Weg mit der KESB, aber richtig!

a) In den sozialen Medien wird immer wieder der Standpunkt vertreten, dass die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) abgeschafft werden müsse. Diese Aussage ist, für sich allein betrachtet, ziemlich blöd. Allerdings fragt sich, was damit eigentlich genau gemeint wird.

Grundsätzlich gibt es die staatliche Aufgabe des Kindes- und Erwachsenenschutzes, die nicht abgeschafft werden kann, da ansonsten die staatliche Fürsorgepflicht aufgegeben würde. Die geforderte Abschaffung der KESB darf also nicht dazu führen, dass der Staat seine Aufgaben in diesem Bereich nicht mehr wahrnehmen kann. Demzufolge kann mit der Abschaffung der KESB richtigerweise nur gemeint sein, dass nicht die KESB, sondern eine andere Behörde diese Aufgaben wahrnimmt.

b) Als Zwischenbemerkung muss zunächst in Erinnerung gerufen werden, was leider regelmässig vergessen geht, dass die KESB kein Monopol im Kindesschutz hat. In Eheschutz- und Scheidungsverfahren sowie allenfalls bei Kinderunterhaltsklagen in Bezug auf unverheiratete Eltern ist das Gericht für den Erlass von Kindesschutzmassnahmen zuständig.

c) Mit dem neuen Erwachsenenschutzrecht wurde die Vormundschaftsbehörde durch die KESB abgelöst. Der Entscheid des Gesetzgebers, die Laienbehörde durch eine Fachbehörde abzulösen, war richtig. Dieser Entscheid ist im Rahmen einer allgemeinen Entwicklung zu sehen. Das Recht wird immer komplexer, weshalb es juristisches Know-how braucht, um dieses richtig anzuwenden. Deshalb wurden die Behörden professionalisiert (z.B. Betreibungswesen) oder es werden fachliche Voraussetzungen für die Wählbarkeit (z.B. Gerichte, Staatsanwaltschaft, Notare) verlangt. Reine Laienbehörden können den Anforderungen der heutigen Zeit nicht mehr gerecht werden.

Der Unterschied zwischen KESB und Vormundschaftsbehörde ist jedoch in der Praxis weniger gross, als er theoretisch erscheint. Bereits früher hatten die Vormundschaftsbehörden regelmässig Juristen (Vormundschaftssekretäre) angestellt, welche die Entscheide der Behörde vorbereitet haben. Diese hatten einen grossen Einfluss auf die Entscheide der Vormundschaftsbehörde. Zudem konnte der Präsident der Vormundschaftsbehörde bei zeitlicher Dringlichkeit in Eigenregie – unter Ausschluss der Gesamtbehörde – entscheiden (Präsidialkompetenz). Selbstredend hatte ein Vormundsschaftssekretär einen erheblichen Einfluss auf solche Präsidialentscheide. Die früheren Vormundschaftsbehörden waren somit bereits häufig halbprofessionell organisiert. Reine Laienbehörden sind denn auch ein Mythos, der wenig mit der Rechtswirklichkeit gemein hat.

d) Als weitere Zwischenbemerkung ist darauf hinzuweisen, dass die KESB nicht das gleiche wie die Vormundschaftsbehörde ist. Früher waren nämlich für den Kindes- und Erwachsenenschutz zwei Behörden zuständig, die Vormundschafts- und die Aufsichtsbehörde (im Kanton Zürich der Bezirksrat). Die Aufsichtsbehörde war durch die Anstellung von Juristen und juristischen Behördenmitgliedern bereits stark professionell organisiert. Die Aufsichtsbehörde war für gewisse Geschäfte (z.B. Entzug der elterlichen Gewalt) zuständig oder sie musste gewissen Geschäften der Vormundschaftsbehörde die Zustimmung erteilen. Zudem musste die Aufsichtsbehörde zum Beispiel die Berichte der Beistände genehmigen. In gewissen Bereichen war die Vormundschaftsbehörde somit eine Art Abklärungsbehörde und der eigentliche Entscheid oblag der Aufsichtsbehörde. Mit der Schaffung der KESB wurden die Zuständigkeiten der Vormundschafts- und der Aufsichtsbehörde in einer Behörde zusammengeführt. Die heutige Aufsichtsbehörde ist nur noch eine allgemeine Aufsichtsbehörde. Auch das ist ein Grund, warum die KESB keine reine Laienbehörde mehr sein kann. Mit der Einführung der KESB wurde das Rad also nicht komplett neu erfunden. Vielmehr wurde das bisherige Behördensystem moderat für die heutige Zeit fit gemacht.

