Parlamentarische Initiative
Die Kantonsräte Céline Widmer (SP), Silvia Steiner (CVP), Olivier Hofmann (FDP), Stefanie Huber (GLP) und Ornella Ferro (Grüne) reichten eine Einzelinitiative betreffend Wahlvoraussetzungen für Bezirksrichterinnen und Bezirksrichter ein. Dabei verlangten sie, dass Mitglieder und Ersatzmitglieder der Bezirksgerichte über ein juristisches Studium verfügen müssen. Sie begründeten ihren Vorstoss wie folgt:
Derzeit sind an den zwölf Zürcher Bezirksgerichten noch 21 Richterinnen und Richter ohne juristische Grundausbildung tätig. Keine Richterinnen und Richter ohne juristische Grundausbildung gibt es in den Bezirken Dietikon, Horgen, Meilen, Winterthur und Zürich.
Das Fehlen einer juristischen Grundausbildung als Wahlvoraussetzung für Bezirksrichterinnen und Richter hat historische Wurzeln und beruht auf der früheren Vorstellung, dass sich Laien- und Berufsrichterinnen und Laien- und Berufsrichter in der Rechtsprechung gleichberechtigt ergänzen. Die juristischen Prozesse werden aber durch die zunehmende Verrechtlichung vieler Lebensbereiche immer komplexer, nicht zuletzt auch aufgrund der letzten StGB-Revision und den Revisionen der Prozessgesetzgebungen. So hat etwa jüngst die Belastung der Bezirksrichterinnen und Bezirksrichter in ihrer Tätigkeit als Einzelrichterinnen und Einzelrichter zugenommen. Dies stellt Richterinnen und Richter ohne juristische Ausbildung vor zusätzliche Schwierigkeiten: Sie müssen nun häufig und von Anfang an als Einzelrichterinnen und Einzelrichter eingesetzt werden und können in dieser Rolle nicht auf ein Richterkollegium zurückgreifen. Das Credo «sechs Augen sehen mehr als zwei» ist somit in vielen Fällen nicht mehr anwendbar. Hinzu kommt, dass die Parteien immer häufiger anwaltlich vertreten sind. Richterinnen und Richter ohne juristische Grundausbildung müssen somit mit Anwälten verhandeln, die ihnen fachlich überlegen sind.
Für das fehlende Fachwissen sind daher die Bezirksrichterinnen und Bezirksrichter ohne Rechtsstudium zunehmend auf den Rat der juristisch ausgebildeten Gerichtsschreiberinnen und Gerichtsschreiber angewiesen. Dies führt dazu, dass faktisch die Gerichtsschreiberinnen und Gerichtsschreiber die Rechtsprechung übernehmen. Dabei sind dies häufig junge Leute frisch von der Rechtsfakultät, die eigentlich von der Richterschaft ausgebildet werden müssten, und nicht umgekehrt.
Jüngst hat ein Bezirksgericht beim Obergericht ein Gesuch um personelle Verstärkung gestellt, um eine neu gewählte Richterperson ohne juristische Ausbildung adäquat unterstützen zu können. Die bewilligte zusätzliche Gerichtsschreiberstelle verursacht Kosten von ca. 130’000 Franken für ein Jahr. Dies zeigt einmal mehr, dass heute für eine professionelle (und effiziente) Rechtsprechung die juristische Ausbildung der Richterschaft an den Bezirksgerichten unabdingbar ist. Für Anwälte und andere Berufsgruppen wie z.B. Notare oder Betreibungsbeamte sieht das Gesetz bereits klare Regeln für die Zulassung vor. Durch die Volkswahl der Bezirksrichterinnen und Bezirksrichter bleibt die demokratische Verankerung auch mit der geforderten juristischen Grundausbildung als Wahlvoraussetzung erhalten.
Die Kommission für Justiz und öffentliche Sicherheit unterstützte mit Antrag vom 16. April 2015 die parlamentarische Initiative. Auch der Regierungsrat nahm in diesem Antrag positiv Stellung zur Abschaffung des Laienrichtertums und schlug eine Übergangsbestimmung vor, nach der amtierende Bezirksrichter wiedergewählt werden können, auch wenn sie über kein juristisches Studium verfügen.
Laienrichter gestern und heute
Die Idee, dass Laien Teil der Judikative sein sollen, stammt aus dem 19. Jahrhundert. Die Beteiligung von Laien an der Rechtsprechung erfolgte im Rahmen von Kollegialgerichten. Heute werden allerdings gemäss dem Regierungsrat 96,5 % der Fälle an Bezirksgerichten von Einzelrichtern behandelt.
Nach dem Gerichtsverfassungsgesetz vom 29. Januar 1911 entschieden die Bezirksgerichte jeweils als Kollegialgericht mit fünf Mitgliedern. Das Obergericht konnte jedoch den Bezirksgerichten ausnahmeweise Gerichtsabteilungen mit drei Mitgliedern bewilligen.
Einzelrichter gab es bereits im beschleunigten (Betreibungs- und Konkurssachen) und summarischen Verfahren sowie bei nichtstreitigen Rechtssachen. Über die Entwicklung der Einzelrichterkompetenzen im ordentlichen Verfahren, namentlich Forderungsprozesse, und in Strafsachen gehe ich am Schluss ein.
Das total revidierte Gerichtsverfassungsgesetz vom 13. Juni 1976 brachte keine wesentlichen Änderungen an der Gerichtsorganisation. Es wurde vorgesehen, dass das Bezirksgericht in der Regel mit 5 Mitgliedern besetzt ist, es jedoch mit 3 Mitgliedern beschlussfähig ist. Die Einzelrichterkompetenzen im ordentlichen Verfahren und in Strafsachen wurden etwas erweitert.
