Kiffen und Autofahren − Was wir von Deutschland lernen können

Im Beitrag „Kiffen und Autofahren“ vom 20. März 2023 habe ich mich damit befasst, dass es beim Konsum von Cannabis, im Gegensatz zu Alkohol, keinen Grenzwert gibt. In der Praxis besteht allerdings eine analytische Nachweisgrenze von 1,5 ng/ml (Vollblut) bzw. von 2,1 ng/ml (Vollblut) bei Berücksichtigung des Messfehlers. Das führt zur paradoxen Situation, dass Personen, die nach dem Konsum von Cannabis nicht mehr in ihrer Fahrfähigkeit beeinträchtigt sind, trotzdem rechtlich als fahrunfähig gelten, was erhebliche rechtliche Konsequenzen hat.

In Deutschland schlug im März 2024 eine unabhängige Expertenkommission einen Grenzwert von 3,5 Nanogramm THC pro Milliliter im Blutserum (3,5 ng/ml) vor (Medienmitteilung BMDV, Empfehlungen der interdisziplinären Expertengruppe für die Festlegung eines THC-Grenzwertes im Strassenverkehrs). Der Grenzwert entspricht 3,5 Mikrogramm pro Liter (3,5 µg/l).

In Deutschland bestimmt man den Grenzwert in Bezug auf das Blutserum, in der Schweiz dagegen in Bezug auf das Vollblut. Bei der Umrechnung zwischen Vollblut und Blutserum besteht ein Faktor 2. Das heisst: 3,5 ng/ml (Blutserum) entspricht 1,75 ng/ml (Vollblut).

Mit der Publikation des „Sechstes Gesetz zur Änderung des Strassenverkehrsgesetzes und weiterer strassenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 16. August 2024“ trat in Deutschland der neue Grenzwert von 3,5 ng/ml am 21. August 2024 in Kraft.

Der deutsche Gesetzgeber hat richtig entschieden, indem er einen Grenzwert für THC festgelegt hat. Jedoch muss man sich bewusst sein, dass der Grenzwert bis zu einem gewissen Grad willkürlich ist, da die Wirkung von THC individuell ist, weshalb auch bei Einhaltung des Grenzwertes Fahrunfähigkeit bzw. bei bei Überschreiten des Grenzwertes Fahrfähigkeit vorliegen kann.

Mit der Einführung eines THC-Grenzwertes entfällt vor allem für Gelegenheitskiffer das Risiko, rechtlich als fahrunfähig zu gelten, obwohl sie faktisch voll fahrtüchtig sind. Sie können davon ausgehen, dass sie drei bis sechs Stunden nach dem letzten Konsum unter dem Grenzwert liegen. Eine genaue Vorhersehbarkeit − wie bei Alkohol − gibt es allerdings nicht.

Bei täglichen Konsumenten sieht es jedoch anders aus. Diese müssen davon ausgehen, dass sie ständig über dem Grenzwert liegen, selbst wenn sie effektiv fahrfähig sind (Gewöhnungseffekt). Das zeigt eindrücklich die ARD-Doku „Kiffer am Steuer · Legal kiffen, sicher fahren?“ des Y-Kollktivs. Darum gilt hier auch weiterhin: Wer täglich kifft, fährt nicht.

Vgl. auch den 20 Minuten-Artikel „Kiffen und Autofahren? Das musst du wissen“ vom 28. Mai 2024.

Auch in der Schweiz wurden die notwendigen Grundlagen erarbeitet. Das Institut für Rechtsmedizin der Universität Basel verfasste im Auftrag des Bundesamtes für Gesundheit im Dezember 2020 den „Bericht THC-Grenzwerte im Strassenverkehr − Eine Literaturanalyse“.

Interessanterweise schlägt das IRM Basel in einer Variante höhere Grenzwerte als in Deutschland vor: 3 ng/ml (Vollblut) bzw. 4,3 ng/ml (Vollblut) unter Berücksichtigung der harmonisierten Messungenauigkeit der akkreditierten Laboratorien. Dem entsprechen 6 ng/ml (Blutserum) bzw. 8,6 ng/ml (Blutserum). Oder anders gesagt: Der deutsche Grenzwert ist relativ tief angesetzt.

Selbst wenn THC-Grenzwerte nicht der Weisheit letzter Schluss sind, so ist die aktuelle Rechtslage in der Schweiz (Nulltoleranz) unhaltbar. Es besteht ein dringender gesetzlicher Handlungsbedarf.

Gemäss Art. 55 Abs. 7 Bst. a SVG kann der Bundesrat für andere (als Alkohol) die Fahrfähigkeit herabsetzende Substanzen Grenzwerte festlegen, bei welchen Konzentrationen im Blut unabhängig von weiteren Beweisen und individueller Verträglichkeit Fahrunfähigkeit im Sinne dieses Gesetzes angenommen wird.

Der Bundesrat ist deshalb dringend aufgerufen, auf Verordnungsstufe einen Grenzwert für Cannabis einzuführen. Die deutsche Gesetzgebung dient dabei als Vorbild, jedoch ist der Grenzwert eher höher anzusetzen. Insbesondere ist Bundesrat Rösti als Vorsteher des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) aufgefordert, die notwendigen Schritte unverzüglich in die Wege zu leiten.