e) Es gibt das Dogma der kantonalen Organisationshoheit. Die Kantone sind somit weitgehend frei, die für den Kindes- und Erwachsenenschutz zuständige Behörden zu organisieren. Das alte Vormundschaftsrecht bestimmte einzig, dass es eine Vormundschafts- und eine Aufsichtsbehörde brauche. Das neue Erwachsenenschutzrecht sieht eine Einheitsbehörde mit mindestens drei Mitgliedern vor. Zudem bestimmt es, dass die KESB eine Fachbehörde sein müsse. Dies hat dazu geführt, dass es nicht die KESB gibt. Die Ausgestaltung der KESB in den Kantonen ist sehr unterschiedlich: KESB als Verwaltungsbehörde oder als Justizbehörde (Familiengericht), Organisation auf Gemeinde- oder auf Kantonsebene. KESB ist somit nicht gleich KESB. Und ferner sind auch die Beschwerdeinstanzen kantonal unterschiedlich geregelt.

Um eine Verbesserung der Behördenorganisation zu erreichen, muss zunächst mit dem Dogma der kantonalen Organisationshoheit gebrochen werden. Es ist erforderlich, dass der Bund den Kantonen mehr inhaltliche Vorgaben macht (vgl. Art. 122 Abs. 1 BV). Es braucht somit eine eigentliche Rahmengesetzgebung in Bezug auf die Organisation. Das führt zu einer einheitlicheren Organisation der KESB und der Beschwerdeinstanzen, was schliesslich auch erleichtern würde, ein national vereinheitlichtes Verfahrensrecht einzuführen.

f) Bevor man sich der Organisation der KESB zuwendet, braucht es jedoch noch einen Zwischenschritt. Als Erstes muss der Aufgabenbereich der KESB überprüft werden. Es ist also zu prüfen, ob nicht andere Behörden für gewisse Aufgaben besser geeignet sind. Im Wesentlichen muss geprüft werden, welche Aufgaben dem Gericht zugewiesen werden können.

Primär stellt sich die Frage, warum unverheiratete Eltern sich in Bezug auf Obhut, Betreuung und teilweise wegen des Kinderunterhalts an die KESB wenden müssen? Die Problematik ist historisch bedingt. Früher wurde zwischen ehelichem und ausserehelichen Kindern unterschieden und rechtlich verschieden behandelt. Im Ergebnis wurden die ausserehelichen gegenüber den ehelichen Kindern in verschiedener Hinsicht diskriminiert. Heute sind eheliche und aussereheliche Kinder weitgehend gleichgestellt. Erst vor kurzem wurde schliesslich die gemeinsame elterliche Sorge als Regelfall sowie der Betreuungsunterhalt eingeführt. Das Kindesrecht ist heute somit im Wesentlichen zivilstandsunabhängig. Im Verfahrensrecht wurde dieser Paradigmenwechsel jedoch nicht nachvollzogen. Je nachdem, ob die Kindeseltern verheiratet oder nicht verheiratet sind oder gewesen sind, sind unterschiedliche Behörden (Gericht bzw. KESB) zuständig oder unterschiedliche Verfahren anwendbar. Diese komplizierte Zuständigkeitsspaltung ist heute nur noch schwer nachvollziehbar und ist sachlich sowieso nicht gerechtfertigt. Es braucht somit auch eine zivilstandsunabhängige Zuständigkeitsordnung. Oder anders gesagt: Für sämtliche Kinderbelange in Bezug auf getrennt lebende Kindeseltern muss das Gericht zuständig sein, wenn die Kindeseltern eine Frage geregelt haben wollen.

Damit das Gericht für unverheiratete Kindeseltern zuständig sein kann, braucht es materiellrechtlich eine eigentliche Trennungsklage. Diese kann in Analogie zum Eheschutzbegehren gestaltet werden. Seit 2017 besteht zwar eine gesetzliche Grundlage, nach der das Gericht bei einer Kinderunterhaltsklage auch über Kinderbelange entscheiden kann, allerdings ist diese gesetzliche Regelung ungenügend.