Mit dem Gesetz über die Angleichung des kantonalen Prozessrechts an übergeordnetes Recht und über die Rationalisierung der Rechtspflege vom 24. September 1995 wurde die Besetzung der Bezirksgerichte mit fünf Mitgliedern abgeschafft. Fortan tagt das Kollegialgericht nur mit Dreierbesetzung. Zudem wurden die Einzelrichterkompetenzen im ordentlichen Verfahren und in Strafsachen stark erweitert. Schliesslich war der Einzelrichter neu für Konventionalscheidungen sowie für Haftsachen zuständig.
Das Gesetz betreffend die Anpassung des Prozessrechts im Personen- und Familienrecht vom 27. März 2000 führte zu einer massiven Ausweitung der Einzelrichterkompetenz, da nun sämtliche familienrechtlichen Verfahren nicht mehr durch das Kollegialgericht behandelt wurden, namentlich Scheidung, Kinderunterhalt, Feststellung und Anfechtung des Kindesverhältnisses.
Mit dem Gesetz über die Anpassung der kantonalen Behördenorganisation und des kantonalen Prozessrechts in Zivil- und Strafsachen an die neuen Prozessgesetze des Bundes vom 10. Mai 2010 wurde das Gerichtsverfassungsgesetz durch das Gesetz über die Gerichts- und Behördenorganisation im Zivil- und Strafprozess (GOG) vom 10. Mai 2010 abgelöst. Die einzelrichterlichen Kompetenzen wurden nochmals erweitert.
Einzelrichterkompetenz im ordentlichen Verfahren:
1911 50 – 300 Fr.
1935 50 – 600 Fr.
1953 100 – 1’000 Fr.
1976 300 – 8’000 Fr.
1995 500 – 20’000 Fr.
2010 bis 30’000 Fr.
Einzelrichterkompetenz in Strafsachen:
1911 –
1935 Gefängnis bis 1 Monat
………(nur Bezirksgericht Zürich und nur bestimmte Delikte)
1953 Gefängnis bis 2 Monate (nur bestimmte Delikte)
1976 Freiheitsstrafe bis 3 Monate
1995 Freiheitsstrafe bis 6 Monate
2010 Freiheitsstrafe bis 12 Monate
Besonders die Gesetzesänderungen von 1995, 2000 und 2010 führten zu einem radikalen Umbruch der erstinstanzlichen Rechtsprechung: Weg vom Kollegial- und hin zum Einzelgericht. Damit hat sich auch die Rolle von Laienrichtern grundlegend verändert. Der Laienrichter ist somit in der Regel nicht mehr Teil eines Kollektivs, weshalb dem einzelnen Richter eine viel grössere Bedeutung zukommt.
Da der Gesetzgeber mit der Ausweitung der einzelrichterlichen Kompetenzen eine Rationalisierung der Rechtspflege angestrebt hat, kann die hohe Qualität der Rechtsprechung nur dann gehalten werden, wenn Bezirksrichter über die notwendige Ausbildung verfügen. Diese Erkenntnis hat sich nun, wenn auch ein wenig spät, auch beim Gesetzgeber durchgesetzt.
Schliesslich muss auch darauf hingewiesen werden, dass sich das materielle Recht seit dem 19. Jahrhundert massiv verändert hat. Die idyllischen Zeiten eines Eugen Huber, dem Schöpfer des Zivilgesetzbuches, das sich durch dessen leichte Verständlichkeit auszeichnet, sind längst vorbei. Heute haben Bezirksrichter mit einer Vielzahl von Gesetzen zu tun, die teilweise sehr kompliziert und technisch sind. Zudem fand auch eine Internationalisierung des Rechts statt. Bezirksrichter müssen deshalb regelmässig auch Staatsverträge oder sogar ausländisches Recht anwenden. Schliesslich ist auch das Verfahrensrecht heutzutage sehr komplex und schwierig.
Das Laienrichtertum stammt somit aus einer Zeit, als ganz andere rechtliche Rahmenbedingungen gegolten haben. Heute hat sich das Laienrichtertum definitiv überlebt. Insbesondere kann aus rechtshistorischer Sicht nicht begründet werden, warum heutzutage Laienrichter als Einzelrichter familienrechtliche Prozesse führen sollen.
Was meint das Bundesgericht zu Laienrichtern?
Das Bundesgericht hielt im Jahr 2007 in BGE 134 I 16 zwar grundsätzlich fest, dass gestützt auf Art. 30 Abs. 1 BV kein verfassungsmässiger Anspruch auf einen juristisch ausgebildeten Richter bestehe, jedoch zeigte das Bundesgericht auch auf, dass Laienrichter ein faires Verfahren nicht immer garantieren können.
4. Zu beurteilen bleibt das Vorbringen, Urs Obrecht ‒ der zwar vom Volk gewählter Bezirksrichter ist, aber über keine juristische Ausbildung verfügt ‒ dürfe die komplexen Zivilverfahren nicht leiten, weshalb mit der verweigerten Übertragung der Verfahren auf ein anderes Bezirksgericht der Anspruch auf ein durch Gesetz geschaffenes, zuständiges, unabhängiges und unparteiisches Gericht (Art. 30 Abs. 1 BV) verletzt sei.
