158 Abs. 1 lit. d StPO: MOREILLON/PAREIN-REYMOND, a.a.O., N. 10 zu Art. 68 StPO). Eine solche Rechtsbelehrung ist vorliegend nicht dokumentiert. Das vom Beschwerdeführer und vom zuständigen Polizeibeamten am 18. August 2021 unterzeichnete Dokument äussert sich nicht zu dieser Frage. Auch das Einvernahmeprotokoll vom 17. August 2021 hält einzig fest, dass der Beschwerdeführer die Frage des einvernehmenden Polizeibeamten, ob er ihn verstehe, wenn er Englisch mit ihm spreche, mit „Ja, es geht“ beantwortete.

Folglich ging das Bundesgericht von keinem gültigen Einspracheverzicht aus:

1.6. Entgegen der Vorinstanz kann folglich nicht von einem gültigen Verzicht des Beschwerdeführers auf eine Einsprache ausgegangen werden, da die Art und Weise, wie die Polizei vorliegend aktiv auf einen Einspracheverzicht hinwirkte, mit dem Anspruch auf ein faires Verfahren unvereinbar ist. Weiter ist nicht nachvollziehbar, ob der Beschwerdeführer hinreichend über die Tragweite und die Freiwilligkeit des Einspracheverzichts aufgeklärt wurde und ob er gültig auf den Beizug eines Übersetzers im Sinne von Art. 68 StPO verzichtete. Die Vorinstanz entschied daher zu Unrecht, der Strafbefehl vom 18. August 2021 sei trotz der grundsätzlich rechtzeitig erhobenen Einsprache vom 23. August 2021 in Rechtskraft erwachsen.