Auch im Erwachsenenschutz muss der Aufgabenbereich der KESB überprüft werden. Zum Beispiel könnte das Gericht die Validierung von Vorsorgeaufträgen ohne Weiteres übernehmen. Es handelt sich dabei um eine sogenannte nichtstreitige Rechtssache. Solche gehören zum ordentlichen Aufgabenbereich von Gerichten (z.B. Erbschein).

Nach der Überprüfung des Aufgabenkatalogs wurden die Aufgaben der KESB bereits erheblich reduziert. Der KESB verbleiben somit die eigentlichen Kernaufgaben im Kindes- und Erwachsenenschutz. Im Kindesschutz geht es vor allem um die Bearbeitung von Gefährdungsmeldungen ausserhalb von gerichtlichen Verfahren. Im Erwachsenenschutz muss die KESB hauptsächlich Beistandspersonen für Hilfebedürftige bestellen und deren Aufgabenbereich definieren. Es bleibt folglich eine aufs Wesentliche geschrumpfte KESB bestehen, mit der wir uns im Folgenden beschäftigen müssen.

g) Die KESB ist eine Fachbehörde. Das ist nach wie vor richtig, allerdings sitzen meines Erachtens in der KESB die falschen Fachpersonen. Diesbezüglich muss man unterscheiden: Die KESB als entscheidende Behörde und die KESB als abklärende Behörde. In die KESB als entscheidende Behörde gehören keine Fachpersonen aus dem sozialen Bereich, sondern einzig Juristen. Diesbezüglich sehe ich vor allem ein kulturelles Problem. Juristen sind ausgebildet, Verfahren zu führen, Vergleiche vorzuschlagen und Entscheide zu fällen. Diese Fähigkeit geht Fachpersonen aus dem sozialen Bereich in der Regel ab. Vielmehr haben diese eine Wohlfühl-, Gesprächs- oder Mediationskultur. Es fehlt somit häufig an Führungsqualitäten. Wenn man etwas von der KESB will, geht es meist sehr gemächlich vonstatten. Für mich ist die KESB deshalb häufig ein Schlafmützenverein. Fachpersonen aus dem sozialen Bereich dürfen somit nicht in die Entscheidfindung der KESB involviert werden. Vielmehr ist ihr Platz bei der Abklärung des Sachverhaltes. Entscheiden müssen aber schliesslich Juristen.

h) Die KESB ist eine Fachbehörde mit mindestens drei Mitgliedern, um das Konzept einer interdisziplinär zusammengesetzten Fachbehörde zu verwirklichen. Teilweise ist das Festhalten an einer Kollegialbehörde aber auch historisch bedingt. Aus heutiger Sicht kann auf eine Kollegialbehörde im Kindes- und Erwachsenenschutz ohne Weiteres verzichtet werden, wenn man bedenkt, dass heutzutage Einzelgerichte für sämtliche familienrechtlichen Verfahren zuständig sind und folglich auch über Kindesschutzmassnahmen entscheiden können. Man muss sich also sowohl vom Dogma der Kollegialbehörde als auch vom Dogma einer interdisziplinär zusammengesetzten Fachbehörde verabschieden. Wenn die KESB als Einzelbehörde ausgestaltet wird, drängt es sich auf, die KESB der Judikative zuzuordnen. Es ist somit ein Einzelgericht (ein Gericht im formellen Sinn) mit der Aufgabe der KESB zu betrauen. Und nur Juristen können Einzelrichter sein. Das einzige Fachwissen, das gebraucht wird, ist juristisches Fachwissen. Damit hat sich auch der Begriff „KESB“ überlebt. Für die Aufgaben der KESB ist somit ein Einzelgericht für Kindes- und Erwachsenenschutz zuständig.

i) Man muss zwischen Entscheidkompetenz und Sachverhaltsabklärung unterscheiden. Wenn zum Beispiel ein Einzelgericht in einem familienrechtlichen Verfahren über Kinderbelange zu entscheiden hat, so klärt es den Sachverhalt insofern ab, als es die Parteien bzw. das Kind persönlich anhört. Weitere Sachverhaltsabklärungen werden jedoch in der Regel an Fachpersonen delegiert: Stellungnahmen von Beiständen, Abklärungsberichte durch Sozialarbeiter, Erziehungsfähigkeitsgutachten durch Psychologen, kinderpsychiatrische Gutachten durch Psychiater etc. Die KESB hat zwar teilweise selbst Fachpersonen für die Sachverhaltsabklärung angestellt, aber mehrheitlich delegiert auch sie grössere Sachverhaltsabklärungen an externe Fachpersonen.