(…)
4.2 Die als verletzt gerügte Verfassungsnorm von Art. 30 Abs. 1 BV gewährt den Prozessbeteiligten verschiedene institutionelle Verfahrensgarantien. So muss das urteilende Gericht nicht nur durch Gesetz geschaffen und zuständig, sondern auch unabhängig und unparteiisch sein. Unabhängig ist ein Gericht, wenn an seiner Rechtsprechung eigentliche Richter mitwirken, die auf feste Amtsdauer bestellt sind und während dieser Zeit weder von anderen Staatsgewalten noch von den Parteien Anweisungen empfangen (BGE 123 II 511 E. 5c S. 517; HOTZ, in: Die schweizerische Bundesverfassung, Kommentar, Zürich 2002, N. 12 zu Art. 30 BV). Die Unabhängigkeit des Richters ist gleichzeitig eine der Voraussetzungen für seine Unparteilichkeit, an der es gebricht, sobald bei objektiver Betrachtungsweise Umstände vorliegen, die ihn nicht mehr als rechten Mittler, sondern als voreingenommen oder befangen erscheinen lassen (BGE 126 I 68 E. 3a S. 73; BGE 127 I 196 E. 2b S. 198).
Die Beschwerdeführer rufen nicht eine der genannten Garantien an, sondern leiten aus Art. 30 Abs. 1 BV einen Anspruch auf juristisch gebildete Richter oder jedenfalls auf einen über entsprechende Kenntnisse verfügenden Gerichtsvorsitzenden ab. Eine dahingehende institutionelle Garantie kennt die schweizerische Bundesverfassung jedoch nicht: Selbst für die Wahl als Bundesrichter setzt die Verfassung formell lediglich die Vollendung des 18. Lebensjahres und das Schweizer Bürgerrecht voraus (vgl. Art. 143 BV bzw. Art. 5 Abs. 2 BGG). Macht aber die Bundesverfassung eine juristische Ausbildung explizit nicht zur Voraussetzung für die Wahl als Richter am höchsten Gericht, lassen sich aus Art. 30 Abs. 1 BV von vornherein keine entsprechenden institutionellen Garantien für kantonale Gerichte ableiten.
Historisch gesehen war das neuzeitliche Laienrichtertum ein Postulat der Aufklärung und als gewaltenteiliger Ansatz gegen die vom Monarchen eingesetzten Juristenrichter gedacht (BÖTTGES, Die Laienbeteiligung an der Strafrechtspflege, Diss. Bonn 1979, S. 3 ff.); demgegenüber beruhte es für die Schweiz primär auf dem Umstand, dass sich ein akademisch geschulter Juristenstand im gesamten Gebiet erst relativ spät herausgebildet hat (JESCHECK, Laienrichtertum in der Strafrechtspflege der BRD und der Schweiz, in: Lebendiges Strafrecht, Bern 1977, S. 243). Auf der Ebene der erstinstanzlichen Gerichte ist das Laienelement heute noch verbreitet, während die oberinstanzlichen Gerichte vorwiegend mit juristisch gebildeten Richtern besetzt sind. Entsprechende formelle Wahlvoraussetzungen kennen jedoch auch viele grössere Kantone nicht. Dies hält, wie erwähnt, vor der Bundesverfassung stand.
4.3 Wie bereits ausgeführt, sprechen die Beschwerdeführer mit ihrem Begehren nicht die Maxime der richterlichen Unabhängigkeit und Unparteilichkeit im engeren Sinn, sondern die Frage der Bildungsvoraussetzung für die Ausübung des Richteramtes an, indem sie juristischen richterlichen Sachverstand fordern, der sich primär, aber nicht zwingend im Rahmen eines universitären Studiums der Rechte aneignen lässt.
Zwischen der richterlichen Unabhängigkeit und den für die Ausübung richterlicher Tätigkeit erforderlichen Bildungsvoraussetzungen besteht jedoch insofern ein Konnex, als nur ausreichende fachlich-sachliche Kenntnisse den Richter zu unabhängiger Willensbildung und richtiger Rechtsanwendung befähigen. Der Richter muss in der Lage sein, den Fall in seinen Einzelheiten zu erfassen, sich darüber eine Meinung zu bilden und das Recht darauf anzuwenden (in diesem Sinn äussert sich auch die Literatur: EICHENBERGER, Die richterliche Unabhängigkeit als staatsrechtliches Problem, Bern 1960, S. 234 ff.; KIENER, Richterliche Unabhängigkeit, Bern 2001, S. 263 ff.). Fehlt es daran, kann nicht von einem fairen Verfahren gesprochen werden, zumal auch ein Zusammenhang mit dem Anspruch auf rechtliches Gehör besteht: Der Richter muss fähig sein, sich mit den Anliegen und Argumenten der Verfahrensparteien angemessen auseinanderzusetzen. Der Anspruch auf einen unabhängigen Richter bzw. auf ein faires Verfahren kann deshalb berührt sein, wenn unerfahrene Laienrichter ohne Möglichkeit der Mithilfe einer unabhängigen Fachperson ihres Amtes walten müssten; diesfalls würde sich jedenfalls die Frage stellen, ob nicht von einem iudex inhabilis gesprochen werden müsste, dem es an den für eine sachgerechte Entscheidfindung erforderlichen Eigenschaften fehlt (vgl. GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, Zürich 1979, S. 14).
Als vorsitzender Richter ist Urs Obrecht eingesetzt, der seit dem Jahr 1996 als vom Volk gewählter Bezirksrichter amtet. Er verfügt zwar über keine juristische Ausbildung, was allein ihn aber nach dem Gesagten nicht unfähig macht, das Richteramt auszuüben, umso weniger als die Verfahrensleitung und Entscheidfindung unter Mitwirkung eines juristisch ausgebildeten Gerichtsschreibers erfolgt, dem nach § 104 Abs. 1 ZPO/TG ausdrücklich beratende Stimme zukommt und der Urs Obrecht sowohl für materiellrechtliche Fragen als auch bei möglichen verfahrensrechtlichen Schwierigkeiten zur Seite stehen kann. Vor diesem Hintergrund bringen die Beschwerdeführer nichts vor, was Urs Obrecht als zur Ausübung des Richteramtes unfähig erscheinen liesse.
Das Bundesgericht befand somit in diesem Fall, dass der besagte Bezirksrichter gestützt auf seine Erfahrung ein faires Verfahren garantieren könne. Es stellt sich jedoch die Frage, ob heute Laienrichter ohne juristische Kenntnisse überhaupt noch wählbar sind, da sie zumindest in der Einarbeitungszeit nicht ohne fremde Hilfe sachgerechte Entscheide fällen können. So wurden zum Beispiel im Kanton Zürich schon extra zusätzliche Gerichtsschreiber angestellt, um neu gewählte Laienrichter zu unterstützen.
Diesbezüglich hielt der Regierungsrat 2015 in einem erläuternden Bericht zur parlamentarischen Initiative Folgendes fest:
Die Parteien haben einen Anspruch darauf, dass ihre Sache von Richterinnen und Richtern entschieden wird, die in der Lage sind, eigenständig den Prozessstoff zu durchdringen und eigenverantwortlich darüber zu entscheiden. Diese sollten in der Praxis die wesentlichen Fakten und Rechtssätze selbst erarbeiten und nicht von Gerichtsschreiberinnen und -schreibern instruiert werden.
Wählbarkeitsvoraussetzungen für Bezirksrichter
Gemäss § 23 Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes von 1911 war jeder stimmberechtigte Kantonsbürger wählbar. Das Gerichtsverfassungsgesetz von 1976 änderte nichts an dieser Rechtslage, verwies aber diesbezüglich auf das Wahlgesetz.
Wenn man die historische Entwicklung des Laienrichtertums betrachtet, ist es ohne Weiteres nachvollziehbar, dass kein Bedürfnis nach einer besonderen Ausbildung bestand, da Laienrichter immer nur Teil eines Kollegialgerichts gewesen sind. Da das Einzelrichtertum in den letzten Jahren massiv aufgewertet worden ist, muss jedoch die Frage gestellt werden, ob Laienrichter ihrer Aufgabe noch gerecht werden können.
Noch 2009/2010 war die Erkenntnis bei den Politikern nicht gereift, dass infolge der massiven Verschiebung von der Kollegial- auf die Einzelgerichtsbarkeit sowie infolge der zunehmenden Komplexität des materiellen und formellen Rechts das Laienrichtertum hinterfragt werden muss. Es stellt sich somit die Frage, ob Mitglieder von Bezirksgerichten nur gewählt werden können, wenn sie über fachliche Voraussetzungen verfügen. So sah weder der Entwurf des Regierungsrats vom 1. Juli 2009 noch der Antrag der Justizkommission für das GOG besondere Wählbarkeitsvoraussetzungen für Bezirksrichter vor. Dagegen wurde bei Staatsanwälten ein Wählbarkeitszeugnis als Wählbarkeitsvoraussetzung vorgesehen (§ 97 GOG).
Einzig die Kantonsräte Gabi Petri (Grüne) und Markus Bischoff (AL) stellten den Minderheitsantrag, dass nur als Mitglied oder Ersatzmitglied in ein Bezirksgericht wählbar sei, wer über ein abgeschlossenes juristisches Studium verfügt. Der Minderheitsantrag wurde am 12. April 2010 im Kantonsrat diskutiert, jedoch mit 112 : 59 Stimmen abgelehnt.
Regierungsrat Markus Notter äusserte sich zum Minderheitsantrag ohne grosse Begeisterung für das Anliegen:
Die Frage der Laienrichter wird in diesem Kanton ja seit Jahren diskutiert, immer mal wieder, und es ist offensichtlich eine umstrittene Frage. Deshalb beantrage ich Ihnen, diese Frage jetzt nicht zu beantworten, weil ich befürchte – ich gebe das zu −, dass es diese Vorlage eher belastet, und das Risiko besteht, dass hier allenfalls noch von den «vereinigten Laienrichtern» das Referendum ergriffen wird; es ist nicht so gross, das Risiko, aber es könnte immerhin vorhanden sein.
Ich denke aber, die Fragestellung, die aufgeworfen wird, ist relevant. Man muss sich in der Tat fragen, ob das noch richtig ist. Aber es ist differenziert zu beantworten, wie die Juristen zu sagen pflegen. Es ist ja interessant, dass mit Ihrer Lösung im Bereich der Arbeitsgerichte zum Beispiel ausdrücklich Laien in die Gerichte hineingenommen werden, aber in einer offenbar definierten Funktion, nämlich als Beisitzende in einem Kollegialgericht. Das scheint Sie nicht zu stören und da gibt es auch gute Argumente dafür, dass einen das weniger stört, als wenn zum Beispiel ein Laieneinzelrichter tätig ist. Aber man müsste diese Frage schon noch etwas differenzierter und etwas genauer diskutieren.