Im Strafverfahren führt zum Beispiel die Staatsanwaltschaft die Untersuchung, jedoch delegiert sie gewisse Aufgaben an die Polizei (Ermittlungsauftrag). Die Polizei ist in der Regel zudem die erste Anlaufstelle und führt in eigener Regie erste Ermittlungen durch. Eine solche Zweiteilung ist auch in Kindes- und Erwachsenenschutzfällen angezeigt. Das Verfahren führt das Einzelgericht, umfangreichere Sachverhaltsabklärungen werden jedoch durch Fachpersonen oder durch Fachbehörden vorgenommen.

Im Kanton Zürich spielen in Kindesschutzfällen die Kinder- und Jugendhilfezentren (kjz), welche organisatorisch zum Amt für Jugend und Berufsberatung gehören, eine prominente Rolle, da diese entsprechende Dienstleistungen anbieten (vgl. Grundlagendokument AJB-KESB). Bei den kjz ist somit das notwendige psychologische und soziale Fachwissen konzentriert. Zudem sind dort die Berufsbeistandschaften organisiert. Demzufolge ist offensichtlich, dass es die KESB gar nicht braucht. Das Einzelgericht ist für die Fallführung, das kjz oder andere Fachpersonen sind für vertiefte Sachverhaltsabklärungen zuständig.

Im Bereich Erwachsenenschutz sollte man ähnliche Zentren schaffen. Das Fachwissen ist heute mehrheitlich bei den Gemeinden, teilweise aber auch bei der KESB zu finden. Die Berufsbeistandschaften (früher Amtsvormundschaft) vollziehen Erwachsenenschutzmassnahmen und sind auf Gemeindeebene organisiert (Zusammenarbeit von Gemeinden mit Zweckverbänden oder Anschlussverträgen). Beispiele: Soziale Dienste Bezirk Dielsdorf, Erwachsenenschutz; Berufsbeistandschaften Bülach; Fachstelle Erwachsenenschutz Bezirk Meilen.

In der Stadt Zürich übernehmen die Beratungs-, Abklärungs- und Vollzugsaufgaben im Kindes- und Erwachsenenschutz die Sozialzentren, welche organisatorisch zum Sozialdepartement gehören.

Es ist somit angezeigt, dass im ganzen Kanton regionale Sozialzentren (Kompetenzzentren für Familien, Kindes- und Erwachsenenschutz) geschaffen werden. Der Aufgabenbereich von Sozialzentren ist dabei wesentlich weiter als derjenige der heutigen KESB, da es auch um soziale Massnahmen und ganz allgemein um den Vollzug von Massnahmen geht. Die konkrete Organisation ist schliesslich eine Frage des kantonalen Rechts.

Die Sozialzentren sind in der Regel die erste Anlaufstelle für Gefährdungsmeldungen. Diese klären den Sachverhalt vorläufig ab, berichten dem Einzelgericht, wenn der Fall vertiefter abgeklärt werden soll und stellen dem Einzelgericht Antrag, wenn Kindes- oder Erwachsenenschutzmassnahmen erforderlich sind. Es ist notwendig, dass die Sozialzentren gewisse Entscheidkompetenzen haben, um zum Beispiel bei zeitlicher Dringlichkeit Schutzmassnahmen erlassen zu können. Diese müssen jedoch in der Folge vom Einzelgericht genehmigt werden. Anzumerken ist schliesslich, dass für die Überwachung der Berufsbeistandschaften das Einzelgericht zuständig ist, indem dieses zum Beispiel die Berichte der Beistandspersonen genehmigt.

j) Fazit: Die KESB in der heutigen Form kann aufgelöst werden. Die Entscheidkompetenz im Kindes- und Erwachsenenschutz kommt einzig dem Einzelgericht zu. Zudem sind Sozialzentren (Kompetenzzentren für Familien, Kindes- und Erwachsenenschutz) zu schaffen, welche für Beratung, Sachverhaltsabklärung und Vollzug von Massnahmen zuständig sind.