(…)
Im Rahmen dieser Vorlage lässt sich das nicht machen. Ich beantrage Ihnen deshalb, im Sinne Ihrer Kommissionsmehrheit, diesen Antrag abzulehnen, bin aber gerne bereit, mit Ihnen zusammen darüber zu diskutieren, wie wir diese Fragen aufnehmen können und wie wir im Interesse einer Verbesserung auch der Unabhängigkeit und der Qualität der richterlichen Tätigkeit hier weitere Entscheide treffen können. Ich beantrage Ihnen aber zurzeit Ablehnung dieses Minderheitsantrags.
Die Verfassung des Kantons Zürich vom 27. Februar 2005 regelt Folgendes:
Art. 22 Stimm- und Wahlrecht
Das Stimm- und Wahlrecht und die weiteren politischen Rechte in Kantons- und Gemeindeangelegenheiten stehen allen Schweizerinnen und Schweizern zu, die im Kanton wohnen, das 18. Lebensjahr zurückgelegt haben und in eidgenössischen Angelegenheiten stimmberechtigt sind.
Art. 40 Wählbarkeit
1 In den Kantonsrat, den Regierungsrat, die obersten kantonalen Gerichte und den Ständerat kann gewählt werden, wer in kantonalen Angelegenheiten stimmberechtigt ist. Wer in die übrigen Behörden gewählt werden kann, bestimmt das Gesetz.
Das Gesetz über die politischen Rechte (GPR) vom 1. September 2003 wiederholt in § 3 Abs. 1 die Voraussetzungen gemäss Art. 22 KV. Gemäss § 3 Abs. 3 GPR bleiben abweichende Bestimmungen über die Wählbarkeit vorbehalten, jedoch weder das GPR noch das Gesetz über die Gerichts- und Behördenorganisation im Zivil- und Strafprozess (GOG) vom 10. Mai 2010 sehen besondere Wählbarkeitsvoraussetzungen für Bezirksrichter vor.
Der Regierungsrat stellte im Jahr 2015 richtig fest, dass diese Rechtslage nicht mehr zeitgemäss ist:
Schliesslich ist zu bemerken, dass mittlerweile beinahe für alle Funktionen in der Rechtspflege ein fachlicher Leistungsausweis erforderlich ist: das Anwaltspatent für Anwältinnen und Anwälte, das Wahlfähigkeitszeugnis für Staatsanwältinnen und Staatsanwälte bzw. für Notarinnen und Notare, der Wahlfähigkeitsausweis für Betreibungsbeamtinnen und -beamte. Einzig die Wahl zur Richterin bzw. zum Richter und zur Friedensrichterin bzw. zum Friedensrichter kann ohne Nachweis einer juristischen Ausbildung und einer einschlägigen praktischen Tätigkeit erfolgen.
Das GOG gemäss der Änderung vom 30. November 2015 regelt nun neu die Wählbarkeitsvoraussetzungen von Mitgliedern und Ersatzmitgliedern von Bezirksgerichten:
§ 8. Mitglieder
Abs. 1 unverändert.
2 Wählbar als Mitglied ist, wer ein juristisches Studium gemäss Art. 7 Abs. 1 lit. a des Bundesgesetzes über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte vom 23. Juni 2000 (BGFA) abgeschlossen hat.
Abs. 2 und 3 werden zu Abs. 3 und 4.
§ 11. Ersatzmitglieder
Abs. 1 unverändert.
2 Als Ersatzmitglied kann ernannt werden, wer in der Schweiz politischen Wohnsitz gemäss Art. 3 des Bundesgesetzes über die politischen Rechte vom 17. Dezember 1976 hat und ein juristisches Studium gemäss Art. 7 Abs. 1 lit. a BGFA abgeschlossen hat.
Übergangsbestimmung zur Änderung vom 30. November 2015
Wer im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Änderung vom 30. November 2015 als Mitglied eines Bezirksgerichts gewählt ist, kann wiedergewählt werden, auch wenn diese Person die Voraussetzung gemäss § 8 Abs. 2 nicht erfüllt.
Am 17. August 2015 wurde die Gesetzesvorlage im Kantonsrat behandelt. Einzig Kantonsräte der SVP, EDU und EVP gaben ablehnende Voten ab. Diese Voten zeigen ein ideologisch verklärtes Bild des Laienrichtertums und der Justiz auf, was wenig mit der gerichtlichen Praxis im 21. Jahrhundert zu tun hat. Demzufolge ist es auch nicht weiter erstaunlich, dass sie sich nicht mit den Argumenten der Befürworter sachlich auseinandersetzten.
Dagegen trug Regierungsrätin Jacqueline Fehr sehr sachlich die Argumente vor:
Gerne lege ich Ihnen nochmals die sechs Gründe dar, die den Regierungsrat dazu bewegen, dieser Reform und damit dem Antrag der vorberatenden Kommission zuzustimmen:
Erstens: Frau Widmer hat es bereits einleitend gesagt, das Laienrichtertum ist, historisch gesehen, ein Relikt aus der politischen Aufklärung des 19. Jahrhunderts. Man wollte damals ausdrücklich Laien in diesen Funktionen, um eine demokratische Nähe zum Volk sicherzustellen. Heute ist diese Begründung nicht mehr stichhaltig, denn heute werden die Richterinnen und Richter vom Volk gewählt. Und damit ist dem demokratischen Anliegen Rechnung getragen.
Zweites Argument, auch das wurde erwähnt: Vor nicht allzu langer Zeit wurde die Mehrheit der Fälle von Dreiergremien beurteilt. Und heute – ich denke, das ist tatsächlich das wesentliche Argument in dieser Debatte –, heute sind es gerade noch 3,5 Prozent der Fälle, die in Dreiergremien beurteilt werden. Alle anderen werden vom Einzelgericht beurteilt. Das heisst, dort sind Laienrichterinnen und Laienrichter allein für den Prozess und das Urteil verantwortlich.
Drittens: Wenn die Richterinnen und Richter nicht über die nötige Ausbildung verfügen, werden sie logischerweise von den Gerichtschreiberinnen und -schreibern unterstützt. Wenn aber letztlich gar nicht die Richterin – da Laiin –, sondern der Gerichtschreiber die Erwägungen macht, schwächt das die demokratische Legitimation des Gerichtes.
Viertens: Laienrichterinnen und Laienrichter müssen – das haben wir gehört – eingearbeitet werden. Es ist ineffizient und teuer. Aber es ist auch ein Verstoss gegen die Rechtsgleichheit. Vor Gericht sollten alle die gleichen Chancen haben. Dazu gehört auch das Recht, dass ich von einem ausgebildeten Juristen oder einer ausgebildeten Juristin beurteilt werde. Erlauben Sie mir hier noch eine Klammerbemerkung: Haben Sie sich auch schon überlegt, weshalb praktisch alle – auch Sie, die am Laienrichtertum festhalten wollen – dann, wenn sie Recht suchen, jemanden mit entsprechender Ausbildung beiziehen? Ich kenne jedenfalls niemanden, der explizit einen Laienanwalt sucht, wenn er vor Gericht geht. Wieso also wählen wir den Profi, wenn wir Recht suchen, und halten am Laien fest, wenn Recht gesprochen wird?
Zurück zu den Argumenten, ich komme zum fünften, dies betrifft die Kernaufgabe der Richterin oder des Richters und damit die Kernfähigkeit: Bei der Rechtsprechung geht es bekanntlich darum, die Gesetze anzuwenden und auszulegen. Wer das können will, muss die Gerichtspraxis auch kennen. Und wenn heute Richterinnen und Richter praktisch vom ersten Tag an grösstenteils im Einzelgericht tätig sind, müssen sie sich diese Fähigkeit bereits vorher, also im Studium und in der Gerichtspraxis, aneignen. Den Laien aber fehlt genau dieser Teil der Berufsausbildung.
Und sechstens, das letzte Argument: Die dritte Gewalt ist heute fast durchgehend professionalisiert. Genauso wenig, wie wir uns von einem Laien das Knie operieren lassen, lassen wir uns von einem Laien als Anwalt vertreten. Auch aufseiten der Staatsanwaltschaft, der Notarinnen und Notare, der Betreibungsbeamtinnen und Betreibungsbeamten sind Profis am Werk. Wir sollten beim Bezirksgericht keine Ausnahme machen.
Es sind diese sechs Argumente, die den Regierungsrat in Übereinstimmung mit dem Obergericht dazu bringen, diese Vorlage zu unterstützen. Der Regierungsrat unterstützt dabei jedoch die von der vorberatenden Kommission vorgeschlagene Übergangsregelung, nach der bisherige Laienrichter wiedergewählt werden können. Ich bitte Sie, dies ebenfalls zu tun.
Am 30. November 2015 stimmte der Kantonsrat mit 88 : 60 (bei 5 Enthaltungen) der Vorlage zu. Die SVP hat dagegen bereits im August 2015 das „Behördenreferendum“ angekündigt. Gegen die Gesetzesvorlage wurde folglich das Kantonsratsreferendum ergriffen, weshalb das Stimmvolk das letzte Wort haben wird.
Und alles hat mal ein Ende, früher oder später
Vor vielen Jahren war ich einmal als Anwalt am Bezirksgericht Dielsdorf. Es ging um eine definitive Rechtsöffnung. Während ich plädierte, die Argumentation war rein formaljuristisch, merkte ich, dass der Laienrichter überhaupt nicht verstand, was ich vortrug, im Gegensatz zu seiner juristischen Sekretärin (heute: Gerichtsschreiberin), die neben ihm sass und mit dem Kopf nickte. Das hinterliess bei mir doch einen sehr seltsamen Eindruck. Es ist nicht nur peinlich, sondern auch eine Zumutung für die Parteien, wenn ein Bezirksrichter nicht den Durchblick hat und sich in der Beratungspause von seiner juristischen Sekretärin die Rechtslage erklären lassen muss.
Der Fall zeigt exemplarisch auf, dass es zwingend notwendig ist, dass Richter und Parteien die gleiche Sprache sprechen. Fundiertes rechtliches Know-how bei Bezirksrichtern ist unverzichtbar. Es reicht nicht, dass Laien auf der Richterbank Platz nehmen und so tun, als wären sie Richter. Die meiste Arbeit von Richtern findet im Übrigen abseits des Rampenlichts statt. Ein Richter ist somit nicht nur ein Schauspieler auf der Gerichtsbühne, sondern auch ein fleissiger Schaffer im stillen Kämmerlein. Namentlich erwarte ich von Bezirksrichtern, dass sie ihre Urteile von A bis Z auch selbst begründen können. Das sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, aber gerade bei Laienrichtern ist das regelmässig nicht der Fall. Infolgedessen verfassen Gerichtsschreiber und Auditoren die Urteile. Der Laienrichter verkommt somit zur Marionette des juristischen Personals des Bezirksgerichts. Das eigentliche Sagen haben somit Leute, die sich nicht zur Wahl haben stellen müssen.
Am 18. Oktober 2015 fand der 1. Wahlgang für die Ersatzwahl für ein Mitglied des Bezirksgerichts Bülach (Teilamt, 50 %) als Nachfolge der Laienrichterin und Eglisauer Gemeindepräsidentin Ursula Fehr (SVP) statt. Es traten eine Juristin (parteilos), eine Immobilientreuhänderin (SVP) und eine (kaufmännische) Partnerassistentin in einer Anwaltskanzlei (parteilos) an. Die Juristin erzielte fast gleich viele Stimmen wie die beiden Laienkandidatinnen, verfehlte aber knapp das absolute Mehr. Trotz des klaren Resultats treten alle Kandidatinnen am 28. Februar 2016 wieder zum 2. Wahlgang an. Ein Rückzug der Laienkandidatinnen wäre jedoch angezeigt gewesen, da die Wählerinnen und Wähler deutlich der Juristin den Vorzug gegeben haben.
Am 28. Februar 2016 findet auch eine Ersatzwahl für ein Mitglied des Bezirksgerichts Dielsdorf (Beschäftigungsgrad: 35 %) statt. Es kandidieren eine Juristin (GLP) und ein Polizist (parteilos), der auch als Friedensrichter von Stadel amtet. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass sich der Wahlkampf um die Frage „Laie oder Jurist“dreht. Die Interparteiliche Konferenz (IPK) des Bezirks Dielsdorf empfielt die Juristin zu Wahl.
Seien wir doch ehrlich, die Laienrichter sind eine aussterbende Spezies. Auch ohne Gesetzesänderung werden diese allmählich verschwinden. Laienrichter haben denn auch bereits heute nur noch eine marginale Bedeutung. Nur in gewissen Landbezirken, die juristisch noch etwas hinter dem Mond leben, sind noch Laienrichter anzutreffen. In den Bezirken Zürich, Winterthur, Meilen, Horgen und Dietikon hat sich dagegen die Erkenntnis schon längst durchgesetzt, dass Bezirksrichter eine solide juristische Ausbildung brauchen.
In Bezug auf Laienrichter habe ich eine klare Meinung. Laien haben in Bezirksgerichten nichts mehr zu suchen. Ihre Zeit ist seit mindestens 20 Jahren abgelaufen. Wenn sich heute ‒ im Jahr 2016 ‒ noch ein Laie zur Wahl als Bezirksrichter stellt, so ist das vor allem ein Ausdruck von totaler Selbstüberschätzung des betreffenden Kandidaten. So käme es mir zum Beispiel auch nicht in den Sinn, an der elektrischen Hausinstallation herumzupfuschen, nur weil ich mal einen Stecker zusammengelötet habe. Mal ganz davon abgesehen, dass dies auch gesetzlich verboten ist (Art. 6 NIV). Dafür gibt es Spezialisten, die ihr Metier gelernt haben. Oder wie heisst es im Sprichwort: Schuster, bleib bei deinen Leisten!
In der Juristerei ist das auch nicht anders. Als Anwalt kann ich nur tätig sein, weil ich die Anwaltsprüfung bestanden habe. Bei Staatsanwälten und Notaren sind Wahlfähigkeitszeugnisse erforderlich, was eine gewisse Ausbildung erfordert. Warum sollte das bei Richtern anders sein? Das Bezirksgericht ist schliesslich keine Bühne für einen egoistischen Selbstverwirklichungstrip, kein Jahrmarkt der Eitelkeiten. Es ist schlicht eine Zumutung für die Parteien, dass Laienrichter auf diese losgelassen werden, um über deren Probleme zu entscheiden. Folglich verkommt die Justiz für die Parteien vollends zur Lotterie, wobei bei Laienrichtern die Gefahr besonders gross ist, eine Niete zu ziehen.
Übertragen wir die Thematik Kollegialgericht/Einzelrichter beispielsweise auf die Medizin. In einem Operationssaal gibt es Chefärzte, Assistenzärzte, Krankenschwester. Nun werden im OP Stellen abgebaut. Da kommt auch niemanden in den Sinn, dass die Krankenschwester nun die Operation allein durchführt. Im Gerichtssaal sollte es auch nicht anders sein. Oder wenn jemand rechtlichen Rat sucht, dann geht er zu einem Rechtsanwalt und lässt sich nicht durch die Anwaltsassistentin beraten.
Zu aktuell tätigen Laienrichtern habe ich eine ambivalente Meinung. Manche Laienrichter machen ihre Arbeit gut, andere weniger, was auch noch von der Tagesform abhängt. Gute Laienrichter machen fehlende rechtlichte Kenntnisse durch menschliche Qualitäten weg, insbesondere durch Führungsqualitäten. Verschiedene Laienrichter sind jedoch mit ihrer Aufgabe überfordert und sind überhaupt nicht zu gebrauchen. Besonders schlimm ist es, wenn fehlendes rechtliches Know-how mit fehlenden menschlichen Qualitäten gepaart ist. Dann kann man getrost sagen, dass man als Partei die Arschkarte gezogen hat.
Bei der kommenden Volksabstimmung muss sich der Stimmbürger fragen, wenn er sich als Richter wünscht, wenn er selbst vor den Schranken des Gerichts steht. Wenn eine bestens qualifizierte Juristin und eine überambitionierte Hausfrau als Richterin zur Verfügung stehen, dürfte die Wahl wohl nicht schwerfallen.
Blick über den Tellerrand
(Update vom 11.2.2016)
Der vorliegende Beitrag wurde aus einer Zürich-Optik geschrieben. Manchmal ist es aber auch hilfreich, einen Blick über die Kantonsgrenze zu werfen, zum Beispiel nach St. Gallen. Im Jahr 2008 wurde dort eine grössere Justizreform beschlossen. Im Gerichtsgesetz (GerG) in der Fassung vom 1. Juni 2008 ist insbesondere Folgendes zu lesen:
Art. 26 b) hauptamtliche und teilamtliche Mitglieder des Kreisgerichtes
1 Als hauptamtliches oder teilamtliches Mitglied des Kreisgerichtes ist wählbar, wer:
a) ein juristisches Studium mit dem Lizentiat oder dem Master einer schweizerischen Hochschule abgeschlossen hat oder im Besitz eines schweizerischen Anwaltspatents ist. Die Voraussetzung erfüllt auch, wer über einen anderen Hochschulabschluss oder Fähigkeitsausweis verfügt, den die Präsidentin oder der Präsident des Kantonsgerichtes als gleichwertig anerkannt hat;
b) über wenigstens drei Jahre Berufserfahrung in der Rechtspflege oder Advokatur verfügt.
Die Staatskanzlei erläuterte im Abstimmungsbüchlein die Vorlage folgendermassen:
2. Rahmenbedingungen für eine schlanke und leistungsfähige Justiz
Laienrichterinnen und Laienrichter beibehalten
In die Kreisgerichte nehmen nach einer langen Tradition auch so genannte Laienrichterinnen und Laienrichter Einsitz, die in der Regel über keine juristische Fachausbildung verfügen und im Nebenamt tätig sind. An dieser Tradition wird festgehalten. Es sollen weiterhin auch nebenamtliche Laienrichterinnen und Laienrichter gewählt werden, die Erfahrungen aus verschiedenen Lebensbereichen einbringen. Sie üben ihre Funktion als Beisitzerinnen und Beisitzer im Kollegialgericht (Gericht in Dreierbesetzung, in schweren Straffällen in Fünferbesetzung) aus.
Mit Wahlvoraussetzungen für Berufsrichterinnen und Berufsrichter Qualität sichern
In Fällen, in denen eine Einzelrichterin oder ein Einzelrichter entscheidet, werden künftig nur noch fest angestellte Richterinnen und Richter, die über eine juristische Ausbildung und eine mindestens dreijährige Praxis verfügen, tätig sein. Da die zu entscheidenden Streitigkeiten komplexer geworden sind, kann bei den Einzelrichterfällen auf umfassendes juristisches Fachwissen und Praxiserfahrung nicht mehr verzichtet werden. In der Praxis wird bereits heute die weit überwiegende Zahl der Fälle durch juristisches Personal bearbeitet, das diese Voraussetzungen erfüllt. Das Gerichtsgesetz sieht zur Sicherung der Qualität der Rechtsprechung neu vor, dass fest angestellte Richterinnen und Richter ein juristisches Studium mit dem Lizentiat oder dem Master einer schweizerischen Hochschule abgeschlossen haben oder im Besitz eines schweizerischen Anwaltspatents sein müssen. Die Kantonsgerichtspräsidentin oder der Kantonsgerichtspräsident kann im Einzelfall auch einen anderen Hochschulabschluss oder Fähigkeitsausweis als gleichwertig anerkennen. Zudem kann als Richterin oder Richter nur fest angestellt werden, wer über mindestens drei Jahre Berufserfahrung in der Rechtspflege oder Advokatur verfügt.
Ausnahmen von den Wahlvoraussetzungen sind für bisherige Richterinnen und Richter vorgesehen. Damit soll ermöglicht werden, dass bisherige Familienrichterinnen und Familienrichter wieder gewählt werden können. Weil Scheidungen unter dem neuen Scheidungsrecht (seit 2000) regelmässig einzelrichterlich und nicht mehr im Kollegialgericht geregelt werden, können neu gewählte Laienrichterinnen und Laienrichter die für die Tätigkeit als Familienrichterin oder Familienrichter erforderlichen Kenntnisse nicht mehr wie früher in der Praxis erwerben. Um die erforderliche Qualität auch in Zukunft gewährleisten zu können, wird künftig für die Tätigkeit als Familienrichterin oder Familienrichter ein juristischer Hochschulabschluss oder eine andere gleichwertige Ausbildung verlangt.
Neben den fachlichen Voraussetzungen sollen Kandidatinnen und Kandidaten für ein Richteramt selbstverständlich auch persönliche Fähigkeiten wie Menschenkenntnis, Verhandlungsgeschick, Einfühlungsvermögen mitbringen. Diesen Voraussetzungen wird im Rahmen der Kandidatenauslese mittels Anforderungsprofilen Beachtung zu schenken sein.
Interessant ist, dass St. Gallen höhere Anforderungen an Richter stellt, als die beschlossene Regelung im Kanton Zürich. Neben einer juristischen Ausbildung wird zusätzlich noch eine mindestens dreijährige Berufserfahrung verlangt. Anwälte müssen im Übrigen ein mindestens einjähriges Praktikum machen (Art. 7 Abs. 1 Bst. b BGFA), bevor sie zur Anwaltsprüfung antreten können. Von Staatsanwälten im Kanton Zürich wird sogar eine mehrjährige Berufserfahrung sowie eine einjährige Kandidatur bei einer Staatsanwaltschaft als Voraussetzung für das Erlangen des Wahlfähigkeitszeugnisses verlangt (§ 98 GOG). Vor diesem Hintergrund ist die neue zürcherische Regelung für Bezirksrichter doch ziemlich moderat.
Auch im Kanton Zürich wird im Übrigen das Laienrichtertum nicht gänzlich abgeschafft. In Miet- und Arbeitsgerichten nehmen Nichtjuristen als Beisitzer (Interessenvertreter) im Rahmen des Kollegialgerichts Einsitz. Das Gleiche gilt für das Handelsgericht.